In Leonding, im Weichbild von Linz, ruhen Adolf Hitlers Eltern: Der Vater, ein Zollamtsoberoffizial, entsprach fast idealtypisch der Norm deutschnationaler Bürgerlichkeit.

Foto: Robert Newald

Auf den wenigen erhaltenen Porträtfotos, die Hitlers Vater zeigen, stellt dieser ein beträchtliches Imponiergehabe zur Schau. Die stolze Pose des Oberoffizials: bauchig, bourgeois, kaiserbärtig, entsprach dem Zeitgeschmack um 1870. Alois Schicklgruber, aus dem Waldviertel stammend, hatte sich mit einer Disziplin, die seinesgleichen wohl "eisern" nannte, in den Beamtenstand emporgearbeitet. Der Mann mit dem überlieferten eindrucksvollen Bierdurst war Zollwärter. Nieder ließ er sich nacheinander in Braunau, in Passau, Lambach oder Leonding.

Alois, erst spät nach seinem Ziehvater in "Hitler" umbenannt, konnte den Makel der unehelichen Geburt erfolgreich vergessen machen. Seiner Gesinnung nach war er, wie Hunderttausend andere auch, stramm deutschnational. In ihrer Freizeit frönte diese durchschnittliche Erscheinung dem Hobby der Imkerei. Und weil Roman Sandgrubers auskunftsfreudige Biografie "Hitlers Vater" auch minder interessante Aspekte der Daseinsbewältigung rund um 1900 keineswegs verschweigt, darf man erwähnen: Alois aß bevorzugt Geselchtes. Seiner (dritten) Ehefrau gegenüber, Hitlers Mama, war er liebender Patriarch.

Stach ihn der Hafer, schrieb er in der chauvinistischen "Linzer Tages-Post" meist anonyme Artikel. Sein Sohn Adolf, geboren 1889, trat durch keinerlei gesondert überlieferte Eigenschaften hervor. Spielte gerne Cowboy und Indianer und plumpste zu jeder unpassenden Gelegenheit in den Inn oder in andere Strömungsgewässer. Wurde aus ihnen wiederholt herausgezogen.

Überforderter Landwirt

Wie uns Sandgruber noch mitteilt: Aufgrund eines umfangreichen Korrespondenzfundes in Wallern, Oberösterreich, sind ausführliche Proben von Alois-Hitler-Prosa auf uns gekommen. Sie zeigen einen Urheber von umständlichstem Deutsch. Einen Tintenkleckser, der in einer sozial durchlässigeren Welt vielleicht sogar Oberstudienrat geworden wäre: stramm national und überschießend antisemitisch. So besaß der Vater des Massenvernichters Adolf Hitler während einiger Jahre einen Bauernhof in dem Weiler Hafeld bei Lambach, mit dessen Verwaltung er sich gründlich übernommen zu haben scheint.

Es fällt schwer, dem Untertitel von Sandgrubers Buch einigen Glauben zu schenken. Dieser bekundet die Absicht zu zeigen, "wie der Sohn zum Diktator wurde". Die Hinweise auf diese unwahrscheinliche und dadurch umso bedrückendere Verwandlung bleiben indes spärlich.

Der Sohnemann war seit seinen Linzer Realschul-Tagen eine verbummelte, ins Provinzielle verzerrte Existenz. Das oberösterreichische Klima war noch aufgeheizter als in anderen Winkeln der Monarchie. Und immerhin, mit der Darstellung des Zeitkolorits gelangt Sandgruber zu einer Fülle aufschlussreicher Details. Der "Furor teutonicus" bemächtigte sich umfassend der Mittelschicht. Bildeten klerikale und deutschnationale Elemente zusammen eine oftmals trübe Suppe, mutierte der liberale Nationalismus spätestens in den 1890ern in einen pangermanischen Rassismus.

Durchschnitt der Mittelklasse

Sandgrubers Befund lautet folgendermaßen: Der junge Hitler hat sämtliche Betriebsteile zu seinem späterhin eliminatorischen Antisemitismus in Oberösterreich vorgefunden. Er musste sie sich nicht in Wien oder in München zusammenklauben. Was das mit Blick auf die kleine, große Figur seines Vaters meint? Alois Hitler verkörperte den Durchschnitt der Mittelklasse, deren Vertreter die Faust in der Tasche ihres Gehrocks ballten und zu den hohen Festen ihre Kinder prügelten. Dergleichen subsumierte man später unter dem Begriff "autoritärer Charakter" (Erich Fromm). Und meinte damit Konformismus, Autoritätshörigkeit, latente Gewaltbereitschaft et cetera.

Nichts davon scheint in Sandgrubers munterer Historiografie auf: wie aus einem Tagedieb der eine Hitler wurde. Der noch während seiner letzten Tage 1945 manche Zähre im Andenken an seinen "alten Herrn" selbstmitleidig zerdrückte. (Ronald Pohl, 11.3.2021)