Harald Krassnitzer ermittelt als Moritz Eisner am Sonntag im "Tatort: Die Amme", 20.15 Uhr, ORF 2, ARD.

Foto: ORF/Prisma Film

Eine Prostituierte wird ermordet, deren Kind ist verschwunden. Wohin, das wissen am Sonntag im Tatort bis zum Schluss nur die Zuschauer. Bibi Fellner und Moritz Eisner tappen im Dunkeln. Der Fall Die Amme – Buch: Mike Majzen, Regie: Christopher Schieram – bringt am Sonntag mit Max Mayer einen psychopathischen Bösewicht und ist Harald Krassnitzers 50. Fall.

STANDARD: Können Sie sich vorstellen, einmal einen Bösewicht zu spielen?

Krassnitzer: Absolut. Ich weiß nur nicht, ob ich das so fantastisch hinkriegen würde wie Max Mayer.

STANDARD: Bösewichte sind generell recht beliebte Figuren, nicht aber die Kindesmissbrauchstäter. Sie hätten tatsächlich keine Scheu davor?

Krassnitzer: Nein. Ich glaube aber, dass sich die wenigsten Schauspieler bei der Auswahl einer Rolle mit dem Gedanken auseinandersetzen, um Gottes Willen, da werde ich ja überall als "Kinderverzahrer" angesehen. Wenn ich im Supermarkt einkaufen gehe und mich die Leute als Eisner ansprechen, dann meistens deshalb, weil ihnen mein Name gerade nicht einfällt.

STANDARD: Der Bösewicht fehlt in Ihrem Rollenrepertoire bisher trotzdem fast völlig. Dann fehlen die Angebote?

Krassnitzer: Dazu gibt es eine traurige Geschichte. Wir haben letztes Jahr mit Marion Mitterhammer und Hans Günther Bücking den Film "Taktik" gedreht, in dem ich eine Rolle mit einer sehr menschenverachtenden Charakteristik spielte, der gerade Frauen gegenüber eine wirkliche Drecksau ist. Der Film war fürs Kino gedacht und liegt jetzt aus Corona-Gründen auf Eis. Zumindest sagt man mir, dass man diese Form der Grausamkeit nicht von mir erwartet hätte. Das zu spielen hatte schon einen gewissen Reiz. Also ja, ich kann mir vorstellen, auch einmal einen Kindesmissbrauchstäter zu spielen, das würde aber wahrscheinlich viel Irritation auslösen.

STANDARD: Der Tatort ist jetzt 50+: Altert er in Würde?

Krassnitzer: In unserem Fall würde ich sagen ja. Wenn ich mir die Kollegen anschaue, kann man darüber diskutieren, aber im Großen und Ganzen entdecke ich immer wieder eine große Buntheit und eine hohe Vielfältigkeit, und auch mit den viel gescholtenen Experimenten kann ich umgehen, weil ich es für opportun halte, in einer solchen Reihe etwas auszuprobieren.

STANDARD: Manchmal hat man ein wenig das Gefühl, der Tatort wehrt sich ein wenig gegen die Veränderung draußen. Verträgt sich der alte Tatort mit modernen Ermittlungsmethoden einfach nicht – oder warum ist er so veränderungsresistent?

Krassnitzer: Es geht uns eher um die Bedienung der beiden Charaktere und um eine andere Form. Das ist der Glücksfall, dass wir mit einer bestimmten Art archaisch sind und nie zu einem C.S.I. mit einem hohen Tempo werden wollen. Im Endeffekt erfahre ich über uns etwas über Menschen und was mit Menschen passiert.

STANDARD: Es gibt schon ein Mittelding zwischen C.S.I. und der Frage, wie neue Ermittlungsmethoden die Verbrechen und das archaische Team verändern.

Krassnitzer: Ich gebe Ihnen Recht. Es gibt ein spannendes Feld im Bereich KI, wenn die künstliche Intelligenz die Erkennung und die Wahrnehmung von Dingen übernimmt und hochrechnet und das Potential eines Täters erschließt und du am Ende dastehst und zwischen dem entscheiden musst, was ein Algorithmus errechnet hat und dem, was glaubwürdig ist. Dann ist das ein wirklich spannendes Thema. Aber ich weiß nicht, ob die Wiener Polizei schon mit diesen Technologien arbeitet.

STANDARD: Viel wird derzeit auch über Diversity geredet. Wie sehen Sie da den Tatort aufgestellt?

Krassnitzer: Da hinken wird genauso nach wie alle anderen. Wir hinken nach, was Menschen mit Migrationshintergrund in den Filmen betrifft. Was den Frauenanteil betrifft, sind wir besser geworden und bekommen Gott sei Dank mehr Regisseurinnen, Autorinnen und Kamerafrauen. Beim Thema Migrationshintergrund sind wir im Tatort wahrscheinlich sogar noch besser unterwegs als viele andere, weil es bei Maria Furtwängler eine schwarze Polizistin ermittelt und in anderen Städten türkische Polizisten arbeiten. In Österreich haben wir das noch nicht.

STANDARD: Woran liegt das? Wird das nicht thematisiert?

Krassnitzer: Vielleicht übersehen wir das ja. Was wir aber sehr wohl immer als Thematik haben, ist die Frage, wollen wir uns wieder auf das Klischee der osteuropäischen Schlepperbande oder der nigerianischen Drogendealer einlassen, was letztlich immer darauf hinausläuft, dass das Fremde zugeschlagen hat und die österreichischen Wächter es wieder in Ordnung bringen. Oder bedienen wir etwas, was in unserem Biotop liegt und das nicht à priori einen Migrationshintergrund hat.

STANDARD: Oder man von der Problemzone weg und schafft Vielfalt über Kollegen, deren Herkunft nicht mehr extra thematisiert werden muss.

Krassnitzer: Einen, wo wir dann nicht mehr darüber reden, dass er oder sie eine wie immer geartete Herkunft hat. Es ist nicht mehr entscheidend, woher du kommst, sondern Hauptsache, dass du mitarbeitest.

STANDARD: Im Tatort leidet Bibi Fellner an Schlaflosigkeit. Wie geht’s Ihnen mit dem Schlaf?

Krassnitzer: Ich gehöre zu den Privilegierten, ich habe ein Haus, ich verstehe mich mit meiner Frau, weil wir viel reden, wie es uns geht, was mit uns passiert. Wir haben Familie um uns, die wir betreuen können, und wir haben einen Garten – alles Dinge, die einen eine solche Krise gut überstehen lässt. Aber natürlich sehe ich viele Symptome um uns, die zeigen, dass es vielen Menschen nicht gutgeht und dass das eine sehr haarige Geschichte ist.

STANDARD: Wie sehen Sie die Maßnahmen der Regierung?

Krassnitzer: Ich sehe beide Maßnahmen, in Deutschland und in Österreich. Ich tue mir schwer, hier zu verurteilen. Zum einen geht es einem mittlerweile auf die Nerven, die Pressekonferenzen, die täglichen Infektionszahlen und die tägliche Geschichte, wir bitten um und wir appellieren an und man darf nicht, man soll nicht, man kann nicht. Da fehlt mir manchmal schon das, was man Horizontlinie nennt. Aber ich sehe das nirgendwo, wir haben überall das weltweit selbe Phänomen der Erstarrung und des Drucks, der zunehmend steigt. Wenn man sich dann genauer fragt, wie hätte man es besser machen sollen, dann muss man ganz ehrlich sagen, spätestens ab der dritten Frage kommt man drauf, dass man bestimmte Aspekte einbeziehen muss und der Weg nicht anders gegangen wäre.

STANDARD: Zugespitzt formuliert, könnte man sagen: Als SPÖ-Mitglied sind Sie Pamela Rendi-Wagner und Michael Ludwig in einem – zwei Herzen in einer Brust.

Krassnitzer: Das ist genau das Problem. Wir werden keine eindeutigen Entscheidungen treffen können. Wir können aufmachen, ja, und das wäre die größte Sehnsucht und wir werden erleichtert sein, aber was ist, wenn übermorgen die dritte Welle so durchschlägt, dass sie unsere Systeme wieder an den Rand bringt und wir wieder zusperren müssen und uns wieder weiterhanteln müssen? Ich sehe die Problematik darin, dass wir nicht schon früher härtere Maßnahmen gesetzt haben, da hätte man entschiedener sein können. Aber selbst das ist eine Hätti-wari-Theorie, die auf keiner Evidenz beruht. Wir werden hoffentlich die Zeit bis zur Impfung auch noch durchtauchen, aber es liegt völlig auf der Hand, dass diese Zeit eine Offenbarung ist und uns zeigt, wo unsere Schwachstellen sind und es danach viele Fragestellungen geben wird, wie wir weitermachen. (Doris Priesching, 12.3.2021)