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Es gibt zu wenige Betreuungsplätze und zu wenig Geld für suchtkranke Jugendliche in Tirol. Der Kostendruck und die damit verbundene Verantwortung sind enorm. Dennoch wurde versucht, "gewinnbringend" zu arbeiten.

Foto: Getty Images/ martin-dm

Innsbruck – Wie DER STANDARD in seiner Donnerstagsausgabe berichtete, stehen in Tirol schwere Vorwürfe gegen die Sozialeinrichtung "Das Netz" im Raum. Die seit den 1990er-Jahren bestehende Institution ist eine der ganz wenigen im Land, die sich in der Arbeit mit suchtkranken Jugendlichen engagiert. Die 42 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben es dabei mit einer ebenso vulnerablen wie schwierigen Klientel zu tun. Wie Recherchen ergaben, müssen sie diese Arbeit unter sehr schwierigen Bedingungen leisten.

Die Vorwürfe gegen die Einrichtung betreffen nicht die Arbeit an sich, sondern die Umstände, unter denen sie geleistet wird. Denn der Leiter, der Psychologe Gerald Thurnher, hat ein undurchsichtiges Firmenkonstrukt rund das Netz aufgebaut, das sich offenbar aus Steuergeldern, die er für diese Einrichtung vom Land Tirol erhält, speist. Er führt das Netz als Einzelunternehmen, wodurch die Einrichtung gewinnbringend arbeiten muss, um ihm als Unternehmer überhaupt ein Einkommen zu sichern.

Gewinne eigentlich nicht vorgesehen

Nun basiert die Arbeit von Netz aber auf Leistungsverträgen, die mit dem Land Tirol abgeschlossen werden. Das Land kauft bei Trägerorganisationen, die über eine Bewilligung nach dem Tiroler Kinder- und Jugendhilfegesetz verfügen, unterschiedliche Leistungen zu und bezahlt dafür bestimmte Tagsätze im stationären Betreuungsbereich. In diesen Leistungsverträgen ist festgeschrieben, dass zuerkannte Mittel zurückbezahlt werden müssen, wenn sie nicht verwendet wurden. Dass Einrichtungen, die sich über solche Leistungsverträge finanzieren, gewinnbringend arbeiten, widerspricht sich somit.

Wie aktuelle Recherchen aufzeigten, scheint die Leitung von Netz, mit verschiedenen Konstrukten diese Rückzahlung mutmaßlich umgangen zu haben. Denn laut Angaben Thurnhers hat dieser mit Rücklagen aus dem laufenden Betrieb im Netz mit seiner Immobilienfirma, die er auch betreibt, zumindest eine Wohnung gekauft, die er in der Folge seiner eigenen Einrichtung Netz zur Unterbringung von Jugendlichen weitervermietete. Beim Land Tirol wusste man davon bisher nichts.

Intransparente Strukturen

Das Leistungsentgelt, das Netz im Jahr 2019 vom Land erhielt, betrug insgesamt rund 1,8 Millionen Euro. Es teilt sich auf zwei Bereiche, die volle Erziehung und die Unterstützung der Erziehung. Beide Bereiche sind allerdings nicht klar getrennt aufgrund der intransparenten Strukturen. Das mehrfache Ersuchen des STANDARD, Einsicht in die Bilanzen von Netz zu erhalten, die im Firmenbuch nicht zu finden sind, da es eben als Einzelunternehmen geführt wird, wurden abgelehnt. Auch dem ehemaligen Betriebsrat wurde diese Einsicht, obwohl sie ihm rechtlich zusteht, verweigert. Er hatte darum angesucht, nachdem betriebsintern im Jänner 2021 Gerüchte kursierten, die Einrichtung sei zahlungsunfähig. Statt der Einsicht erhielt er die Dienstfreistellung und ein Betretungsverbot für die Einrichtung. Vor wenigen Tagen wurde er nun über seine Entlassung informiert, wogegen er mithilfe der Gewerkschaft klagen wird.

Dass es in Tirol zu wenige Angebote für suchtkranke Jugendliche gibt – und damit so gut wie keine Alternative zum Angebot von Netz –, kritisierte zuletzt die Plattform "Drogentod ist kein Schicksal", die sich im Herbst 2020 aus Ärzten, Sozialarbeitern und Betroffenen formierte. Anlassfall war die jüngste Drogentote Tirols im August 2020 – eine 13-Jährige starb damals an einer Überdosis Medikamente. Sie war Klientin in der Einrichtung Netz. Ihr Schicksal ist nicht der Einrichtung anzulasten, allerdings werfen die Rahmenbedingungen, unter denen dort gearbeitet wird, Fragen auf. Denn es gibt keine schriftlichen Dienstverträge, und der Leiter lehnt auch den Kollektivvertrag ab, weil er ihn für nicht praktikabel erachtet.

SPÖ fordert Aufklärung

Diese Missstände riefen mittlerweile auch die Politik auf den Plan. Für die Jugendsprecherin der Tiroler SPÖ, Elisabeth Fleischanderl, ist die skizzierte Situation "mehr als besorgniserregend". Sie spricht von einer "Pflichtverletzung des Landes" und der zuständigen Soziallandesrätin Gabriele Fischer (Grüne), deren Aufgabe die Kontrolle der Einrichtung wäre.

Zugleich nimmt sie die Leitung von Netz selbst in die Pflicht: "Die Aufgabe der Leitung ist es, Jugendliche in Notlagen zu unterstützen und die dementsprechende Infrastruktur zur Verfügung zu stellen und nicht Profit daraus zu schlagen. Es braucht eine sofortige Aufarbeitung der Ereignisse in der Sozialeinrichtung, inklusive der Klärung der politischen Verantwortlichkeiten für die Missstände." (Steffen Arora, 12.3.2021)