Machthaber Lukaschenko und die hartnäckige Geschlechtsstereotype in Belarus sehen Frauen in einer passiven, unpolitischen Rolle. Dass das keineswegs so ist, zeigen die Belarussinnen seit Monaten.

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Belarus ist Spitzenreiter bei der Geschlechtergleichstellung. Ganze fünf Plätze liegt das osteuropäische Land vor Österreich – auf Platz 29 von 153. Das besagt zumindest ein Ranking des Weltwirtschaftsforums, das die Geschlechterkluft im Jahr 2020 von Land zu Land vergleicht. Belarus punktete mit einer hohen weiblichen Erwerbsquote, vor allem in der Justiz und im Parlament.

Diese Zahlen machen stutzig: Schließlich wird das Land seit dreißig Jahren von einem Autokraten regiert, der lautstark seine Ansicht kundtut, dass Frauen in die Küche gehören. Alexander Lukaschenko hat mehrfach öffentlich gesagt, dass Kochen das Einzige sei, worüber er mit Frauen sprechen wolle. Im Parlament seien Mandatarinnen einzig für die Ruhewahrung zuständig, sodass männliche Abgeordnete ihrer Arbeit nachgehen könnten. Hier offenbart sich die Geschlechterkluft im autoritär regierten Belarus: Dort wo Entscheidungsbefugnisse liegen, sind Frauen kaum vertreten. "Gott bewahre, eine Frau strebt das Präsidialamt an – das ist ein rein männlicher Beruf", meinte Lukaschenko einst.

Oppositionsspitze

Und so hinderte Lukaschenko einzig seine männlichen Kontrahenten daran, für die Wahl im August 2020 zu kandidieren. Nichts ahnend hat er damit den Weg für die bisher erfolgreichste Oppositionsbewegung geebnet. Swetlana Tichanowskaja kandidierte anstelle ihres inhaftierten Mannes. Zu ihr gesellten sich Veranika Tsapkala, die ihren geflüchteten Ehemann vertrat, und Maria Kalesnikava, die Ex-Wahlkampfleitern des inhaftierten Wiktar Babaryka. Innerhalb weniger Minuten einigten sich die drei Frauen, ihre Kampagnen zu vereinen. Das war der Opposition noch nie gelungen. Monatelange Massenproteste waren die Folge.

Dass Frauenprotestbewegungen prägend sind, ist nicht neu. Ob bei der Französischen Revolution oder dem Sturz Hosni Mubaraks in Ägypten – Frauen waren daran maßgeblich beteiligt. Ihren eigenen Zielen, der Stärkung der eigenen Rechte, wurde aber oft wenig Beachtung geschenkt. Die im Zuge der Französischen Revolution verkündeten Menschen- und Bürgerrechte galten nur für den männlichen Teil der Bevölkerung. In Ägypten regiert heute jener Mann, Abdel Fattah al-Sisi, der sogenannte "Jungfräulichkeitstest" an Demonstrantinnen legitimierte.

Männlicher Blick

Auch in der Geschichtsschreibung gerate die Beteiligung von Frauen oft aus dem Blick, weil die Revolutionsgeschichtsschreibung sehr männlich sei, meint etwa die Philosophin und Autorin Eva von Redecker.

Dass immer mehr führende Protest-Ikonen weiblich sind, könnte das verändern: Tichanowskaja und ihre Mitstreiterinnen haben inzwischen zwar die Straßen in Belarus verloren– im Hinblick auf das passive Frauenbild im eigenen Land haben sie aber schon einiges bewegt.

Das traurigste Zeugnis dafür ist wohl die neue Furcht des Regimes vor der politischen Macht seiner Bürgerinnen: Demonstrantinnen wurden in Gewahrsam schweren Misshandlungen und Willkürjustiz ausgesetzt. Insgesamt wurden gegen 141 Frauen Strafanzeigen erstattet. Während Tichanowskaja fliehen konnte, sitzt Kalesnikava im Gefängnis. Ihr drohen fünf Jahre Haft. Zwei Journalistinnen wurden bereits zu einer zweijährigen Haftstrafe verurteilt, weil sie einen Protest gefilmt hatten. Der Staatsapparat hält allerdings hartnäcking an Geschlechterstereotypen fest: Berichten von Amnesty International zufolge werden Demonstrantinnen in Gefängnissen beschimpft, schlechte Mütter und Ehefrauen zu sein.

Kinder und Bortschtsch

Auch in Russland müssen sich Frauen, die gegen die Inhaftierung von Kremlkritiker Alexej Nawalny protestieren, ähnliche Vorwürfe von Polizisten gefallen lassen. Sie solle lieber Kinder gebären und Borschtsch kochen, so habe man sie in Gewahrsam beschimpft, berichtet eine Betroffene der "Moskau Times".

Anders als in Belarus hat zwar Nawalnys Frau Julia die Aufrufe, in die Politik einzutreten, abgelehnt, was Frauen aber nicht davon abgehalten hat, sich zu einer dominierenden Kraft innerhalb der russischen Opposition zu entwickeln. (Flora Mory, 12.3.2021)