Ob das mein Beitrag zum Frauentag werde, fragte eine Freundin. Und meinte das, betonte sie, "absolut positiv". Weil sie Naddy Mayer kennt und so sieht wie ich: als Vorbild.

Hätte ich schneller geschaltet, hätte ich Punkte gesammelt. Aber ich war zu langsam. "Nö, wieso? Ich schreib über sie, weil ich super finde, was sie tut und wie sie es tut – und weil sie das jetzt fünf Jahre durchzieht." Dass der Beitrag über Naddy im zeitlichen Nahbereich zum Frauentag online gehen würde, heiße genau gar nichts. Fünf Minuten danach erkannte ich: vielleicht, vermutlich ja doch. Denn dass es auffällt, wenn hier eine Frau in der Auslage steht, wenn jemand dahinter strategische Absicht zu erkennen vermeint, bedeutet das: Es ist nicht selbstverständlich. Frauen kommen also auch hier zu selten in tragenden Rollen vor. Botschaft angekommen.

Foto: ©Naddy Mayer

Naddy Mayer also. Eine Läuferin. Wienerin, Mitarbeiterin einer Versicherung. Sie kam hier schon einmal vor. Vor ziemlich genau einem Jahr erwähnte ich sie in einer Geschichte über Menschen, die im Lockdown seltsame Dauerläufe absolvierten. Naddy war im Hof ihres Wohnhauses einen Halbmarathon gelaufen. 352 Runden zu je 60 Meter … "Dings"? Ja eh.

Foto: ©Naddy Mayer

Damals wusste ich sonst nichts über Naddy. Mein Fehler. Denn die Laufgeschichte der Naddy Mayer ist spannend. Weil sie so gar nicht als Läuferin geboren wurde, sondern sich den Weg dorthin – zu Strecken und Leistungen, die auch für Menschen, die von klein auf immer schlank und rank und sportlich und fit waren, alles andere als selbstverständlich sind – hart, auf die ganz harte Tour erarbeiten musste: sich von 124 Kilo auf ein Gewicht und ein Fitnesslevel hinzuarbeiten, mit dem ein Marathon, mit dem etliche Halbmarathons, mit dem täglicher Sport nicht nur möglich, sondern eine lustvolle Selbstverständlichkeit werden können – das schafft nicht jede. Und schon gar nicht jeder.

Foto: ©Naddy Mayer

Der Mut und das Selbstbewusstsein, diesen Prozess so offen, fröhlich und selbstbewusst zu kommunizieren, wie es Naddy tat und tut, nötigt mir – und so gut wie allen Läuferinnen und Läufern, die ich kenne – mehr als bloß Respekt ab. Das macht sie zu einem Vorbild.

Nein, längst nicht nur für Menschen, die ein paar (oder eben viele) Kilo zu viel mit sich herumschleppen, sondern auch und gerade für Personen, die ihr Leben lang sportlich aktiv waren: Es geht da nicht nur um die körperliche Leistung, um die Schwierigkeit, einen Körper, der jahrelang durch – ja eh: wie gut auch immer gemeintes – Füttern misshandelt wurde, so zu reaktivieren, dass die bis dahin an- und tief eingefressenen Schäden einen nicht "killen".

Foto: ©Naddy Mayer

Es geht darum, aufzustehen – und Gewohnheiten zu verändern. Aus eigener Kraft. Das ist die schwierigste Übung überhaupt. Weil das erste Newton'sche Gesetz ("jeder Körper hält seinen augenblicklichen Bewegungszustand und seine Geschwindigkeit bei, solange keine äußeren Kräfte auf ihn einwirken") nicht nur in der Physik gilt.

Naddy Mayer hat vor fünf Jahren dieses Gesetz, den Trägheitssatz, gebrochen. Ist aufgestanden und losgelaufen. "Gesprungen", sagt sie. Sie hat sich in diesen fünf Jahren, wie sie selbst sagt, nicht nur "halbiert", sondern auch etwas gefunden: Freude an der Bewegung – und, noch viel wichtiger, Stolz auf sich selbst.

Foto: ©Naddy Mayer

Ich habe mit ihr genau darüber geplaudert. Ein langes, für das auf den schnellen Klick fokussierte Online-Mediengeschäft für viele vermutlich zu langes Interview aufgezeichnet. Zugehört, wie Naddy M. ihre Geschichte vom, wie sie es nennt, "jump in my new life" erzählt. Von einem Sprung, der Zeit braucht. Aber wenn man sich – und ihr – die gönnt, zeigt das Wirkung. Nachhaltig.

Foto: ©Naddy Mayer

Naddy Mayer mag nicht die schnellste Läuferin der Welt sein. Aber darum geht es nicht.

Es geht darum, eine Frau vor den Vorhang zu bitten, deren Energie, Biss und Begeisterung mehr als bloß beeindruckend sind.

Weil sie zeigt, was geht.

Wenn man – oder frau – will. Und springt. (Tom Rottenberg, 9.3.2021)

DER STANDARD