Hengameh Yaghoobifarah fordert auch schreibend Geschlechter- und Rollenbilder heraus. Nach Artikeln im "Missy Magazine" und Kolumnen für die "Taz" ist nun Yaghoobifarahs erstes Buch erschienen.

Foto: Tarek Mohamed Mawad

Hengameh Yaghoobifarah will nicht mehr über die Kolumne von vergangenem Juni in der Taz sprechen, in der Yaghoobifarah nach dem Tod von George Floyd attestierte, "All cops are berufsunfähig", und daher überlegte, dass alle Polizisten, bei denen der "Anteil an autoritären Persönlichkeiten und solchen mit Fascho-Mindset" sehr hoch sei, auf die Müllhalde gehörten. Yaghoobifarah beantwortet auch keine Fragen mehr zu Hasskommentaren und Morddrohungen. Das soll man vor dem Interview wissen.

Denn immerhin hat Yaghoobifarah inzwischen ein Buch geschrieben. Ministerium der Träume heißt es, und im Zentrum steht Nasrin: Mitte 40, lesbisch, dick, Türsteherin in einer queeren Bar, iranischstämmig. Ein Klingeln weckt sie eines Nachmittags, vor der Tür steht die Polizei: "Wir konnten trotz der fast bis zur Unkenntlichkeit verbrannten Leiche Ihre Schwester identifizieren." Ein Autounfall, lockere Schrauben. Nasrin glaubt, dass es Selbstmord war.

Es geht auf den folgenden fast 400 Seiten um Migration, Genderidentität, Neonazis – also lauter heiße Themen. Yaghoobifarah ist wie Nasrin persischer Abstammung und identifiziert sich als nichtbinär, also nicht eindeutig weiblich oder männlich. Aber zum großen Interesse an dem Buch gehört auch die Vorgeschichte mit der Taz-Kolumne.

"Hässliche Fratze der hasserfüllten Linken"

Seit 2016 schreibt Yaghoobifarah sie unter dem Titel Habibitus, worin das arabische Wort für Freund (Habibi) und der soziologische Habitus verschmelzen. Die Themenlage reicht dementsprechend von Politik bis Popkultur, Deutsche nennt Yaghoobifarah schon einmal "Kartoffel" oder "Annikas" (behütete weiße Mädchen). Nicht jede Folge ist so drastisch wie jene zur Polizei, aber diese machte Yaghoobifarah eben bekannt. Innenminister Horst Seehofer erwog gar, Anzeige gegen Yaghoobifarah zu erstatten, die CSU nannte Yaghoobifarah "hässliche Fratze der hasserfüllten Linken".

Satire, rechtfertigte Yaghoobifarah den Text später und posierte kurz darauf für das Berliner Luxuskaufhaus Kadewe in einem 4.000 Euro teuren Mantel, darunter stand der Slogan "Alles allen". Ein ambivalenter Coup, der bei vielen Linken dennoch auch für Kritik sorgte. Ist Yaghoobifarah Deutschlands Stefanie Sargnagel? In dieser Gemengelage erschien nun also Ministerium der Träume und steht trotz der wenig gefälligen Geschichte und dem Migrationshintergrund der Figuren auf Platz 20 der Spiegel-Bestsellerliste.

Schwerlich angekommen

Auch im Roman ist Humor ein Stilmittel. Wiewohl dosierter, denn die Sache ist ernst. Zwei Zeitebenen lässt Yaghoobifarah dazu parallel ablaufen. Die, in der Nasrin den Todesumständen ihrer Schwester Nushin nachforscht, und jene ihres Aufwachsens ab den frühen 1980ern in Lübeck. Die Mutter ist mit den Töchtern nach Deutschland geflüchtet, der Vater wird in Teheran vom Regime getötet. Nasrins Mutter arbeitet folglich hart, um die drei durchzubringen, und erwartet das auch von den Kindern. Außenseiter mit schlechten Buntstiften und mittels Papier ausgestopfter Schultüte zu sein zeitigt aber Spuren – vor allem bei Nushin, die depressiv wird.

Wie viel Autobiografisches steckt in dem Text? Yaghoobifarah ist 1991 in Deutschland geboren und somit eineinhalb Jahrzehnte jünger als die Hauptfigur Nasrin. Mehr als Eckpfeiler wie das Aufwachsen in einer Kleinstadt, die Queerness, die Abstammung oder dass inzwischen beide in Berlin leben, will Yaghoobifarah nicht mit Nasrin gemein haben. Und das mache ja noch keine Person aus, sondern bloß den Rahmen einer Geschichte.

Einige Erfahrungen teilen beide aber doch. Zwar hat Yaghoobifarahs Vater in Deutschland studiert, aber auch Yaghoobifarah hat Klischees und rassistische Vorurteile erlebt. Trotzdem stand 2017 nicht ein Interesse an rechter Gewalt am Anfang des Romans, sondern an queerem Altern und Familie. "Die Sehnsucht nach Fortpflanzung ist nie bei mir aufgekommen", denkt sich Nasrin, nach dem Tod ihrer Schwester fällt ihr nun aber das Sorgerecht für ihre pubertierende Nichte Parvin zu. Nasrin schaukelt den neuen Alltag zwischen Nachtarbeit, Wäsche waschen, regelmäßig kochen und Erziehung eher schlecht. Auch das Verhältnis zu Parvin wird angespannter.

Und sie passt doch!

Dass ethnisch und sexuell diverse Figuren wie Nasrin in Verlagsprogrammen prominente Plätze erhalten, ist in der deutschsprachigen Literatur erst seit ein, zwei Jahren der Fall: intersektionaler Feminismus statt Heteronormativität, statt weißer Inländerperspektive die von People of Color. Yaghoobifarah machen Autorinnen wie Fatma Aydemir, Shida Bazyar und Olivia Wenzel Mut. "Weil man sich vielleicht gedacht hat, meine Art zu schreiben passt nicht in die deutsche Literaturwelt."

Klar habe es früher auch Viva-Moderatorinnen gegeben, die nicht weiß waren. Aber die bieten ja keine komplexen Gefühlswelten und Lebensentwürfe an. In Filmen und Büchern hat Yaghoobifarah sich jedenfalls kaum wiedergefunden. "Diese Geschichten über mittelständische Familien, in denen alle eigene Zimmer hatten, waren superweit weg von meinem Leben. Ich habe dann teils Fantasy gelesen, weil ich das Gefühl hatte, wenn es schon so abstrakt ist, kann es auch richtig abstrakt werden." Dass Repräsentation schon Probleme löst, glaubt Yaghoobifarah allerdings nicht. Zwar führe das dazu, dass sich manche Menschen früher "ermächtigt" fühlen, doch führe Selbstbewusstsein allein ja nicht zu gesellschaftlichem Wandel. "Die Anschläge in Hanau und Halle sind ja trotzdem passiert. Quoten sind nicht das Ende, sondern das Mindeste. Die Arbeit geht erst los."

Queerness als Normalität

Und da wäre wieder die rechte Gewalt. Es gibt einige Anschläge in der Region, bald wollen Nasrin und ihre Freunde abends nicht mehr raus, auf einem Volksfest werden sie von Nazis bedroht. "Natürlich sind wir in vielen Sachen weiter, aber vieles ist nur subtiler geworden und deshalb ein bisschen erträglicher." Auch bitter: Was migrantische und antifaschistische Gruppen in den 90ern geschrieben haben, war, fand Yaghoobifarah bei Recherchen, "teils fortschrittlicher als das, was man aktuell in Diskursen hört".

Ministerium der Träume ist eine Spurensuche, die Nasrin zurück in ihre Kindheit führt, sie Sex mit einer alten Flamme haben lässt und die in der Entführung Parvins gipfelt. Das schillert vor heutiger Sprache, ist oft rasant, teils etwas lang. Queerness und Migration fügen sich aber zu einer Geschichte, die Diversität sichtbar macht – nicht als Selbstzweck, aber als Lebensrealität. Viele flohen einst aus dem Iran, die Reaktionen aus der Community sind positiv. Unsere Welt ist komplex, sie hat nicht nur Platz für Bücher wie dieses, sie braucht sie auch. (Michael Wurmitzer, 11.3.2021)