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Noch in den Jahren nach Achtundsechzig wurde man gelegentlich als dressierter Pseudo-Erwachsener behandelt: Michael Jackson, hier 1972.

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Coronas wegen tragen unsere Kinder eine immer schwerer werdende, vorderhand unsichtbare Last. Mit der Verweigerung eines kindgerechten Soziallebens werden aus rotzfrechen Springinsfelden – gewöhnt, in gleichaltriger Gesellschaft allerhand Unsinn auszuhecken und diesen unverzüglich in die Tat umzusetzen – immer häufiger Elegiker: untröstliche, kleine Melancholiker beiderlei Geschlechts.

Die Prognose ist klar, die Generation Pandemie wird um eine wesentliche Dimension ihres Kindseins geprellt. Umgekehrt tut folgende Erwähnung not: In den lieblich nach Kochgemüse und Ersatzkaffee duftenden Tagen der Reformära Bruno Kreiskys nahm man Kinder keineswegs ernst. Im Gegenteil, viele Erziehungsberechtigte verständigten sich mit ihren Sprösslingen unter der Voraussetzung, es mit kleinen Erwachsenen zu tun zu haben. Kindlichkeit wurde von ihnen dementsprechend wie ein Makel behandelt.

Wehe dem- oder derjenigen, die sich altersgerecht, das heißt "unvernünftig" benahm. Etwa durch die versehentliche Verunreinigung der von Mama weich- und weißgekochten Wäsche! Ich, ein molliger Babyboomer mit Topffrisur, wurde – aufgrund einer nachweislichen Neigung zur Eloquenz – ältlichen Ruftanten manchmal wie ein niedliches Zirkuspferd vorgeführt. So eine Tante saß hinter den rauchzart getönten Gläsern ihrer Insektenbrille.

Gönnerhafte Miene

Sie lauschte meinem altklugen Geschwätz, das sich vor allem aus Schulstoff speiste. Was für ein braver Bub, wurde mir anschließend mit gönnerhafter Miene beschieden. Als Prämien wurden Schokoriegel an mich ausgefolgt, gelegentlich auch Mürbteigreste oder "Urantschen". Hinter diesem merkwürdig bellizistisch tönenden Wort verbarg sich nicht etwa ein Volksstamm aus Vorderasien. Es handelte sich um Zitrusfrüchte, die vom langen Liegen wund geworden waren, oder dunkelbraun gefleckt.

Mir bekam diese Kost ausgezeichnet. Ich hatte obendrein Glück: Mädchen in meinem Alter (sechs, acht Jahre) mussten gegenüber den für sie zuständigen Ruftanten gelegentlich ihre Beine entblößen. Ich habe den Grund für diese entwürdigende Prozedur niemals herausgefunden. Ich zog bei meinen Erwachsenenvorträgen lediglich den Bauch ein. (Ronald Pohl, 10.3.2021)