Wann der Neandertaler ausstarb und warum er überhaupt neben dem modernen Menschen nicht bestehen konnte, ist nach wie vor nicht im Detail geklärt. Dabei ist der Zeitpunkt des Aussterbens der Neandertaler auch wesentlich für die Beurteilung ihrer Fähigkeiten. Wichtige Anhaltspunkte zur Verbreitung des nahen Verwandten von Homo sapiens lieferte nun die Studie eines Forscherteams aus Großbritannien, Deutschland und Belgien.

Die Wissenschafter kamen im Fachjournal "Pnas" zu dem Schluss, dass der Neandertaler in Nordeuropa deutlich früher ausgestorben ist als bisher angenommen. Die genauen Analysen von Knochen, die einigen der letzten Neandertaler im Norden des Kontinents zugeschrieben werden, lassen darauf schließen, dass diese bis zu 20.000 Jahre älter sind, als frühere Untersuchungen ergeben hatten.

Teile des Ober- und ein halber Unterkiefer eines Neandertalers aus der belgischen Spy-Grotte.
Foto: RBINS

Neudatierung mit überraschendem Ergebnis

Die Autoren datierten die Knochen aus der Spy-Grotte in Belgien mit der altbekannten Radiokarbonmethode, allerdings nahmen sie es mit der Aufbereitung des Probenmaterials besonders genau. Sie befürchteten, dass frühere Untersuchungen durch Beimischungen von Fremd-DNA kompromittiert worden sein könnten. So ergab beispielsweise eine Gensequenzierung, dass der Schulterknochen eines Neandertalers, der bisher auf ein Alter von 28.000 Jahren geschätzt wurde, stark mit Rinder-DNA verunreinigt war. Das Fundstück war offenbar durch einen aus Rinderknochen hergestellten Leim haltbar gemacht worden.

Die Radiokohlenstoffmethode, auch bekannt als C14-Datierung, basiert auf dem Umstand, dass der Anteil des Kohlenstoff-Isotops C14 in der Atmosphäre weitgehend konstant bleibt, das selbe gilt auch für lebende Organismen. Stirbt jedoch die Pflanze oder das Tier, wird vom Stoffwechsel kein neues C14 nachgeliefert und der Anteil des Isotops gegenüber C12 nimmt durch radioaktiven Zerfall ab. Die Halbwertszeit von C14 beträgt rund 5.730 Jahre.

Aminosäuren deckten Diskrepanz auf

Beim Analysieren des C12/C14-Verhältnisses der Probe, im Fall der Neandertaler sind es organische Kollagenreste, besteht freilich immer die Gefahr, dass sich Fremdmaterial eingeschlichen hat, das die Messungen verfälscht. Um also sicher zu gehen, dass sie es tatsächlich mit Neandertaler-Kollagen zu tun hatten, haben die Forscher um Thibaut Deviese von der britischen Universität Oxford und der Universität Aix-Marseille in Südfrankreich ganz genau hingesehen.

"Mit unserer Methode sind wir noch einen Schritt weiter gegangen", sagte Deviese. Die Wissenschafter suchten nach ganz charakteristischen Bausteinen von Kollagen, Aminosäuren, von denen sie sicher sein konnten, dass sie einst Teil des Neandertaler-Gewebes waren. Die entsprechende Vorbereitung der Probe ergab dann bei der eigentlichen Messung auch wirklich eine große Diskrepanz zu früheren Untersuchungen: Die Knochen sind demnach offenbar zwischen 40.600 und 44.200 Jahr alt – bisher waren sie um rund 24.000 Jahre jünger datiert worden.

Zweifel an bisherigen Schlüssen

Zusätzlich analysierten die Wissenschafter Knochenfunde aus den belgischen Grabungsorten Fonds-de-Foret und Engis nach ihrer Methode und stellten ein ähnliches Alter wie in Spy fest. "Die Datierung ist entscheidend in der Archäologie", betonte Koautor Tom Higham von der Universität Oxford. "Ohne einen zuverlässigen Rahmen für die Chronologie, können wir uns nicht wirklich sicher sein bei den Erkenntnissen zur Beziehung zwischen Neandertaler und Homo sapiens."

So könnten etwa Werkzeuge, die dem Neandertaler zugeschrieben wurden, doch nicht von ihm, sondern von weiter entwickelten Verwandten benutzt worden sein. Die Studienautoren forderten auf Basis ihrer Daten jedenfalls eine entsprechende Überprüfung dieser Funde. (red, 14.3.2021)