Verfassungsjurist Benjamin Kneihs analysiert in seinem Gastbeitrag die geplanten Novellen des Gesundheitsministeriums in Sachen Corona-Pandemie und kritisiert viele darin enthaltene Punkte scharf.

Nach dem vom Gesundheitsministerium vorgelegten Entwurf für eine Novelle des Epidemiegesetzes und des Corona-Maßnahmengesetzes soll bereits ein Zusammentreffen von zumindest vier Personen aus zumindest zwei Haushalten eine potenziell anmelde- oder bewilligungspflichtige Veranstaltung werden, für die Voraussetzungen, Auflagen und Einschränkungen verhängt werden können. Außerdem soll die Verhängung von Ausgangsbeschränkungen erleichtert werden. Daneben werden präzisere Regelungen für Verkehrsbeschränkungen in und gegenüber sogenannten Epidemiegebieten sowie mit dem Ausland vorgeschlagen.

Die Begutachtungsfrist ist vorbei, die Unzufriedenheit über den Entwurf zum Epidemiegesetz des Gesundheitsministeriums groß: Tausende Stellungnahmen wurden eingereicht.
Foto: APA/Neubauer

Die Neufassung der Vorschriften über Verkehrsbeschränkungen im In- und mit dem Ausland stellt einen Schritt in die richtige Richtung dar. Die bisherigen Bestimmungen sind veraltet und viel zu unbestimmt. Die Einreisefreiheit für österreichische Staatsbürgerinnen und Staatsbürger kommt dabei aber ebenso zu kurz wie die für Unionsbürgerinnen und -bürger, die jeweils nur in den Erläuterungen Erwähnung finden. Es wäre außerdem erforderlich, den Begriff des "Epidemiegebietes" in der rechtsstaatlich gebotenen Klarheit zu definieren.

Ohne weitere Unterscheidung ist derzeit ganz Österreich Epidemiegebiet. Bisher wird nicht klar, ob also etwa eine besonders hohe Inzidenz ein Gebiet zum "Epidemiegebiet" macht, und wenn ja, welche, oder ob es besonders bedrohliche Mutationen sind, und wenn ja, welche und in welcher Zahl sie wo auftreten müssen, damit Verkehrsbeschränkungen zulässig sind. So ist der Streit darüber vorprogrammiert und die Verordnungsgewalt des Ministers nicht wirksam beschränkt.

Private Veranstaltungen?

Das Hauptproblem des Entwurfes liegt aber woanders. Aus Furcht vor dem Eingriff ins Private wurde im Gesetz ein Verbot verankert, das Betreten des "privaten Wohnbereichs" zu regeln. Dieses Verbot hat, weil man deshalb nicht anders an die Corona-Partys herangekommen ist, die weitaus drastischeren Ausgangsbeschränkungen überhaupt erst notwendig gemacht, die nicht nur das Privatleben, sondern auch die Freizügigkeit und etliche andere Grundrechte berühren.

Dabei ist es überhaupt nicht "privat", wie man sich in einer Pandemie verhält, die alle betrifft, sei es durch Krankheit und Tod, sei es durch Schulschließungen, durch Arbeitsverlust oder durch die wirtschaftlichen Folgekosten, die wir alle tragen. Das Privat- und Familienleben darf vielmehr aus Gründen der Gesundheit und, ja, auch des wirtschaftlichen Wohls des Landes eingeschränkt werden, im Rahmen von Eignung, Erforderlichkeit und Adäquanz.

Statt nun aber endlich die Regelung des Betretens des privaten Wohnbereiches zu gestatten, wird mit einem Veranstaltungsregime für Treffen zu viert ein weiterer komplizierter Umweg konstruiert, um private Treffen zu regulieren, der schon deshalb überschießend ist, weil er mangels Differenzierung auch berufliche und sogar zufällige Zusammenkünfte betrifft und der außerdem schon wieder weit schwerer in das Private eingreift, weil potenziell jede solche Zusammenkunft einer Meldepflicht unterliegt. Da hilft es auch nicht, dass der Entwurf Differenzierungen nach Art und Ort der Zusammenkunft und ihrer Teilnehmerinnen und Teilnehmer, insbesondere nach ihrem Naheverhältnis vorsieht. Wenn alle diese Umstände berücksichtigt werden sollen, dann müssen sie nämlich auch gemeldet werden. Das bewirkt den eigentlich skandalösen, sicher überschießenden Eingriff ins Private, weil es die Menschen dazu verpflichtet, der Behörde zu sagen, wen sie wann und wo und unter welchen Umständen treffen wollen. Außerdem ist bürokratisches Chaos abzusehen, wenn die ohnehin schon überforderten Gesundheitsbehörden auch noch hunderttausende "Veranstaltungs"-Anmeldungen bearbeiten sollen.

Keine gelindere Maßnahme

Dass Ausgangsbeschränkungen künftig nicht erst bei einem drohenden Zusammenbruch des Gesundheitssystems, sondern schon zur Vermeidung einer unkontrollierten Ausbreitung des Virus verhängt werden dürfen sollen, ist vor diesem Hintergrund weit weniger schockierend als der Umstand, dass der Gesetzgeber seinen Fehler auch hier wiederholt: Ausgangsbeschränkungen sollen künftig nämlich auch zulässig sein, wenn nicht zuvor alle anderen, gelinderen Maßnahmen ausgeschöpft wurden; es soll dafür genügen, dass sie "zweckmäßiger" sind. Der Entwurf verzichtet also auf die grundrechtlich gebotene Verhältnismäßigkeit, und zwar ganz gezielt.

Bezeichnenderweise haben bei alledem die geplanten Verschärfungen bei den Alten- und Pflegeheimen sowie bei stationären Wohneinrichtungen für Menschen mit Behinderungen noch kaum das Licht der öffentlichen Diskussionswelt erblickt, die schon bei weniger als vier Menschen aus zwei Haushalten beginnen sollen. Dabei sind "diese Orte" genau jener "private Wohnbereich" der Betroffenen, dessen Betreten sonst gerade nicht geregelt wird. Diese Menschen haben aber das gleiche Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens und ihrer Wohnung wie alle anderen. Sie sind bloß in einer schlechteren Ausgangslage, weil sie ohnehin schon isoliert sind und ihre sozialen Kontakte nicht beliebig mit technischen Hilfsmitteln ergänzen können, weil sie durch die Krankheit besonders gefährdet und dem "Betrieb" ihrer Einrichtungen ausgesetzt sind. Dass der öffentliche Aufschrei gegen den Entwurf auf sie vergisst, passt ins Bild. (Benjamin Kneihs, 11.3.2021)