Ein Patient auf der Intensivstation eines kommunalen Krankenhauses in der brasilianischen Metropole Rio de Janeiro.

Foto: ANDRE COELHO / AFP

Das brasilianische Gesundheitswesen steht eindeutig vor dem Kollaps, Krankenhäuser müssen reihenweise Corona-Patienten abweisen, und die Todeszahlen erreichen traurige Höchstwerte. Auch die Infektionszahlen zeigen wieder steil nach oben. Experten warnen sogar vor einer "Mega-Epidemie" mit täglich mehr als 2.000 Toten.

Während die Gouverneure der Bundesstaaten Geschäfte und Restaurants wieder schließen sowie nächtliche Ausgangssperren verhängen, fährt der ultrarechte Staatspräsident Jair Bolsonaro unverdrossen seinen Kurs weiter: Ein Lockdown vernichte Arbeitsplätze, tönt er. "Warum soll man zu Hause bleiben und jammern?", fragte er vor ein paar Tagen bei einer Reise durch den nordöstlichen Bundesstaat Ceará. Dort lobte er seine Anhänger: "Ihr seid nicht zu Hause geblieben! Ihr seid nicht feige!"

Und als wäre das nicht schon genug, drohte Bolsonaro den Gouverneuren, die einen erneuten Lockdown verhängt haben, die Corona-Hilfe des Bundes zu streichen. "Sie können nicht weiter Politik machen und die Verantwortung in den Schoß des Präsidenten werfen", empörte sich der Ex-Militär. Nachdem zum Jahresende die monatliche Corona-Unterstützung für Bedürftige ausgelaufen ist, soll diese jetzt fortgesetzt werden. Eine minimale Hilfe von viermal je 250 Reais (rund 36 Euro) sollen arme Familien erhalten – oder laut Bolsonaro eben nicht.

Angebliche Wunder-Arznei

Dafür hat der Präsident für seine Anhänger eine gute Nachricht: Auf seiner jüngst beendeten Israel-Reise hat er ein neues Medikament aufgetan, das er jetzt – wie schon zuvor das gegen Corona unwirksame Anti-Malaria-Mittel Chloroquin – als Wunderwaffe gegen die Pandemie anpreist.

In Israel wird unter dem wissenschaftlichen Namen EXO-CD24 ein Nasenspray getestet, der die Coronaviren abtöten soll. Allerdings stecken die Studien in den Anfängen, das Mittel ist noch nicht einmal in der klinischen Testphase. Doch das stört Bolsonaro nicht: Er schickte seinen Außenminister Ernesto Araújo nach Israel, um die Verträge auszuhandeln. Genau wie Chloroquin, das die brasilianische Regierung in großen Mengen angekauft hat, soll auch das ungetestete Nasenspray geordert werden.

"Wir sind im Krieg"

Derweil ist das Gesundheitswesen im ganzen Land an seiner Kapazitätsgrenze. In öffentlichen Krankenhäusern seien 91 Prozent der Intensivbetten belegt, in privaten Kliniken 100 Prozent, berichteten brasilianische Medien. Selbst im wohlhabenderen Süden des Landes und im Bundesstaat São Paulo ist die Situation verheerend. Krankenhäusern fehlt Sauerstoff, sie müssen Container anmieten, um die Toten zu lagern. "Wir sind im Krieg", sagte der Gesundheitssekretär von São Paulo, Jean Gorinchteyn.

Bereits zu den Weihnachtsfeiertagen hatten zahlreiche der 26 Bundesstaaten die Ausgangssperren aufgehoben und den Handel geöffnet. Bilder von überfüllten Stränden in Rio de Janeiro, vollen Bars und Busbahnhöfen machten die Runde. Gleichzeitig breitete sich in der Amazonas-Metropole Manaus eine Mutante aus, die weitaus ansteckender war und eine höhere Viruslast aufwies. Diese Mutante unterlaufe außerdem das Immunsystem von mindestens 25 Prozent der Menschen, die schon einmal an Corona erkrankt waren und eigentlich immun sein müssten, ermittelte das Institut für Tropenmedizin der Universität São Paulo.

Gegen Masken

Die einzigen Maßnahmen, die nach Überzeugung von Experten wirklich helfen, lehnt Bolsonaro ab. In seinem wöchentlichen Video-Podcast wetterte er gegen den Einsatz von Masken, die zu Konzentrationsstörungen, Müdigkeit, Schwindel und Übelkeit führen könnten. Dabei zitiert er aus einer unbekannten Studie einer deutschen Universität, natürlich ohne den Namen zu nennen. Auch vor einer Impfung warnte er und ereiferte sich über angebliche Nebenwirkungen. Wenn Männer danach mit hoher Stimme sprächen oder Frauen ein Bart wüchse, übernehme er keine Verantwortung.

Bolsonaros irrlichternder Kurs scheint ihm politisch nicht zu schaden. Im Kongress konnte er seine Wunschkandidaten für den Vorsitz im Senat und Abgeordnetenhaus durchsetzen. Damit kann er sicher sein, dass die mehr als 60 Anträge auf Amtsenthebung vorerst keine Mehrheit für eine Debatte finden. (Susann Kreutzmann aus São Paulo, 9.3.2021)