All genders welcome? Sprachlich noch eher nicht.

Foto: Getty Images/iStockphoto

Es ist eine Diskussion mit einem weiten Spektrum. Die derzeitigen beiden Enden dieses Spektrums könnten grosso modo so beschrieben werden: dort die ewige und inhaltlich wenig konstruktive Diskussion darum, ob sich Frauen im generischen Maskulinum mitgemeint fühlen sollen. Es wüsste doch schließlich jede*r, wer gemeint ist, wenn von "Mietern" die Rede sei. Kürzlich ist diese Debatte wieder aufgepoppt, weil der Duden männliche Personenbezeichnungen, wie eben den Mieter, jetzt auch als solche bezeichnet. Ein Mieter ist demnach eine "männliche Person", die beispielsweise eine Wohnung mietet, eigentlich logisch. "Unnötig kompliziert", sagen aber die Gegner*innen dieser Änderung im Duden. "Längst überfällig", sagen andere, die sich auf die inzwischen nicht mehr geringe Zahl an Studien (zum Beispiel hier, hier und hier) berufen, die zeigen, dass mit dem Maskulinum für alle eher Männer vor unserem inneren Auge auftauchen.

Es geht um Politik, nicht um Lesbarkeit

Und wechseln wir nochmal auf die Seite der Befürworter*innen des generischen Maskulinums: Die sind auch der Ansicht, Binnen-I oder Gendersternchen beschädigen die Ästhetik von Wörtern. Und, der Klassiker: Es behindere den Lesefluss. Zwischen dem Hin und Her, wo um mehr oder weniger objektive Argumente gerungen wird, wird gern vergessen: Im Grunde sollte die Argumentation vor allem eine politische sein. Wir sollten uns doch die Frage stellen, wie wir im 21. Jahrhundert sprechen und schreiben wollen. In männlichen Personenbezeichnungen für alle? Wirklich?

Das bring uns schnurstracks zum anderen Ende der Debatte, das um einiges frischer ist: der Forderung nicht-binärer Menschen, sie weder mit "sie" oder "er" zu beschreiben, weil sie weder das eine noch das andere sind, sich also mit keiner dieser beiden Geschlechteridentitäten identifizieren. Hier sei allerdings noch eine kurze Begriffsklärung eingeschoben: Intersexuelle oder Transpersonen werden gern mit nicht-binären Menschen in einen Topf geworfen. Doch eine Transperson, die etwa heute als Frau lebt, aber mit allen biologischen Merkmalen eines Buben auf die Welt gekommen ist, will sehr wohl mit dem weiblichen Pronomen angesprochen werden. Ebenso wollen auch viele intersexuelle Menschen mit einem weiblichen oder männlichen Pronomen angesprochen werden. Das hat also mit dem Anspruch, weder als "sie" oder "er" bezeichnet werden zu wollen, nichts zu tun. Für Transpersonen ist beispielsweise das ihnen angeborene Geschlecht nicht richtig, für Non-Binary stimmt weder das "weibliche" noch das "männliche".

Komplexe Forderungen als Chance

Das bringt uns zum ersten von drei häufig geäußerten Argumenten, die diese Entwicklungen als zu weit gehend oder gar kontraproduktiv ansehen: Das ist doch alles viel zu kompliziert! Nun ja, einfach war es lange genug. Immerhin wissen wir inzwischen, welche Probleme uns die strenge und strikte Geschlechtersegregation gebracht hat: Diskriminierung, geschlechterspezifische Gewalt und eine Limitierung, wie wir als Männer und Frauen zu leben haben, was wir als Männer und Frauen vermeintlich besser oder schlechter können. Ob wir zum Beispiel unsere Gefühle zeigen sollen oder nicht, und wenn, wie wir das tun sollten. Passt das nicht ins Geschlechterbild, dann wird dem Bub auf dem Schulhof schon mal "Schwuchtel" nachgeschrien. Ja genau, auf diesem Level sind wir nämlich. Genau deshalb könnte eine etwas komplexere Vorstellung von Gender doch wirklich nicht schaden.

Die immer öfter ausgesprochenen Forderung von Menschen, weder als Mann noch als Frau adressiert zu werden, könnten wir zur Abwechslung auch als große Chance sehen. Es schärft den Blick darauf, wie sehr Geschlecht unsere Welt sortiert und uns als Männer und Frauen in starren Rollenbildern bevormundet. Wer sich also schon nicht vorstellen kann, wie es ist, beispielsweise als "gestandener Mann" – wie es so schön heißt – als Frau adressiert zu werden, für den oder die könnte womöglich ein frischerer Wind in unsere verkrusteten Geschlechterverhältnisse, unter denen so viele leiden, ein Argument für eine neue Sprachvielfalt sein.

Machen wir doch "echte" Gleichberechtigung

Das bringt uns zu dem Einwand, wir sollten uns doch auf "echte" Gleichstellung konzentrieren, auf "reale" Antidiskriminierung. Doch natürlich ist auch Sprache Politik. Gerade das 20. Jahrhundert hat uns das gezeigt, sowohl im negativen, aber auch im positiven Sinn. Der Nationalsozialismus hat vorgemacht, wie durch aktive Sprachpolitik ganze Personengruppen entmenschlicht wurden. Und ebenso im 20. Jahrhundert kam es zum Linguistic Turn, der sprachanalytischen Wende, die in der Philosophie und Linguistik eine starke Hinwendung zur sprachlichen Vermittlung und all ihren Auswirkungen brachte. Wie wichtig das war, zeigen uns die Forschungen zur kritischen Diskursanalyse, die unter anderem in den Blick nimmt, wie Hass und Ausgrenzung durch den gezielten Einsatz von Sprache betrieben werden. Also ja, auch Sprache ist Politik, und es ist unsinnig, sprachliche von sozialen Entwicklungen zu trennen. Das eine hängt mit dem anderen zusammen.

Der österreichische Philosoph Robert Pfaller kritisiert hingegen vor allem feministische Sprachkritik immer wieder als unsinnige bis infantile Forderungen. Erst kürzlich meinte er in einem Interview mit der deutschen "Taz": "Statt Kinderbetreuungseinrichtungen bekamen wir das Binnen-I." Da will man fragen: Hätten wir ohne Binnen-I mehr Kinderbetreuung? Sicher nicht. Die Ressourcen für die Diskussionen ums Binnen-I gingen doch nicht auf Kosten des Einsatzes für Kinderbetreuungsplätze. Die eine Forderung schließt die andere nicht aus. Man kann Geschlechtergleichstellung – und ja, dazu gehören auch nicht-binäre Geschlechtsidentitäten – doch nicht auf eine Sache, ein Anliegen reduzieren. Und als Journalist*in wäre außerdem zu ergänzen: Über Genderstern und Binnen-I wird trefflicher gestritten als über Kindergartenplätze, es wird mehr gelesen, die Debatten sind schön krawallig. Doch nur weil Berichte darüber mehr Aufregung auslösen, hören Feminist*innen doch nicht auf, mehr Kindergartenplätze einzufordern.

Für die paar Leute?

Und zu guter Letzt das Argument, ob wir uns denn nach ein paar wenigen richten müssten. Schließlich sind "wir" die Mehrheit. Ein Argument, das es in Bezug auf Sprache schon in den 1970er-Jahren gab, als die Linguistin Luise F. Pusch ihr erhellendes Buch "Das Deutsche als Männersprache" veröffentlichte. Nur konnte damals schlecht "wegen den paar Frauen" gesagt werden, und so waren es halt "die paar Emanzen", wegen denen wir sicher nicht anders sprechen und schreiben. Heute dreht sich dieser Einwand vielmehr um neuere Forderungen wie eben von jenen, die weder Mann noch Frau sind. Wegen den paar müssen wir? Nein, müssen wir nicht. Aber es steht demokratischen und sich als fortschrittlich verstehenden Gesellschaften gut an, nicht darauf zu bestehen, dass Mehrheiten Minderheiten vorschreiben, was sie fordern dürfen.

Bedeutet das nun im Umkehrschluss, dass eine Minderheit einer Mehrheit etwas vorschreiben darf? Nun ja, das kann sie gar nicht. Denn wenn wir Minderheiten sagen, meinen wir das gemeinhin nicht rein im numerischen Sinne. Auch die Gruppe derer, die über 80 Milliarden Dollar besitzen, ist sehr klein. Das ist allerdings eine Minderheit, die viel Macht über eine Mehrheit hat. Es geht also vielmehr um die Möglichkeiten einer Minderheit, Einfluss zu nehmen, um ihren fehlenden sozialen Status in einer Gesellschaft. Weder Frauen – obwohl sie rund die Hälfte der Bevölkerung stellen – noch Menschen, die ohne männliche oder weibliche Pronomen angesprochen werden wollen, haben Macht oder Einfluss. Letztere sind außer in ein paar wohlwollenden Kreisen sprachlich nicht existent. Die Frage, ob "wir" uns von "denen" etwas vorschreiben lassen, erübrigt sich also: Sie haben nicht den gesellschaftlichen Einfluss, es zu tun. Schauen wir uns nur um, und wir wissen, wie es um die Macht sexueller Minderheiten steht.

Falsches Bild der Kräfteverhältnisse

Der UN-Menschenrechtsrat konzentriert sich zwar vor allem auf ethnische, religiöse und sprachliche Minderheiten. Doch freilich sollten auch sexuelle Minderheiten das Recht haben, dass nicht die Mehrheit über sie bestimmt. Der aktuelle Diskurs um jene, die weder Mann noch Frau sind, vermittelt oft ein falsches Bild der Kräfteverhältnisse, gerade so, als ob wir plötzlich alle vorgeschrieben bekämen, wie wir reden und schreiben sollen – Panik! Dabei sind die meisten doch noch nicht mal darüber hinweg, dass ein Mieter nun mal keine Mieterin ist. Und wenn sie deshalb weiter das generische Maskulinum für alle verwenden, dann passiert auch nichts. Außer vielleicht, dass zwischendurch wer anmerkt: Geh bitte, können wir nicht, ihr wisst schon, Frauen benennen oder so? Bitte, danke.

Also keine Sorge, die Geschlechterverhältnisse – und damit, wer buchstäblich das Sagen hat –, die sind noch sehr intakt. Wir können uns entspannen. Noch besser wäre es allerdings, neugierig auf neue Ideen zu sein, die unseren ausgeprägten Eindeutigkeitsfetisch bei Gender oder Sexualität hinterfragen. (Beate Hausbichler, 11.3.2021)