Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) muss den Obersten Sanitätsrat bestellen. "In Kürze" soll es so weit sein.

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Wien – "In Kürze" lautet der aktuelle Liefertermin aus dem Büro von Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) für die Neubestellung des seit bald eineinhalb Jahren inexistenten Obersten Sanitätsrats (OSR): "In den nächsten Wochen, vermutlich noch im März" werde es so weit sein. Man habe die dafür zuständige Sektionschefin, die den Titel Chief Medical Officer (CMO) trägt, "vorher bestellen wollen", heißt es auf STANDARD-Nachfrage.

Mit Katharina Reich gibt es nun seit 9. Dezember zwar eine CMO im Gesundheitsministerium, aber noch immer keinen OSR. Den müsste der Minister laut Bundesgesetz für den Obersten Sanitätsrat "einrichten". Zuletzt tagte das Gremium, dem 32 ehrenamtliche Expertinnen und Experten angehören, im Herbst 2019. Damals war die Beamtenregierung im Amt. Die Mitglieder beraten den Minister "in allen Angelegenheiten des Gesundheitswesens" und können nach dreijähriger Funktionsperiode auch wiederernannt werden.

Versprochen war Start mit Jahresbeginn

Schon im November des Vorjahres erklärte Verfassungsjurist Heinz Mayer im STANDARD, dass die Nichteinsetzung des OSR, der 2020 sein 150-Jahr-Jubiläum hätte feiern sollen, ein "rechtswidriger Zustand" und eine "Pflichtverletzung" des Gesundheitsministers sei. Anschober müsse "unverzüglich" handeln. Damals verlautete dazu aus dem Ministerium: "Der Start der Arbeit des neuen Obersten Sanitätsrats ist mit Beginn des neuen Jahres geplant." Als Grund für die Verzögerung wurde die Corona-Krise genannt.

Dass es nun heiße, "in Kürze" werde es wieder einen OSR geben, prolongiere aus juristischer Sicht nur den "rechtswidrigen Zustand", bekräftigt Heinz Mayer. Zur nunmehrigen Erklärung des Anschober-Kabinetts sagt der Jurist: "Das hat mit dem Chief Medical Officer nichts zu tun, auch nicht mit der Pandemie. Zwar darf man den Obersten Sanitätsrat nicht überschätzen, denn der Minister hat natürlich auch andere Experten für die Corona-Pandemie, aber der Sanitätsrat wäre ja nicht nur dafür zuständig, sondern er ist ganz allgemein mit der Gesundheit der Bevölkerung befasst."

Rechtskontrolle und politische Kontrolle

Was bedeutet das konkret, wenn ein Minister per Gesetz verpflichtet ist, etwas zu tun, das aber nicht tut? Laut Mayer gebe es drei Möglichkeiten, auf eine ministerielle "schuldhafte Rechtsverletzung" zu reagieren: "Eine Mehrheit des Nationalrats könnte den Fall beim Verfassungsgerichtshof zur Anklage bringen, der Bundeskanzler könnte dem Bundespräsidenten vorschlagen, den Gesundheitsminister zu entlassen, oder es gibt ein Misstrauensvotum im Parlament, wofür eine einfache Mehrheit notwendig wäre", erklärt Mayer: "Der VfGH wäre die Rechtskontrolle, die anderen Maßnahmen eine politische Kontrolle."

Im Bundeskanzleramt verweist man in der Causa OSR an das zuständige Gesundheitsministerium.

SPÖ kritisiert Nichtnutzen des wichtigsten Beratungsgremiums

SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner, die bei der Konstituierung des letzten OSR am 24. Juni 2017 Gesundheitsministerin war, hat hingegen kein Verständnis dafür, "dass Gesundheitsminister Anschober ein Jahr nach Beginn der Corona-Pandemie sein wichtigstes medizinisches Beratungsgremium noch immer nicht nutzt", sagte sie zum STANDARD. Sie hatte bereits im April 2020 eine sofortige Besetzung gefordert..

Dass der Sanitätsrat, der im 19. Jahrhundert zu Zeiten der Pockenepidemie installiert worden sei, noch immer nicht besetzt ist, kommentiert die SPÖ-Chefin, die selbst Epidemiologin ist, so: "In Zeiten einer Jahrhundertpandemie kann der Gesundheitsminister nicht auf den Obersten Sanitätsrat verzichten. Gerade jetzt ist Expertenwissen unerlässlich. Die Regierung braucht diese Expertise, um Entscheidungen auf Basis von Fakten treffen zu können. Die Planlosigkeit der Regierung hat viel Vertrauen zerstört und auch falsche Hoffnungen geweckt. Ich fordere den Gesundheitsminister auf, den Obersten Sanitätsrat schnellstmöglich wieder einzuberufen und auf die Expertinnen und Experten zu hören."

Neos brachten Causa OSR bereits ins Parlament – ohne Erfolg

Die Neos waren in der Causa Sanitätsrat bereits parlamentarisch aktiv, aber ebenfalls erfolglos. Gesundheitssprecher Gerald Loacker hat im Dezember 2020 einen entsprechenden Entschließungsntrag im Gesundheitsausschuss eingebracht, in dem die die Bundesregierung bzw. der Gesundheitsminister aufgefordert wurde, den Obersten Sanitätsrats einzurichten – "auch dieser wurde bis jetzt vom Gesundheitsminister ignoriert", sagte Loacker am Donnerstag zum STANDARD: "Das Gesetz sieht vor, dass der Gesundheitsminister den Sanitätsrat einzuberufen hat. Anschober bricht also das Gesetz, wenn er ihn nicht einberuft. Es ist fahrlässig und inakzeptabel, dass ein so wichtiges Gremium der öffentlichen Gesundheit ausgerechnet in Zeiten einer Pandemie nicht einberufen wird. Gesundheitsminister Anschober wäre gut beraten, endlich tätig zu werden, nachdem er bereits über ein Jahr geschlafen hat." (Lisa Nimmervoll, 11.3.2021)

Update am Donnerstag, 11:10 Uhr: Neos-Gesundheitssprecher Gerald Loacker