Vermieter und Mieter streiten über die Kosten von Geschäftslokalen, die in der Pandemie nicht genutzt werden können.

Illustration: Davor Markovic

Von "Feuer, Krieg und Seuche" spricht das Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch (ABGB) in § 1104. Das seien die "bekannteren Zufälle", bei denen eine Pacht entfallen kann, schrieb Franz von Zeiller, Schöpfer des Zivilrechtskodex, zu dessen Inkrafttreten im Jahr 1812. Mehr als 200 Jahre später wird die Gesetzesstelle wohl so oft zitiert wie nie zuvor.

Denn Pächterinnen und Pächter sehen sie als Rechtsgrundlage dafür, den Zins für Geschäftslokale aufgrund der Betretungsverbote zu kürzen oder gar gänzlich entfallen zu lassen. Und sie bekamen bei ihrer Rechtsansicht früh prominente Unterstützung: Bereits im Frühjahr des vergangenen Jahres stellte Justizministerin Alma Zadić klar, dass ihrer Rechtsauffassung nach bei einem Betretungsverbot keine Miete fällig werde.

Umstrittene Rechtslage

Was 1812 "bekanntere Zufälle" waren, entwickelte sich im Laufe der letzten Monate zu gängiger juristischer Praxis. Dabei wurde insbesondere eines deutlich: Die Rechtslage ist umstrittener und die Sachverhalte sind vielschichtiger als ursprünglich angenommen.

Dazu kommt, dass sich die Situation fortlaufend verschärft. Denn je länger die Krise dauert, desto eher werden die Mietstreitigkeiten vor Gericht ausgetragen. Auf Dauer geht beiden Seiten der Atem aus. Pächtern von Geschäftslokalen fehlt der Umsatz, um die Mieten bezahlen zu können. Vermieter wollen Stundungen nicht länger akzeptieren und verweisen auf ihre Finanzierungskredite.

Gemäß § 1104 ABGB muss der Mieter keinen Zins entrichten, wenn der Mietgegenstand wegen "außerordentlicher Zufälle" nicht benutzt werden kann. Darunter verstehen Rechtsprechung und Lehre ein vom Menschen nicht kontrollierbares Elementarereignis, für dessen Folgen man im Allgemeinen von niemandem Ersatz erwartet.

Wurde vertraglich nichts anderes vereinbart, ist der Paragraf also in Zeiten einer Pandemie grundsätzlich anwendbar. Nach herrschender Meinung handelt es sich dabei um eine Regelung der Gefahrtragung, die zweierlei Konsequenzen hat: Einerseits entfällt die Zahlungspflicht des Mieters, andererseits ist auch der Vermieter nicht verpflichtet, den Mietgegenstand wieder brauchbar zu machen.

Vertragsdauer

Strittig ist vor allem die Frage, ob neben einem gänzlichen Entfall auch eine Reduktion der Pacht infrage kommt, wenn der Gebrauch des Pachtgegenstands nur eingeschränkt möglich ist. § 1105 ABGB sieht eine Minderung des Mietzinses grundsätzlich vor. Für Pächter ist die Bestimmung aber laut Gesetzeswortlaut nur dann anwendbar, wenn der Vertrag für weniger als ein Jahr abgeschlossen wurde.

"Mieteinnahmen tragen zur Wertschöpfung der Bauwirtschaft bei. Auch eine finanzielle Unterstützung der Vermieterseite wäre wirtschaftlich sinnvoll." Helmut Ofner, Universitätsprofessor und Leiter des Lehrgangs für Wohn- und Immobilienrecht der Universität Wien

Laut Helmut Ofner, Leiter des Lehrgangs für Wohn- und Immobilienrecht an der Universität Wien, kommt § 1104 ABGB nur dann zur Anwendung, wenn die Bestandssache infolge eines außerordentlichen Zufalls überhaupt nicht zum vereinbarten Verwendungszweck benützt werden kann.

Bei der Pacht sei der historische Gesetzgeber davon ausgegangen, dass ein Pächter landwirtschaftlicher Grundstücke bei längerer Laufzeit die Möglichkeit hat, den Verlust wieder hereinzubringen. Denn eine längere Vertragsdauer, so die Intention des Gesetzgebers, würde Schwankungen im Gebrauch der Sache ausgleichen.

Gänzliche Unbrauchbarkeit?

Neben der Frage, ob eine Reduktion des Zinses für Pächter generell möglich ist, wird auch darüber diskutiert, wann eine Bestandssache überhaupt unbrauchbar wird.

Irene Welser, Anwältin und Partnerin bei Cerha Hempel, verweist auf die Bedeutung des vereinbarten Vertragszwecks. Zunächst kommt es darauf an, ob und wie genau der Betriebsgegenstand definiert wurde. Wer etwa Büroflächen miete, habe in der Regel keinen Anspruch auf eine bestimmte Anzahl von Arbeitsplätzen.

Ein bloßer Rückgang von Kunden wegen der allgemeinen Lebensumstände oder verminderte Kaufkraft bewirken jedenfalls keine Unbrauchbarkeit des Objekts. Auch habe der Mieter es oft in der Hand, sein Geschäftsfeld umzugestalten, etwa durch Angebot eines Lieferservice, durch Click and Collect oder sogar durch Adaptierung des Betriebsgegenstands.

"Der Vermieter hat derartige Möglichkeiten nicht. Seine einzige Möglichkeit wäre es, das Mietverhältnis zu beenden und das Objekt anders zu verwerten", sagt Welser.

"Wer seine Küche nur für einen Lieferservice, nicht aber für einen Restaurantbetrieb benötigt, der braucht keine erstklassige Lage im ersten Bezirk." Birgit Kraml, Partnerin bei Wolf Theiss Rechtsanwälte
Foto: Wolf Theiss / Roland Unger

Birgit Kraml, Anwältin und Partnerin bei Wolf Theiss, gibt zu bedenken, dass auch die Argumente der Pächter nachvollziehbar seien: "Wenn ich ein Restaurant miete, dann gehe ich ja davon aus, dass ich aufgrund der Größe des Lokals eine gewisse Anzahl an Gästen empfangen kann. Kann ich gar keine Gäste mehr bedienen und die Küche nur noch für meinen Zustellservice nutzen, dann ist der Mietgegenstand zum bedungenen Gebrauch, nämlich der Nutzung als Restaurant, nicht mehr verwertbar." Wer seine Küche nur für einen Lieferservice benötige, der brauche zum Beispiel auch keine erstklassige Lage im ersten Bezirk, sagt Kraml.

Gutachten der Kammer

Gestützt wurde diese Rechtsansicht zuletzt auch durch ein Gutachten der Wirtschaftskammer, das von Brigitta Zöchling-Jud, Professorin für Zivilrecht und Dekanin des Juridicum, verfasst wurde. Demnach könne ein Mieter nicht dazu gezwungen werden, seinen Betriebsgegenstand zu ändern, also etwa sein Café in ein Lebensmittelgeschäft umzuwandeln. Genauso wenig müsse der Mieter einen Lieferservice einrichten, sofern er nicht schon vor der Pandemie angeboten wurde.

Fraglich ist auch, in welchem Zusammenhang eine mögliche Mietreduktion mit staatlichen Zuschüssen wie dem Umsatzersatz und dem Fixkostenzuschuss steht. Laut Helmut Ofner sei bei Unterstützungsleistungen zu unterscheiden. Der Fixkostenzuschuss diene dazu, bestehende Kosten zumindest teilweise abzudecken.

Fraglich ist, in welchem Zusammenhang eine mögliche Mietreduktion mit staatlichen Zuschüssen wie dem Umsatzersatz und dem Fixkostenzuschuss steht.
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Die Förderrichtlinien des Finanzministeriums sehen allerdings vor, dass Unternehmer zumutbare Maßnahmen setzen müssen, um die Kosten, die mit dem Zuschuss gedeckt werden sollen, zu reduzieren. Die Pächter trifft insofern eine Schadensminderungspflicht.

Umsatzersatz

Laut Richtlinie sollen nämlich nur jene Beträge gefördert werden, die nach einer möglichen Mietzinsminderung auch tatsächlich zu zahlen sind. Macht ein Pächter also den Zuschuss geltend, prüft aber nicht, ob er von der Miete befreit ist, könnte sich die Republik das Geld später zurückholen. Einen Rechtsstreit mit ungewissem Ausgang muss ein Pächter allerdings nicht vom Zaun brechen.

Beim Umsatzersatz werde vereinzelt die Meinung vertreten, dass der Ersatz an den Vermieter herauszugeben sei, sagt Ofner. Das Ministerium wies in einer öffentlichen Stellungnahme aber darauf hin, dass die Zahlungen als staatliche Förderung rechtlich eine andere Qualität haben als eine Versicherungsleistung, die auf einem zivilrechtlichen Vertrag beruht. Aus Sicht des Finanzministeriums ändert also auch der Umsatzersatz nichts an einer möglichen Mietreduktion.

Verfahren werden häufiger

Am Bezirksgericht Meidling ergingen im vergangenen Jahr gleich zwei Urteile, die sich mit Fragen der Mietreduktion beschäftigten und für entsprechendes Medienecho sorgten. Eines der beiden Verfahren betraf einen Friseur, das andere ein Kleidungsgeschäft.

"Wöchentlich kommen neue Fälle dazu. Derzeit steigt die Anzahl der Verfahren, weil auch der finanzielle Druck auf die Vermieter immer größer wird." Paul Kessler, Rechtsanwalt bei Singer & Kessler Rechtsanwälte
Foto: Hannah Neuhuber

Paul Kessler, Anwalt bei Singer & Kessler Rechtsanwälte, vertrat den Friseur, der aufgrund der behördlichen Schließung im ersten Lockdown seine Pacht nicht mehr bezahlen wollte – und gewann das Verfahren. Der Unternehmer argumentierte, dass das Bestandsobjekt wegen der Betretungsverbote völlig unbrauchbar war.

Der Vermieter hielt entgegen, dass das Geschäft auf andere Art, etwa als Lager oder für Werbung, hätte genutzt werden können. Das Gericht gab dem Friseur letztlich recht und folgte der Ansicht, dass die Pacht für die Zeit des Betretungsverbots gänzlich entfällt. Eine sonstige Nutzung des Lokals sei laut Bezirksgericht im gegenständlichen Fall nicht möglich gewesen.

Da der Prozessgegner wider Erwarten auf ein Rechtsmittel verzichtete, ist das Urteil rechtskräftig – und höchstgerichtliche Rechtsprechung zu dem Thema ist weiterhin Mangelware.

Kessler bekomme wöchentlich neue Fälle. Die Zahl der Verfahren nehme derzeit sogar leicht zu, weil auch der finanzielle Druck auf die Vermieter immer höher werde. "Ein Großteil der Streitigkeiten wird außergerichtlich und einvernehmlich geregelt", erzählt der Anwalt: "Verfahren werden nur dort geführt, wo Vermieter- und Mieterseite die Maximalposition vertreten und nicht nachgeben wollen."

Streit ums Landtmann

Prominentestes Beispiel ist wohl das Café Landtmann: Der Betreiber machte für die Zeiträume des Lockdowns einen gänzlichen Mietentfall und für die Zeit dazwischen eine Reduktion geltend. Der Versuch einer einvernehmlichen Lösung mit dem Vermieter scheiterte, nun wird der Streit gerichtlich ausgetragen.

"Auch die geltende Rechtslage bietet ein ausreichendes Instrumentarium, eine für beide Seiten akzeptable, ausgewogene Lösung zu finden." Irene Welser, Partnerin bei Cerha Hempel Rechtsanwälte
Foto: Cerha Hempel / Barbara Nidetzky

Die erstinstanzlichen Urteile des Bezirksgerichts Meidling, die keinerlei Pflicht zur Entrichtung des Mietzinses vorsehen, erleichtern laut Irene Welser keinen konsensorientierten Zugang.

Ganz im Gegenteil stellen sie oft Hemmschuhe für eine vernünftige und ausgleichende Verhandlungslösung zwischen Mietern und Vermietern dar, sagt die Anwältin: "Es ist bemerkenswert, mit welcher Vehemenz im Zusammenhang mit der Problematik zum Teil Stimmung gegen die Vermieter gemacht wird." Und das, obwohl die zugrunde liegende Interessenabwägung durchaus schwierig und die Frage der Risikozuordnung keineswegs eindeutig sei.

Birgit Kraml gibt zu bedenken, dass Vermieter mit den Einnahmen oftmals ihre Kredite zurückzahlen. Im Fall einer Reduktion müssten sie sich gegenüber ihren Banken rechtfertigen. Helmut Ofner mahnt ebenfalls eine differenzierte Betrachtungsweise ein: "Ein Großteil der Mieteinnahmen wird wieder in Bestandsobjekte reinvestiert und trägt zur Wertschöpfung der Bauwirtschaft bei." Seiner Meinung nach wäre daher auch eine finanzielle Unterstützung der Vermieterseite wirtschaftlich sinnvoll.

Illustration: Davor Markovic

Interessenabwägung

Trotz der rechtlichen Unsicherheiten sah der Gesetzgeber bisher keinen Anlass, für Klarstellungen zu sorgen. Laut Paul Kessler wäre es allerdings wünschenswert, wenn die Politik solche für Unternehmerinnen und Unternehmer zum Teil sogar existenzielle Fragen mitbedenkt und Lösungen präsentiert. Leider geschehe das nicht: "Abermals werden die Höchstgerichte nachträglich zu klären haben, wie die Rechtslage war. Rechtsstaatlich ist das höchst bedenklich, aber es ist das erwartbare Ergebnis, wenn der Gesetzgeber nur reagiert statt agiert", sagt Kessler.

Dem widerspricht Welser, denn auch die geltende Gesetzeslage biete ein ausreichendes Instrumentarium, um eine für beide Seiten akzeptable Lösung zu finden. Von Anlassgesetzgebung hält sie wenig: "Das Thema ist so facettenreich, dass von einem juristischen Schnellschuss ebenso dringend abzuraten ist wie von einer Schwarz-Weiß-Betrachtung." Sollte sich der Gesetzgeber dennoch des Themas annehmen, sei laut Welser eine "sorgfältige und angemessene Interessenabwägung unerlässlich". (Jakob Pflügl, Wirtschaft & Recht Magazin, 11.3.2021)