Möchte man von der Erde aus Daten über Exoplaneten, einzelne Sterne in fremden Galaxien oder Schwarze Löcher sammeln, braucht man ein wirklich extrem großes Teleskop. Genau das entsteht gerade in Chile: Das European Extremely Large Telescope (E-ELT) der europäischen Südsternwarte (ESO), das gerade in der Atacama-Wüste gebaut wird, soll mit seinem Rekord-Spiegeldurchmesser von 39 Metern eine Leistung erbringen, die weit über jene das bestehenden – mit vier Acht-Meter-Spiegeln auch schon sehr großen – Very Large Telescope (VLT) hinausgeht.

Mit dem ELT hält auch eine neue Generation von Instrumenten Einzug in die erdgebundene astronomische Beobachtung. Beispielsweise soll Micado (Multi-AO Imaging Camera for Deep Observations) Aufnahmen im nahen Infrarotbereich mit einer bisher ungekannten Auflösung anfertigen können. An der Entwicklung dieses und weiterer Instrumente sind auch Wissenschafter aus Österreich involviert, das seit 2008 an der ESO beteiligt ist.

Die Instrumentenentwicklung wird vom Wissenschaftsministerium gefördert, die nötigen Methoden werden unter anderem im Spezialforschungsbereich "Tomografie über die Skalen", der vom Wissenschaftsfonds FWF unterstützt und von der Uni Wien koordiniert wird, erarbeitet. Hier wird etwa sichergestellt, dass die Aufnahmen des Teleskops tatsächlich scharf werden – trotz aller Verzerrungen durch die Erdatmosphäre.

Die Beobachtung des Weltalls von der Erde aus soll in Zukunft viel bessere Ergebnisse bringen – bis hin zur Identifikation einzelner Sterne in weit entfernten Galaxien.
Foto: APA / AFP / European Southern Observatory

Unschärfen ausgleichen

Grundsätzlich gilt: Je größer der Spiegel eines Teleskops, desto mehr Licht kann "eingesammelt" werden und desto besser ist die mögliche Auflösung. Doch ab einer gewissen Dimension müssen die Teleskope durch eine sogenannte adaptive Optik die Fähigkeit mitbringen, durch Turbulenzen in der Atmosphäre hervorgerufene Unschärfen auszugleichen. Ansonsten wären die Größenvorteile – im wahrsten Sinne – nicht auf den Boden zu bringen.

In diesem Bereich braucht es spezielle mathematische Methoden, mit denen man von den Messdaten am Boden auf die zugrunde liegenden Gegebenheiten in der Atmosphäre rückschließen kann – eine Aufgabe, die unter die sogenannten inversen Probleme fällt.

"Um die Unschärfen auszugleichen, müssen die Turbulenzen rekonstruiert werden und während der Aufnahme korrigiert werden", sagt Ronny Ramlau, der am Industrial Mathematics Institute der JKU Linz und am Johann Radon Institute for Computational and Applied Mathematics (RICAM) der Akademie der Wissenschaften (ÖAW) mit diesem Problem befasst ist. "Man kann sich die im Observatorium eintreffenden Lichtwellen wie ein zerknittertes Blatt Papier vorstellen, das man wieder glattstreifen muss, um davon ablesen zu können."

Künstliche Sterne

Erreicht wird diese Korrektur, indem man das Licht auf Spiegel treffen lässt, die ebenso in der richtigen Weise "zerknittert" sind. Drei mechanisch verformbare Spiegel im Teleskop passen sich der Welleninformation an, die in der Atmosphäre gesammelt wird, und sorgen so für eine glattgebügelte Aufnahme.

Doch wie weiß man, wie genau diese Spiegel verformt werden müssen? Dafür bedarf es einer genau definierten Lichtquelle. "Ein Stern, dessen Position man haargenau kennt, könnte helfen, das Lichtsignal einer daneben erscheinenden Galaxie zu entzerren", erklärt Simon Hubmer, der als Postdoc am RICAM mit Ramlau arbeitet.

Laserstrahlen helfen am ELT dabei, atmosphärische Turbulenzen zu registrieren, um sie später aus den Bildern entfernen zu können.
Illustr.: Eso

Am ELT nutzt man aber keine Sterne, sondern sechs rund um das Teleskop angeordnete Laser, die Impulse in die Atmosphäre schicken. Sie werden zu "künstlichen Sternen", wenn sie in etwa 90 Kilometer Höhe auf Partikel von atmosphärischem Sodium treffen, diese anregen und zum Leuchten bringen. Die Messung dieser Lichtquellen liefert die Daten für eine Rekonstruktion der Turbulenzen, die dann mittels der Spiegel korrigiert werden.

Schwarze Löcher

Doch damit ist die Geschichte noch nicht zu Ende. Denn dieser Korrekturvorgang, der aus der Lichtverzerrung die notwendige Verformung der Spiegel errechnet und umsetzt, benötigt eine kurze Zeitspanne – etwa zwei bis vier Tausendstelsekunden. Diese Verzögerung in der Anpassung an die atmosphärischen Gegebenheiten während der Aufnahme sorgt dafür, dass eine gewisse Restunschärfe bestehen bleibt.

In einem Post-Processing-Verfahren fließen die Daten von Laser-Auswertung und Spiegelverformung deshalb noch in eine weitere Korrektur ein, indem eine sogenannte Punktspreizfunktion rekonstruiert wird. "Ein unscharfer Punkt vergrößert sich zum Kreis. Umgekehrt dazu wollen wir vom unscharfen Bild auf die Punktquellen zurückrechnen", veranschaulicht Ramlau.

Wie leistungsfähig die adaptive Optik ist, zeigt dieses Beispiel vom Very Large Telescope (VLT): Links eine Aufnahme des Neptun des MUSE/GALACSI-Instruments am VLT, rechts ohne diese Technik.
Foto: ESO/P. Weilbacher (AIP)

Auch dank dieser Techniken soll das Teleskop mit Instrumenten wie Micado Aufnahmen anfertigen können, die zum Beispiel Hinweise auf Schwarze Löcher in fremden Galaxien geben. Kraft der Sterne in ihrem Umkreis, die dank des ELT identifizierbar werden, sollen sie indirekt beobachtbar werden.

Augen-Diagnose

Die Rekonstruktion der Turbulenzen in der Atmosphäre basiert auf einem tomografischen Verfahren. Ähnlich wie in der medizinischen Computertomografie wird aufgrund einer Strahlung, die ein Objekt durchquert – in der Medizin ist es ein menschlicher Körper, in der ELT-Anwendung die Atmosphäre –, auf Schichtbilder in diesem Objekt zurückgerechnet.

"Unser Ziel ist, dieses mathematische Prinzip in verschiedenen Größenskalen anzuwenden – von der Mikroskopie bis zur Astrophysik", sagt Hubmer. "Eine Anwendung hat sich zum Beispiel in der Augen-Diagnostik ergeben: Um ein scharfes Bild der Retina zu bekommen, werden die Verzerrungen, die Augenflüssigkeit und -bewegungen auslösen, rekonstruiert und mittels verformbarer Spiegel korrigiert." (Alois Pumhösel, 12.3.2021)