Die Grafik zeigt verschiedenste Arten von Verbindungen von und zu einzelnen Organisationen und Initiativen in der Szene der Maßnahmenkritiker. So kann ein Pfeil etwa eine gemeinsame Demo-Organisation oder Pressekonferenz, aber auch die Angabe fremder Links auf der eigenen Website bedeuten. Auch zentrale Akteure sind in manchen Fällen das Bindeglied zwischen zwei Initiativen, ebenso wie aktives Werben für eine Initiative. Hinter den Punkten liegen weitere Informationen zu den einzelnen Initiativen. Quelle: DER STANDARD

In wenigen Tagen jährt sich der Tag, an dem Österreich zum ersten Mal während der Corona-Pandemie in einen Lockdown versetzt wurde. Seither wuchs nicht nur die Anzahl der Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung, sondern auch die Szene jener, die sich gegen diese starkmachen. Dabei reicht der Bogen von Kritikern, die Ausgangssperren als überschießend erachten, über Wissenschafter, die PCR-Tests infrage stellen, bis hin zu Rechtsextremen, die hinter allem eine jüdische Weltverschwörung vermuten. Manche haben viel, andere gar nichts miteinander gemein.

Doch betrachtet man die Szene als Ganzes, stellt man fest, dass viele Initiativen immer wieder aufeinander verweisen und sich gegenseitig als Beleg für die eigenen Standpunkte dienen. DER STANDARD stellt erstmals das Netzwerk der Maßnahmenkritiker, die die Corona-Politik grob gesagt als zu überschießend erachten, dar – ohne Anspruch auf Vollständigkeit.

Wie alles begann

Es begann im April 2020: Die "Initiative für evidenzbasierte Corona-Informationen"(ICI) organisierte mitten in der Schockstarre des ersten Lockdowns eine Kundgebung für die Aufhebung der Covid-Gesetze am Wiener Albertinaplatz. Trotz Verbots kamen einige dutzend Teilnehmer: Neben jenen, die sich für Grundrechte einsetzen wollten, waren auch schon damals zentrale Figuren jener Szene dabei, die wenige Monate später als sogenannte "Quer-" und "Fairdenker" tausende Menschen auf der Straße mobilisierten. Auch andere Rechtsextreme wie Identitären-Chef Martin Sellner nutzten die Gelegenheit, um sich zu inszenieren.

Auf einer der ersten Demos bezeichnete ICI-Gründer und Gynäkologe Christian Fiala das "Social Distancing" als Folter, was mit großem Beifall beantwortet wurde. "Aus medizinischer Sicht gibt es keinen Grund, vor diesem Virus Angst zu haben", sagte er. Fiala behauptete auch, dass das Tragen von Masken wegen des eingeatmeten CO2 gesundheitsschädlich sein würde – eine Befürchtung, für die es bis heute keine wissenschaftliche Evidenz gibt.

Nach zwei weiteren Demos zog sich die Gruppe rund um Fiala erstmal von der Straße zurück. Andere Demo-Redner sind bis heute bei den Kundgebungen der rechtsextremen "Querdenker"-Szene präsent, etwa der Anwalt Roman Schiessler oder die mittlerweile entlassene Ärztin Konstantina Rösch. Auch die ICI lebt bis heute weiter: Sie distanziert sich auf ihrer Facebook-Seite dezidiert vom rechten Rand.

Vorwurf der Unterdrückung

Fiala bleibt im STANDARD-Gespräch bei seinen Ansichten: Seit Ende März sei klar, dass wenige Menschen an Covid-19 erkranken und noch weniger sterben würden. Deshalb seien die Maßnahmen überzogen und verfassungsrechtlich bedenklich. Alle kritische Stimmen würden unterdrückt werden, auch vom STANDARD, sagt Fiala.

Die ICI ist eines von vielen Sammelbecken für Maßnahmengegner. In von der Initiative produzierten Videos treten nicht nur Ärzte und Wissenschafter, sondern auch ehemalige Politiker auf: etwa die Ex-Vizekanzler Hannes Androsch (SPÖ) und Erhard Busek (ÖVP). Auch die Geschäftsführerin der autonomen Frauenhäuser, Maria Rösslhumer, war Rednerin bei einer ICI-Veranstaltung zum Thema Kinderrechte.

Auf Nachfrage sagte Rösslhumer zum STANDARD, dass sie das ICI als interessante Initiative sehe, um das ihr wichtige Anliegen der Kinderrechte und der häuslichen Gewalt, die während der Lockdowns zugenommen habe, zu thematisieren. Ob jeder Inhalt auf der ICI-Website wissenschaftlich korrekt sei, könne sie nicht beantworten.

Androsch erklärt sein Interview so: Er kenne die Initiative nicht und habe sich aus Sympathie für die Interviewpartnerin dafür entschieden. Busek war sich auf Nachfrage nicht bewusst, dass sein Interview online abrufbar ist. Dies sei über Freunde von Freunden zustande gekommen. In Sachen Corona-Maßnahmen vertrete er die Meinung der Repräsentanten der Med-Uni Wien, die meist deutlich strengere Regeln fordern.

Viele Verbindungen

Taucht man in das Netz der Maßnahmenkritiker ein, stellt man fest, dass es innerhalb dessen viele Querverbindungen gibt – sowohl personell als auch inhaltlich. Ein exemplarisch ausgewähltes Beispiel von vielen: So spricht etwa Fiala regelmäßig in Videos der Plattform "Respekt Plus", er ist zudem im "Außerparlamentarischen Corona-Untersuchungsausschuss" (ACU-A) aktiv. Dieser wiederum wurde von der "Respekt"-Plattform und den "Anwälten für Aufklärung" (AFA) gegründet.

Die AFA sind ein Zusammenschluss von mittlerweile knapp 40 Anwälten, die sich laut Eigenangaben zum "Schutz von Freiheit und Demokratie" zusammengeschlossen haben. Laut ihnen habe die Regierung eine "Gesundheitsdiktatur" errichtet, die mit einer "grundrechtsbezogenen Werteordnung" nicht mehr in Einklang zu bringen sei. Den "vorläufigen Höhepunkt dieses Angriffs auf unsere Demokratie und die Freiheits- und Grundrechte" würden die bis Dienstag in Begutachtung befindlichen Novellen des Epidemiegesetzes und des Covid-19-Maßnahmengesetzes sein, schreibt AFA-Rechtsanwalt Alexander Todor-Kostic in einem Statement an den STANDARD. Die Novellen sollen in der geplanten Form Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) noch mehr Spielraum als bisher verschaffen, was das Setzen von Maßnahmen gegen die Pandemie betrifft.

Umstrittenes Inserat

Einige AFA-Mitglieder haben kürzlich Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP), Gesundheitsminister Rudolf Anschober sowie Vizekanzler Werner Kogler (beide Grüne) angezeigt. Vorwürfe: Nötigung, Amtsmissbrauch, Landzwang. Das Ermittlungsverfahren wurde laut Todor-Kostic eingestellt. Das vermittle "den Eindruck, dass sich die Strafverfolgungsbehörden mit dem Thema 'Amtsmissbrauch' in der Corona-Krise (noch) nicht auseinandersetzen wollen." Die AFA-Mitglieder haben einen Fortführungsantrag beim Landesgericht für Strafsachen eingebracht.

In Erscheinung traten sie außerdem, als sie zusammen mit dem "Außerparlamentarischen Corona-Untersuchungsausschuss" und "Respekt Plus" ein Inserat im "Kurier" und "Österreich" schalteten, in dem Aussagen verbreitet wurden wie die, dass Masken gesundheitsschädigend seien oder PCR-Tests weder Infektion, Infektiosität noch Krankheit festzustellen vermögen. Andere Medien lehnten das Inserat ab.

Auf ihrer Website bieten sie zudem juristische Beratung an, falls man wegen einer Demo-Teilnahme Probleme mit dem Arbeitgeber bekommen sollte. Auch für das Volksbegehren "Für Impffreiheit" wurde geworben.

Wenn das Volk begehrt

Hinter diesem Volksbegehren, das fast 260.000 Personen unterzeichneten, steht eine Personengruppe rund um Rudolf Gehring. Gehring ist Generalsekretär der Christlichen Partei Österreichs (CPÖ), ist gegen die Fristenregelung und für die Abschaffung aller Corona-Maßnahmen. Mit dem STANDARD will er auf Anfrage nicht reden. Gehring selbst wehrte sich einst dagegen, konservativ genannt zu werden, er sei "überall", meinte er.

Es gibt auch intensive Kontakte zur rechten Szene: Sprecherin des Volksbegehrens ist Inge Rauscher. Sie wird vom Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstands (DÖW) als "außerparlamentarische Rechte" bezeichnet – auch weil Rauscher einen Vortrag bei der rechtsextremen "Arbeitsgemeinschaft für demokratische Politik" hielt.

Im Präsidentschaftswahlkampf – nicht bei jenem, bei dem Gehring kandidierte – warb Inge Rauscher für FPÖ-Kandidat Norbert Hofer. Von Letzterem habe sie sich mittlerweile abgewandt, sagt Rauscher nun zum STANDARD, und der Vortrag sei 20 Jahre her. Doch von Abgrenzung will Rauscher dennoch nicht reden: Der Name ihrer Initiative, "Heimat und Umwelt", sei nicht zufällig gewählt – man wolle damit ideologische Gräben überbrücken. Angesprochen darauf, ob Rauscher sich von Rechtsextremen, die Demonstrationen unterwandern, distanziere, heißt es: "Wir wollen niemand verurteilen."

Viele kleine Puzzlesteine

Auch aus dem Umfeld von Fialas ICI wurde ein Volksbegehren gestartet: Mit dem "Volksbegehren für die Wiedergutmachung der Corona-Maßnahmen" habe man laut Eigenangaben 45.000 Unterschriften erreicht.

Für das Gehring-Volksbegehren wiederum rühren – abseits von Inge Rauschers Initiative "Heimat und Umwelt" – auch andere Organisationen die Trommel: etwa die "Neue Wahrheit". Die Plattform ist beispielhaft für ein breit gefächertes Netzwerk an kleinen Websites, die meist von Einzelpersonen betrieben werden. Sie verbreiten und verlinken die Inhalte unterschiedlicher Gruppierungen aus dem Bereich der Maßnahmengegner und der "Querdenker". Dabei inszenieren sie sich selbst als "freien Journalismus", als Gegenöffentlichkeit zu den sogenannten Mainstreammedien, die in deren Augen an der angeblichen staatlichen Zensur mitwirken.

Die "Neue Wahrheit" dokumentiert etwa auf Youtube beinahe jede Demonstration in Linz, auf ihrer Homepage werben sie für die zwei Volksbegehren und stellen unzählige Flyer zum Download bereit, die meist auf die "Corona-Querfront" des mehrfach verurteilten Neonazis Gottfried Küssel verlinken.

Der Rechts-außen-Rand

Küssel und Konsorten marschieren bei fast jeder Demo der sogenannten "Querdenker"-Szene mit und haben mit deren Organisatoren direkten Kontakt. Als "Querdenker" sind hier jene zu verstehen, die in den letzten Monaten die größeren Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen organisierten – wobei der Begriff heute mehr als Fremd-, denn als Eigenbezeichnung fungiert. Organisierten sich Szenegrößen anfangs noch selbst unter diesem Banner, kam es im September zu einer Abspaltung unter dem Begriff "Fairdenker", bevor auch dieser in der Versenkung verschwand. Die Personen dahinter blieben jedoch weiter aktiv. Immer wieder ist bei diesen Demonstrationen auch rechtsextreme Symbolik zu sehen, in einschlägigen Chats wurde zudem auch schon zum Sturm auf das Parlament aufgerufen.

Als großer Vernetzer in der "Querdenker"-Szene gilt der Kärntner Ex-Politiker Martin Rutter, der unter dem Label "Corona-Widerstand" aktiv ist. Sein Prozess wegen Verhetzung findet am Mittwoch in Klagenfurt statt. Es gilt die Unschuldsvermutung. Auf seiner Website verweist Rutter auf viele Infokanäle, zum Beispiel auch auf die Website der "Anwälte für Aufklärung" (AFA).

Eine Zusammenarbeit gebe es aber nicht, betont vonseiten der AFA Todor-Kostic: Nur weil sich jemand auf die Bewegung beziehe, heiße das noch nicht, dass man sich umgekehrt dieser Gruppierung zugehörig fühle. Von extremen Gruppierungen grenze man sich ab, verpflichtet fühle man sich der Verfassung. Doch, so Todor-Kostic weiter: "Aber vielleicht entschließen wir uns, auch demnächst als eigene Bewegung an einer Demo teilzunehmen; dies auch, um ein klares Bekenntnis dazu abzugeben, dass der Großteil der Demonstranten keinesfalls in eine 'rechtes Eck' zu drängen ist, sondern es sich einfach um sehr besorgte Staatsbürger handelt, die anerkennungswürdige Ziele verfolgen."

Neue Demo-Ankündigung

Mit ähnlichen Worten stellt sich die FPÖ hinter die regelmäßigen Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen, die vom Verfassungsschutz beobachtet werden. Auch Generalsekretär Michael Schnedlitz und Gesundheitssprecherin Dagmar Belakowitsch waren auf Demos zu sehen, Klubobmann Herbert Kickl selbst zog vergangenes Wochenende mit tausenden Demonstrierenden in den Prater, wo er eine Rede hielt. Nachdem eine Großdemonstration Ende Jänner behördlich untersagt worden war, wurde kurzerhand eine neue Kundgebung als Ersatz angemeldet. Auch diese wurde verboten. Die FPÖ bezieht sich auf etliche Gruppen und Akteure der "Querdenker"-Szene sowie auf Proponenten der Maßnahmenkritiker. Auch ihre eigenen Inhalte werden auf den jeweiligen Plattformen eifrig geteilt.

Nach mehreren Monaten Demo-Pause kündigte auch das ICI wieder einen Protest auf der Straße an. Thematisch wolle man für das Demonstrationsrecht auftreten und gegen "die Verunglimpfung der Maßnahmenkritiker als 'Verschwörungstheoretiker', 'Covidioten' und Rechtsextremisten". Weiters heißt es im Aufruf: "Daheim bleiben sollen bitte die einschlägig bekannten Rechtsextremen." (Vanessa Gaigg, Laurin Lorenz, Gabriele Scherndl, 10.3.2021)