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Das erste von einem Menschen, dem "Apollo 8"-Astronauten William Anders, geschossene Foto der Erde.

Foto: Reuters

Wissenschafter begeben sich auf eine kühne Mission: Ein digitaler Zwilling der Erde soll einst das gesamte Erdsystem wirklichkeitsnah simulieren. Wie dies gelingen kann, haben Forschende mit Beteiligung der ETH Zürich kürzlich im Fachblatt "Nature Computational Science" dargelegt. Mit dem bis auf zehn Jahre ausgelegten Projekt namens "Destination Earth" will die Europäische Union die Entwicklung des Klimawandels und Extremereignisse besser vorhersagen können.

So soll ein Informationssystem entstehen, um die Politik besser zu informieren: Werden anhaltende Dürren bestimmte Weltregionen unbewohnbar machen? Welche Küstenstädte bleiben im Zuge des steigenden Meeresspiegels sicher? Lohnt sich der Anbau von besonders durstigen Nahrungsmitteln in bestimmten Regionen in Zukunft?

Naturwissenschaften <3 Computerwissenschaften

"Die Wissenschaft braucht verrückt anmutende Träume, um Fortschritte zu machen", sagte der ETH-Physiker und Direktor des Swiss National Supercomputing Centre (CSCS), Thomas Schulthes. Er gehört zu den Mitautoren der Studie, die zeigt, wie die Träume zumindest aus computerwissenschaftlicher Sicht wahr werden könnten.

Der Weg dorthin wird nicht einfach sein. "Es braucht eine Heirat zwischen Naturwissenschaften und Computerwissenschaften", sagte Peter Bauer, stellvertretender Direktor für Forschung am Europäischen Zentrum für mittelfristige Wettervorhersagen (ECMWF) und Mitinitiator von Destination Earth. Bisher hätten die Naturwissenschaften den Computerwissenschaftern diktiert, wie die Berechnungen aussehen müssten. Das ehrgeizige Vorhaben, das ungleich höhere Rechenkapazitäten und neue Algorithmen benötigt, müsse jedoch von beiden Fachrichtungen Hand in Hand angegangen werden.

Globales Einkilometermodell

Heute basieren Wetter- und Klimasimulationen auf unterschiedlichen Ansätzen, um das Erdsystem zu simulieren. Wettervorhersagen fußen auf einer engmaschigen Auflösung und detaillierten Beobachtungsdaten, um kleinräumige Phänomene wie Föhnsturm oder lokale Gewitterwolken zu erfassen.

Klimamodelle hingegen rechnen mit Auflösungen von mehreren Dutzend Kilometern und beziehen großskalige Prozesse ein, etwa den globalen Kohlenstoffkreislauf. Zunehmend setzt sich jedoch die Erkenntnis durch, dass kleine Skalen für die Klimavorhersage und die Komplexität des Erdsystems für die Wettervorhersage wichtig sind. Destination Earth will deshalb beide Systeme verschmelzen – und ein globales Einkilometermodell entwickeln.

"Garbage in, garbage out" ist ein scherzhafter Ausdruck von Programmieren, der besagt, dass ein Modell eine wenig aussagekräftige Ausgabe produziert, wenn mangelhafte Daten in die Berechnungen einfließen. Dessen sind sich natürlich auch die Macher von Destination Earth bewusst, weshalb auch die Europäische Weltraumorganisation und die meteorologische Satellitenagentur Europas, Eumetsat, mit an Bord des Projekts sind. Satellitendaten sollen dazu beitragen, dass auch diejenigen Erdteile gut repräsentiert werden, in denen wenige Messstationen vorhanden sind – etwa in der Antarktis oder auf den Ozeanen.

Auch Einfluss des Menschen soll erfasst werden

Zudem soll Destination Earth versuchen, den Menschen zu erfassen. So sähe man die Auswirkungen von Wetterereignissen und Klimawandel auf die Gesellschaft, und umgekehrt ließe sich das menschliche Verhalten auf das Klima projizieren. Hoffnung legen die Autoren der aktuellen Publikation in die künstliche Intelligenz (KI): Sie könnte ermöglichen, die Simulationen zu beschleunigen und die wichtigsten Informationen aus großen Datenmengen herauszufiltern.

Die schier unermessliche Datenflut und Komplexität der Modelle werden den Energiebedarf der Supercomputer zweifellos pulverisieren. "Für die anvisierte Auflösung der Modelle brauchen wir eine Leistung von bis zu 250 Megawatt", sagte Schulthess. Zum Vergleich: Das Kernkraftwerk Mühleberg, das vor etwas über einem Jahr außer Betrieb genommen wurde, produzierte eine Leistung von rund 350 Megawatt. "Es macht daher Sinn, künftige Recheninfrastrukturen dort aufzubauen, wo Energie günstig und umweltverträglich erzeugt werden kann."

So soll Destination Earth vorerst auf den drei Euro-HPC-Supercomputern in Finnland, Italien und Spanien laufen. Längerfristig würden die hochaufgelösten Simulationen wohl nur noch in nordeuropäischen Rechenzentren laufen, wo die Opportunitätskosten für CO2-freien Strom tief seien, so Schulthess. (APA, 10.3.2021)