Mehr als drei Milliarden Euro oder noch nur etwas mehr als 600 Millionen? Im zweiten Akt des UBS-Prozesses in Paris geht es für die Schweizer Großbank um sehr viel Geld.

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Sogar Bradley Birkenfeld reiste für den Prozessbeginn aus den USA nach Paris. Der Ex-UBS-Manager, der seinem Arbeitgeber auf dem amerikanischen Markt mit seinem Geständnis 2007 schwer zugesetzt hatte, will nun erleben, wie die Schweizer auch in Paris "bluten" müssen. In erster Instanz waren sie 2019 zu einer Rekordbuße von 4,5 Milliarden verurteilt worden.

Die UBS erschien dafür am Montag mit Hervé Temime, einem Pariser Staranwalt, der schon Gérard Depardieu, Catherine Deneuve und Roman Polanski verteidigt hatte. Warum jetzt eine Großbank, die in Paris ein mieses Steuerfluchtimage hat? "Gerade deshalb habe ich das Mandat angenommen", erklärte der 63-jährige Spitzenanwalt vor dem Gerichtssaal dem STANDARD. "Das ist hochinteressant."

Temimes Präsenz neben einer Kohorte spezialisierter Finanzanwälte wie Denis Chemla zeigt auf, dass sich die UBS in Paris keineswegs verstecken, sondern offensiv bleiben will. Im ersten Prozess hatte ihr diese Haltung nichts genützt: Das Verdikt lautete klipp und klar auf illegale Kundenwerbung durch ausländische Berater sowie "schwere" Geldwäsche von Fluchtgeldern im Zeitraum von 2004 bis 2012.

Staranwalt Herve Temime findet es reizvoll, eine Großbank mit mäßiger Reputation zu verteidigen.
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Neues Argument

Fragen wurden 2019 laut, warum die UBS nicht auf einen Vergleich eingegangen war. Doch der Hausjurist Markus Diethelm beharrt auf der kompletten Unschuld der Bank. Im zweitinstanzlichen Prozess setzt er auf ein neues Argument: Die UBS behauptet, um Geldwäsche könnte es sich schon deshalb nicht gehandelt haben, weil die Vermögenswerte in einem gewissen Sinne deklariert, jedenfalls akzeptiert gewesen seien.

Das Zinsbesteuerungsabkommen zwischen der EU und der Schweiz habe den französischen Kunden 2004 die Wahl gelassen, ihre in der Schweiz hinterlegten Gelder entweder in Frankreich ganz normal oder aber pauschal mit 35 Prozent zu versteuern.

Frankreich habe Hilfe angeboten

Dazu habe auch Frankreich als EU-Mitglied Hilfe angeboten, so UBS. Um zu belegen, wie legal das Verfahren gewesen sei, will die Bank angeblich sogar ehemalige EU-Koryphäen wie Jean-Claude Juncker oder Wolfgang Schäuble als Zeugen aufbieten.

Des Weiteren wiederholt die Bank ihr altes Argument, sie habe keine Schweizer "Gesandten" auf Kundenfang nach Paris geschickt. Das sei einzig Sache der französischen Mitarbeiter von UBS-France – und damit legal – gewesen.

Und zwar auch an den Glamour-Events in Pariser Oper, bei Segeltörns, Golfpartien oder am Tennisturnier Roland-Garros, wo Schweizer gesehen worden waren. Die ominösen "Milchbüchlein" (carnets de lait), die französische Ermittler gesichert hatten, listen Transfersummen auf, die die Beteiligung Schweizer Berater belegen sollen. Die UBS bestreitet dies vehement.

Egal wen UBS zum renommierten Pariser Tennistourniert Rolland Garros geschickt hat, gewonnen hat das Tournier in den letzten Jahren fast immer Rafael Nadal.
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Schweizer Justiz urteilte

Um den Bußbetrag zu drücken, stützt sich UBS auf einen Entscheid des Pariser Kassationshofes. Demnach bestimmt nicht das ins Ausland geschaffte Vermögen die Bußhöhe – im Fall der UBS 3,7 Milliarden Euro -, sondern die dem Staat entgangenen Steuereinnahmen: in diesem Fall 620 Millionen Euro.

Die Staatsanwaltschaft zeigt allerdings, dass sie der UBS nichts schenken wird. Als Kronzeugen bietet sie einen französischen Kaderangestellten von UBS-France auf, der gestanden hat, auch Vertreter des Zürcher Hauptsitzes hätten in Frankreich Kundenfang betrieben. In dem gut zweiwöchigen Prozess könnte die Anklage weitere Zeugen aus dem Ärmel ziehen.

Die UBS ist nämlich 2019 durch die Schweizer Justiz verurteilt worden, Frankreich die Namen und Adressen von 40.000 französischen Bankkunden mit Vermögen in der Schweiz auszuhändigen. Das ist Mitte 2020 geschehen. An sich darf Frankreich diese Namen nicht im UBS-Verfahren verwenden. Aussagen einzelner könnten der Staatsanwaltschaft aber indirekt trotzdem zu den Beweisen verhelfen, die den Ermittlern bisher gefehlt haben.

Der UBS-Prozess hat auch eine politische Note. Präsident Emmanuel Macron will nicht als Präsident der Reichen dastehen.
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Politische Note

Gerichtspräsident François Reygrobellet schlug zwar zum Prozessauftakt einen sehr lockeren, fast jovialen Ton an. In der Sache dürfte er aber hart bleiben, zumal der Prozess eine klar politische Note hat. In Gang gekommen waren die Ermittlungen unter dem sozialistischen Ex-Präsidenten François Hollande, der mit der Schaffung einer eigentlichen "Finanzstaatsanwaltschaft" (PNF) von der sogenannten Cahuzac-Affäre loskommen wollte.

Und auch noch der amtierende Präsident Emmanuel Macron will ein Jahr vor den nächsten Präsidentschaftswahlen gegen sein Image ankämpfen, der "Präsident der Reichen" zu sein. Alles andere als eine erneute Verurteilung der UBS wäre deshalb eine Überraschung. Der Prozess dauert noch zwei Wochen, das Verdikt ist für Juni geplant. (Stefan Brändle aus Paris, 9.3.2021)