Der Springer-Konzern lässt Vorwürfe gegen den "Bild"-Chefredakteur Julian Reichelt von Freshfields prüfen, er habe gegenüber Mitarbeiterinnen seine Macht missbraucht und Abhängigkeitsverhältnisse ausgenutzt.

Foto: imago images/Jörg Schüler

Gegen Julian Reichelt, Chefredakteur der Boulevardzeitung "Bild" und all ihrer digitalen Erscheinungsformen, haben mehrere Frauen Vorwürfe erhoben. Der "Bild"-Mutterkonzern Springer lässt die Vorwürfe intern und über die Anwaltskanzlei Freshfields prüfen. Auf Anfrage des STANDARD am Dienstag wollte der Konzern die "internen Vorgänge" nicht kommentieren. Am Montag hat der "Spiegel" als erstes Medium über Vorwürfe und Prüfung berichtet.

Worum geht es, was wird dem Chef der großen deutschen Boulevardmarke vorgeworfen? Reichelt soll mit mehreren Mitarbeiterinnen Beziehungen gehabt haben. Der "Bild"-Chefredakteur soll diesen Mitarbeiterinnen während dieser Beziehungen Vorteile verschafft haben, Jobs etwa oder Aufträge für Reportagen und größere Storys.

Sobald Reichelt diese Beziehungen beendet habe, seien die Mitarbeiterinnen aus seiner Umgebung entfernt worden und die Bevorzugung sei, so der Vorwurf, in Mobbing umgeschlagen.

Abhängigkeitsverhältnis

Bei der Untersuchung geht es unter anderem um Machtmissbrauch und die Ausnutzung von Abhängigkeitsverhältnissen, der "Spiegel" berichtet auch von Vorwürfen der Nötigung und des Mobbings.

Bisher sollen Vorwürfe einer einstelligen Zahl von Mitarbeiterinnen vorliegen. Die Kanzlei Freshfields soll mehrere Betroffene und Mitarbeiter der Redaktion kontaktiert haben.

Es gehe um Verstöße gegen die Complianceregeln des Springer-Medienkonzerns, sagen Menschen mit Einblick in die Vorgänge und die Prüfung. Nachsatz: nicht aber um strafrechtlich relevante Vorwürfe und ebenso wenig um Vorwürfe, die unmittelbare arbeitsrechtliche Konsequenzen notwendig machten. Auch das will der Konzern auf Anfrage am Dienstag nicht kommentieren.

Reichelt bestreitet Vorwürfe

"Zeit Online" zitiert am Mittwoch aus einer internen Mitteilung im Intranet von Springer: Reichelt bestreite die Vorwürfe. Man tue alles, "um zügig und zugleich sorgfältig aufzuklären".

Der langjährige "Bild"-Reporter, -Onlinechef und -Redaktionsmanager Reichelt wurde vor vier Jahren, im Februar 2017, Vorsitzender der "Bild"-Chefredaktionen und damit Nachfolger von Langzeitchef Kai Diekmann.

Vorwürfe gegen Diekmann

Diekmann war kurz zuvor mit Vorwürfen sexueller Belästigung konfrontiert. Eine Mitarbeiterin hatte sich damals an den Konzern gewandt. Springer untersuchte den Fall, stellte aber mit externen Rechtsexperten kein strafbares Verhalten fest. Mit Diekmanns Einverständnis schaltete Springer die Staatsanwaltschaft Potsdam ein. Sie stellte die Ermittlungen gegen ihn in im Sommer 2017 wegen mangelnder Beweise ein.

Reichelt übernahm im März 2018 auch die Chefredaktion der gedruckten "Bild"-Ausgabe selbst. Print-Chefredakteurin Tanit Koch verließ den Konzern damals.

In Wien laufen noch Verfahren vor dem Arbeits- und Sozialgericht gegen einen Wiener Medienmanager (DER STANDARD berichtete). Eine ehemalige Mitarbeiterin wirft dem Manager sexuelle Belästigung vor und klagt gegen ihre Entlassung. Der Medienmanager bestreitet diese Vorwürfe und klagte die Mitarbeiterin auf Unterlassung der Vorwürfe.

Sexismus in der Schweiz

Das Schweizer Medienunternehmen Tamedia ist mit Sexismusvorwürfen konfrontiert, die aus den eigenen Reihen kommen. Dokumentiert haben sie 78 Journalistinnen aus der Schweiz, die für Tamedia-Medien arbeiten und sich via offenen Brief deklarieren.

Tamedia ist ein Subunternehmen der TX Group, TX wiederum ist in Österreich an "Heute" beteiligt. Zu Tamedia gehören mehrere Zeitungen wie der Tages-Anzeiger, Zeitschriften und drei Druckereien.

Die Tamedia-Redakteurinnen kritisieren, dass die Firmenkultur auf Sexismus und Einschüchterungen aufgebaut sei, und listen zahlreiche Beispiele dafür auf. Frauen würden etwa auch systematisch schlechter behandelt und bei Beförderungen übergangen. (Harald Fidler, 9.3.2021)