Mysteriöse Morde und private Probleme: Das Ermittlerduo Mendt (Petra Schmidt-Schaller) und Elling (Sascha Geršak) taucht in die eigene Psyche und in die der Pharmabranche ein: "Die Toten von Marnow".

Foto: NDR/Polyphon/Philipp Sichler

Der Anblick ist selbst für hartgesottene Ermittler eine Herausforderung: Die Leiche eines Mannes baumelt in einer Plattenbauwohnung in der fiktiven deutschen Stadt Marnow von der Decke eines winzigen Bades. In seine Stirn ist das Wort "Kinderficker" eingeritzt. Tausende Fliegen spielen inmitten einer Hitzewelle Sterbebegleitung. Der Mord soll das Ermittlerduo Lona Mendt (Petra Schmidt-Schaller) und Frank Elling (Sascha Geršak) von der Kriminalpolizei in Schwerin zu einem Rächer für die Taten eines Pädophilen führen.

Doch nichts ist so, wie es scheint, denn das entspräche auch nicht dem Anspruch des Drehbuch- und Romanautors Holger Karsten Schmidt. Der mehrfache Preisträger deutscher Fernsehauszeichnungen für Produktionen wie Das weiße Kaninchen, Gladbeck, Mord in Eberswalde oder Das Gesetz sind wir hat mit dem ARD-Vierteiler Die Toten von Marnow – zu sehen ab Samstag um 20.15 Uhr – eine Geschichte gezimmert, die in die Abgründe der DDR und westlicher Pharmaunternehmen führt und die sich die Zeit nimmt, sie in all ihren Facetten zu erzählen.

ARD

Die Inspiration holte sich Schmidt von einem dunklen Kapitel von Menschenverachtung, das das Nachrichtenmagazin Der Spiegel im Jahr 2013 enthüllte und das vor allem in den 1980er-Jahren im großen Stil Einzug hielt.

Medikamententests

Als die marode DDR-Wirtschaft vor dem Bankrott stand, sollte das Gesundheitswesen Hilfe leisten: DDR-Kliniken wurden von Pharmaunternehmen aus Westdeutschland, aber auch aus den USA, der Schweiz und Frankreich dafür bezahlt, dass sie ihre Patienten zu Versuchskaninchen machen und an ihnen Medikamententests durchführen. Getestet wurde, was das Zeug hielt: Von Medikamenten für den Kreislauf über Mittelchen gegen Allergien bis zu Psychopharmaka war alles dabei.

Ob die Probanden jung oder alt, schwerstkrank, behindert oder dement waren, spielte in der Profitgier beider Seiten keine Rolle. An den Studien sollen rund 100 DDR-Kliniken teilgenommen haben, wie viele der rund 50.000 Testpersonen – die meisten sollen gefragt worden sein – zu Tode kamen, ist unklar. Dass es Tote gab, ist unbestritten. Und die Staatssicherheit (Stasi) dokumentierte und überwachte eifrig.

Auch in Westdeutschland

Solche Medikamententests sind allerdings alles andere als ein reines DDR-Spezifikum. Ab den 50er-Jahren wurden auch in Heimen und Behinderteneinrichtungen der BRD bis in die 70er-Jahre hinein Kinder für solche Versuche missbraucht. Sogar Säuglinge mussten für Impfstofftests herhalten.

Den Skandal in der DDR hat Holger Karsten Schmidt parallel zum Drehbuch auch in einen gleichnamigen Roman gegossen, der 2020 erschienen ist. In der filmischen Aufarbeitung trägt das Ermittlerduo Mendt und Elling die Last der Geschichte, die allerdings nicht viel schwerer wiegt als ihre eigenen Dämonen. Das schweißt zusammen.

So kämpft Kommissarin Mendt mit Geschehnissen aus der Vergangenheit und vergnügt sich mit ihrem verlobten Arbeitskollegen in ihrem Campingwagen, während ihr Kollege Elling vor den Scherben seines Privatlebens steht. Er ist überschuldet, was ihn anfällig für Korruption macht, und seine Frau betrügt ihn mit einem Politiker. Da kommt so eine Ablenkung in Form einer Mordserie gar nicht so ungelegen.

Viele Schattierungen

Die Stärke der Serie ist neben der verschwitzt-erdrückenden Atmosphäre und den überzeugenden Schauspielern, dass Drehbuchautor Schmidt seine Protagonisten nicht entlang eines Schwarz-Weiß-Schemas verankert, sondern auf Schattierungen und moralische Dilemmata setzt.

Da ist der Kommissar, dessen an Demenz erkrankte Mutter in einem Pflegeheim in den Genuss eines neuen Medikamentes kommt, das ihren Zustand verbessert, und dort ist ein Arzt, der die Tests durchführt und gleichzeitig auf ein Mittel hofft, um seine eigene Tochter zu retten. Packender Stoff! (Oliver Mark, 12.3.2021)