Mehrere Tiktok-Rechercheure haben versucht herauszufinden, ob es sich bei "The Garden" um eine Sekte handelt.

Foto: Screenshot/Tiktok

Ein Leben abseits der Mehrheitsgesellschaft, keine Gewalt und gegenseitige Unterstützung: So bewerben mehrere Tiktok-Influencer aus den USA ihre Kommune namens "The Garden". Während Kritiker den Aufbau einer Sekte befürchten, bestreitet ein Mitglied mit dem Namen "treeisalive" dies vehement. Doch: Die Kommune befindet sich in einem der rassistischsten Teile der USA, und niemand weiß, wie sie finanziert wird. Aussteiger berichten außerdem sehr wohl von sektenartigem Verhalten – und kürzlich kamen Vorwürfe auf, ein Mitglied habe ihre Katze gegessen.

Im ersten Moment klingt es etwas befremdlich, dass die Mitglieder ihren Ausstieg stark auf sozialen Medien bewerben. Denn hier präsentiert eine Gruppe von Personen ihr Leben öffentlich, obwohl sie sich scheinbar ganz bewusst von ebenjener Gesellschaft abgewandt haben. Betrachtet man die Tiktok- und Youtube-Videos der Mitglieder, fühlt man sich vom Aufbau her jedoch schnell an Beiträge von reichweitenstarken Reise-Influencern erinnert, die ihr scheinbar perfektes Leben präsentieren wollen, um ihre Social-Media-Präsenz zu monetarisieren. Bei einigen Menschen lässt dies alle Alarmglocken klingeln. Denn allzu harmlos sind die Inhalte in Wahrheit gar nicht. Zudem erscheint der Auftritt untypisch für eine Kommune.

Keine Homophobie, aber tolerierte Intoleranz?

Einer der wichtigsten Kritikpunkte sind dabei die angewandten Rekrutierungsmethoden. Mit Tiktok-Videos werden Einblicke in das alltägliche Leben gegeben, gezeigt, dass alle harmonisch und im Einklang miteinander leben. Mitglied dürfe dabei jeder werden, der Interesse an ihrem Lebensstil habe. Dabei seien jegliche politische Positionen willkommen, Rassismus, Sexismus und Homophobie hätten hingegen keinen Platz. Zwei Grundsätze, die sich in jeglicher Hinsicht widersprechen. Ein weiteres Problem ist, dass es keinen ernstzunehmenden Überprüfungsprozess von Bewerbern zu geben scheint.

Die Adresse der Kommune ist stattdessen öffentlich und online zu finden, jeder sei willkommen, der sie sich ansehen möchte. Bei Erstankunft dürfe man vorerst zwei Wochen bleiben, dann könne man den Rat der Kommune um eine Verlängerung bitten. Entscheidungen scheinen dabei jedoch rein nach Gefühl getroffen zu werden, glaubt man dem Erklärvideo von "treeisalive". Bedenkt man jedoch, dass "The Garden" in einem der rassistischsten Teile der USA liegt, birgt dies enorme Gefahren für Kinder, People of Color und Mitglieder der LGBTQ-Community, warnen Kritiker. Denn unweit der Kommune sollen sich mehrere sogenannte "Sundown Towns" befinden, die diesen Namen deshalb tragen, weil Schwarze sich dort nach Sonnenuntergang auf der Straße nicht mehr in Sicherheit fühlen können und einst gezwungen waren, das Stadtgebiet am Abend zu verlassen.

Kool Aid und das Jonestown-Massaker

Ein weiteres reichweitenstarkes Mitglied, eine Frau namens Rel Gumson, erreicht auf Tiktok knapp 43.000 Personen. Scrollt man durch ihren Feed, stößt man immer wieder auf Beiträge, in denen sie Gründe auflistet, warum es sich bei "The Garden" nicht um eine Sekte handle. Mehrfach sind außerdem sie und weitere Mitglieder dabei zu sehen, wie sich sich ein Getränk teilen, das provisorisch mit "Kool Aid" beschriftet ist.

Dabei handelt es sich aller Wahrscheinlichkeit nach um eine Anspielung auf den Massensuizid in Jonestown (Guyana), bei dem 1978 mehr als 900 Mitglieder der "Peoples Temple"-Sekte ums Leben kamen. Die gezeigte Verharmlosung des Massakers sorgt auch für einen Aufschrei in den Kommentarspalten unter Gumsons Videos, diese versucht unterdessen, alles als Scherz abzutun.

Erst kürzlich kamen ihr gegenüber jedoch Vorwürfe auf, sie habe ihre eigene Katze erschossen und anschließend gegessen, weil ebendiese mehrere Hühner der Kommune gerissen habe. Gumson bestätigte am Montag in einem Video zwar, dass eine Katze getötet wurde, bestreitet jedoch, dass das Tier gegessen wurde. Zudem sei es nicht sie gewesen, die die Katze umgebracht habe. Sie betont zudem, dass das Vorgehen legal gewesen sei, weil es ein verwildertes Tier war.

Modische Hunde

Welche Version nun stimmt, bleibt unklar. Allerdings kann man Gumson in einem weiteren Video dabei beobachten, wie sie ein pelziges Kleidungsstück streichelt, von dem sie erklärt, dass es sich dabei um ihren früheren Hund handle. Dieser sei von einem Laster überfahren worden, doch da er ihr sehr wichtig gewesen sei, habe sie ihn gehäutet und zu einem Rock verarbeitet.

Einige Tiktoker, die das Treiben der Kommune seit einer Weile zu beobachten scheinen, haben es sich zudem zur Aufgabe gemacht, etwaige Probleme aufzudecken. Ein Nutzer Namens Milo widmete dem Thema deshalb eine zwölfteilige Serie, in der er mit eigenen Recherchen versuchte aufzuzeigen, dass es sich sehr wohl um eine Sekte handle. Andere Nutzer sollen laut einer weiteren Nutzerin sogar noch weiter gegangen sein: Nachdem sie einzelne Mitglieder in sozialen Medien aufspürten, überprüften sie nämlich deren Strafregister.

Dabei wollen sie herausgefunden haben, dass mindestens ein "The Garden"-Mitglied bereits wegen häuslicher Gewalt vor Gericht stand. Zudem würden in einem Radius von fünf Meilen mehrere registrierte Sexualstraftäter leben, wollen die selbsternannten Detektive herausgefunden haben. Diese Videobeiträge sind jedoch inhaltlich stark verkürzt, ob es zu einer Verurteilung kam oder die Beschuldigten freigesprochen wurden, wird gar nicht erst thematisiert.

Genozid als Bevölkerungskontrolle

Ein Mann namens Quentin behauptet im Rahmen eines Gastauftritts bei Milo zudem, zeitweise Mitglied der besprochenen Kommune gewesen zu sein – bei der es sich laut ihm ganz deutlich um einen Kult handle. Personen wie "treeisalive" und Rel Gumson würden unter anderem die Corona-Pandemie leugnen und Genozid als legitime "Bevölkerungskontrolle" unterstützen. Gumson soll einer Frau nach einer Fehlgeburt außerdem gesagt haben, dass diese passiert sei, "weil niemand mehr Kinder kriegen sollte".

Natürlich ist es trotz allem schwierig, "The Garden" mit Sicherheit den Stempel einer Sekte aufzudrücken. Kombiniert man jedoch Faktoren wie die Berichte ehemaliger Mitglieder mit der Verharmlosung anderer Sekten und den für Kommunen unüblich aggressiven Versuchen, neue Mitglieder anzulocken, erscheinen die Zweifel der Tiktok-Rechercheure verständlich. Zudem braucht es nicht allzu lange, um deutlich zu erkennen, dass prominente Mitglieder die Außenwelt verteufeln, aus der einen die Kommune offenbar retten können soll.

True Crime oder doch nur Aussteiger

Milo und weitere Kritiker scherzten hingegen bereits darüber, dass sie sich über die passende True-Crime-Dokumentation freuen, die in den kommenden Jahren unvermeidlich auf Netflix ausgestrahlt werde. In den Kommentaren unter seinen Videos bestärkten einige Zuseher den Tiktoker sogar, dass gerade er wegen seiner Recherchen das Filmprojekt leiten sollte.

Ob es tatsächlich so weit kommen wird oder ob es sich am Ende des Tages doch nur um einen wild zusammengewürfelten Haufen von Menschen handelt, die die Gesellschaft hinter sich lassen wollen, kann derzeit jedoch nicht endgültig aufgeklärt werden. (Mickey Manakas, 11.3.2021)