Szene aus "Yellow" am NT Gent, das als Film schwarz-weiß gestreamt wird.

Fred Debrock

Den Traum von einem Platz im "Tausendjährigen Reich", mit dem die Nazis in heilsbringerischer Manier Propaganda betrieben, träumten in den 1930er-Jahren nicht nur viele Österreicher, sondern auch große Teile der flämischen Bevölkerung Belgiens. "Erste Reihe fußfrei" schwelgt einer in Luk Percevals Inszenierung von Yellow: The Sorrows of Belgium II: Rex am Nationaltheater Gent (NT Gent). Das Stück schlüsselt die Kollaborationstragödie am Beispiel einer Familie und ihres Umfelds auf.

Die heute und noch einmal am 19. März als Film gestreamte Inszenierung ist eine elegische Rekapitulation dieser historischen Desillusionierung. Flamen setzten alle Hoffnung in die deutschen Okkupanten, als "germanisches Volk" im neuen Fantasiereich unter Hitlers Führung eine bessere Heimat zu finden als in einem Belgien, in dem alles Niederländische ungewollt war.

Schwarz-Weiß

Als Pfand für eine gute Zukunft schickt die Familie Goemmaere ihren Sohn Jef in den Kampf an die Ostfront. Voller Enthusiasmus und Vertrauen in das "Organisationstalent" und die "Pünktlichkeit" der Deutschen heben sie die Hand zum Hitler-Gruß. Dazu wehen auf der Bühne des NT Gent viele weiße Fahnen feierlich im Wind. Alles in Schwarz-Weiß.

Perceval hat mit seinem Team aus Dokumenten und Archivmaterialien einen schmalen Plot ersonnen, der den allmählichen Verfall des schönen Zukunftstraums in chronologischen Sprüngen nachzeichnet – beginnend mit dem noch zuversichtlichen Sommer 1941. In Nahaufnahmen und vielen Schnitten, die die räumlich verankerte Theaterästhetik aber nie aufgeben (alles spielt um einen großen Billardtisch, auf dem Familienpapiere und Fotos verstreut liegen), erzeugt das expressive Spiel ordentlich Pathos und damit eine komprimierte Dramatik, die einerseits fesselt, die aber um ihr aufklärerisches Anliegen auch allzu heftig wirbt: Ein aufdringlicher Soundscore begleitet den Abend nonstop, von melancholischer Berieselung über aufputschende Trommelklänge bis hin zu dramatischen Arien.

Filmischer Zuschnitt

Dagegen anzuspielen und anzusprechen fällt den Darstellern aber insofern leicht, als in der mehrsprachigen Aufführung (Flämisch, Englisch, Französisch, Deutsch) die Tonspur eigens drübergelegt wurde, manchmal mit noch mangelnder Synchronizität. Briefwechsel werden gelesen und/oder lesend ausagiert, politische Parolen skandiert, häuslicher Zwist (über eine illegal versteckte Jüdin) ausgetragen und auch von Frontkämpfen übers Radio berichtet. Dabei imitiert Schauspieler Philip Leonhard Kelz vom koproduzierenden Landestheater Niederösterreich in der Rolle des österreichischen Offiziers Otto Skorzeny auch einmal Hitler im entsprechenden, konsonantenratternden Deutsch. Ein andermal schuhplattelt er, und man jodelt ihm zu – so viel zu unkaputtbaren Ösi-Klischees in der Kunst.

Der starke filmische Zuschnitt des Abends lässt weitgehend offen, wie die Inszenierung als klassische Saalvorstellung funktionieren könnte. Am Ende, in der Nachkriegszeit (in der sich Nazis nach Spanien absetzten und hofften, unter General Franco unbehelligt weiterleben zu können), erhält der Film wieder Farbe. Diese Technik wird bei der für den Mai geplanten ersten Live-Premiere mit Publikum das menschliche Auge nicht leisten können. Kein großes Manko. Das Landestheater Niederösterreich plant seine erste Aufführung für den kommenden Herbst. (Margarete Affenzeller, 11.3.2021)