Thomas Walli, Senior Scientist am Institut für Politikwissenschaft an der Universität Innsbruck, geht in seinem Gastkommentar der Frage nach, wie Wissenschaft und Politik kooperieren können.

Virologinnen und Virologen sind die neuen Stars. Die Corona-Pandemie mit all ihren dramatischen gesundheitlichen, wirtschaftlichen und sozialen Umbrüchen hatte zumindest für die Wissenschaft etwas Gutes: Forscherinnen und Forschern wird verstärkt zugehört. Selten zuvor war der Bedarf der Politik an wissenschaftlicher Expertise so groß. In der Geschichte wurden die Beraterinnen und Berater der Regierenden immer skeptisch beargwöhnt. Die Nähe einzelner Wissenschafterinnen und Wissenschafter zur Politik wirft auch heute noch kritische Fragen auf: Wie kann man sicherstellen, dass die Wissenschaft diesen exklusiven Zugang nicht für eigene Interessen missbraucht? Oder dass politische Entscheidungen unseren demokratischen Ansprüchen genügen und es nicht zu einer Technokratie, also einer Herrschaft des Expertentums, kommt?

Wie oft mutiert das Coronavirus? Für einen Überblick braucht es möglichst viele Sequenzierungen: ein Blick ins Labor.
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Der Philosoph Jürgen Habermas hat sich bereits 1968 mit der Beziehung zwischen Beratenden und Regierenden beschäftigt. Er unterscheidet demnach drei Modelle:

Die Herrschaft der Expertinnen und Experten Das sogenannte "technokratische Modell" geht ideengeschichtlich zunächst auf Platon zurück, der bereits vor 2500 Jahren von der "Philosophenherrschaft" sprach. Noch bedeutender war jedoch der englische Philosoph Francis Bacon (1561–1626). Bacon gilt als ein Pionier der heutigen wissenschaftlichen Methoden. Sein Credo: Nur durch eine genaue Beobachtung der Natur kommen wir zu vernünftigen Aussagen. Auf ihn soll zudem der berühmte Ausdruck zurückgehen, wonach "Wissen Macht" sei. Für Bacon war die Erforschung der Natur kein Selbstzweck. Er begriff schon früh die Möglichkeiten, die die Wissenschaft bietet: nämlich die Zähmung der Natur. Seine Utopie einer wissenschaftlich-technologischen Zivilisation, in der sowohl Naturkatastrophen als auch Seuchen durch den Menschen beherrschbar und schließlich vermeidbar sind, war Antrieb für Generationen nachfolgender Wissenschafterinnen und Wissenschafter.

Das "technokratische Modell" der Politikberatung folgt dieser Logik. Die Annahme dabei: Die wissenschaftlich-technische Entwicklung schreitet geradlinig voran. In der Folge wandern immer mehr Inhalte der Politik in die Sphäre der Wissenschaft. Ehemals politische Entscheidungen werden so im wahrsten Sinne des Wortes entpolitisiert und "Sachzwängen" unterworfen. Technokratisches ersetzt demokratisches Regieren.

Dieses Modell hat auch Kritikerinnen und Kritiker auf den Plan gerufen. So kritisiert beispielsweise der britische Politikwissenschafter Colin Crouch die Entpolitisierung vor allem im Bereich der Wirtschaftspolitik (Stichwort Neoliberalismus) und spricht in diesem Zusammenhang von einer "Postdemokratie". Einer Demokratie, in der die wesentlichen Fragen nicht mehr vom Volk, sondern von (vermeintlichen) Expertinnen und Experten getroffen werden. Was "politisch gewünscht" ist, könne demnach nicht gleichgesetzt werden mit dem, was "sachlogisch richtig" ist.

Sachlogisch richtig?

Auch in Zeiten von Corona müssen Politikerinnen und Politiker schwierige Entscheidungen treffen, die die Wissenschaft nicht abnehmen kann. So sind beispielsweise harte Lockdowns aus medizinischer Sicht sinnvoll, haben aber gravierende Folgen für die Wirtschaft und den Arbeitsmarkt. Es gibt somit nicht die eine richtige Strategie; Regierende müssen entlang von Werten abwägen. Kurzum: Die Wissenschaft kann kein gesellschaftliches Wertesystem ersetzen.

Alle Macht geht vom Souverän aus Auch das zweite Modell der Politikberatung, das sogenannte "dezisionistische Modell", entstammte der Philosophie eines Engländers. Thomas Hobbes lebte zu Zeiten des englischen Bürgerkriegs und betonte die Rolle des Souveräns in einem Staat. Nur der Souverän habe die Legitimation, verbindliche Regeln für alle aufzustellen und wenn nötig mit Gewalt durchzusetzen. Für Hobbes war der Souverän natürlich der englische König; in unseren heutigen Demokratien ist das Volk der Souverän.

Im "dezisionistischen Modell" sind Expertenwissen auf der einen Seite und politische Werte auf der anderen Seite klar getrennt. Entscheidungen werden von der Politik ausschließlich anhand von Mehrheiten, Wertvorstellungen und politischem Kalkül getroffen. (Ausgewählten) Forscherinnen und Forschern wird nur dann zugehört, wenn es politisch opportun ist und dem eigenen Machterhalt dient. Diese Form der Politikberatung sehen wir vor allem in Zeiten, in denen keine akuten Krisen (wie etwa Corona-, Migrations-, Finanzkrise) drohen. Das Problem dieses Modells liegt auf der Hand. Unsere modernen Gesellschaften erheben den Anspruch, dass politische Regelungen auch dem aktuellen Wissensstand entsprechen. Herrschende werden schnell Widerstand spüren, wenn sie unsinnige Maßnahmen treffen. Sprich: Auch die demokratischsten Entscheidungen müssen schließlich vernünftig (im Lichte des vorhandenen Wissens, wie es so schön heißt) sein.

Der ständige Austausch Habermas sieht nun die Lösung in seinem "pragmatischen Modell". In diesem stehen die Wissenschaft und die Politik in einem ständigen Austausch. Expertinnen und Experten und Politikerinnen wie Politiker befinden sich in einer kontinuierlichen wechselseitigen Kommunikation auf Augenhöhe.

Die Corona-Pandemie hat gezeigt, dass die Politik eine aktive Wissenschaft benötigt. Einrichtungen wie die Corona-Taskforce im Gesundheitsministerium dienen eben dazu, diesen stetigen Austausch zu gewährleisten. Zugleich ist gesichert, dass gewählte (und legitimierte) Politikerinnen und Politiker Maßnahmen beschließen – und dafür geradestehen müssen. (Thomas Walli, 12.3.2021)