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In Umbruchsphasen und Stresssituationen brauchen Kinder oft noch mehr Nähe.

Foto: Getty Images/Viacheslav Peretiatko

Frage:

"Lieber Familienrat! Vor einem halben Jahr bin ich mit meinem neuen Partner zusammengezogen. Er hat eine sechsjährige Tochter, und das Zusammenleben läuft zum Glück sehr harmonisch ab. Die Kleine mag mich sehr, und ich sie. Das einzige Problem: Sie kommt jede Nacht zu uns ins Bett. Sie geht zwar in ihrem eigenen Bett schlafen, aber um circa drei Uhr taucht sie bei uns auf und will kuscheln. Dann wird es sehr eng, und ich kann nicht mehr richtig weiterschlafen.

Nachdem ich mein Problem angesprochen habe, herrschte bei uns ein paar Tage lang Eiszeit. Mein Partner sagt, er möchte seine Tochter nicht 'verstoßen'. Seine Trennung von ihrer Mutter sei noch zu frisch. Meine Beobachtung ist aber, dass er sich grundsätzlich schwertut, ihr etwas abzuschlagen. Er denkt, dass sie ihn nur liebt, wenn er ihr alle Wünsche erfüllt. Als ich eingezogen bin, haben wir ihr Kinderzimmer ganz neu renoviert, inklusive einem neuen Bett ihrer Wahl. Dass sie nachts trotzdem zu uns kommt, ist meiner Meinung nach reine Gewohnheit. Immerhin ist sie schon sechs!

Ich habe vorgeschlagen, dass sie ja in der Früh kuscheln kommen kann. Das reicht meinem Partner nicht. Er hat vorgeschlagen, dass er fortan ja im Gästezimmer schlafen kann. Dann würde ich nicht mehr gestört werden. Das ist für mich aber auch keine zufriedenstellende Lösung. Ich weiß wirklich nicht mehr weiter. Was würden Sie uns raten?"

Antwort von Hans-Otto Thomashoff

Probleme beim Schlafen sind bekanntermaßen die häufigsten Probleme mit Kindern. Das mag daran liegen, dass wir Menschen von Natur aus eben keine Einzelgänger, sondern Hordenwesen sind, die durchaus gern kuscheln. Wenn wir in den Schlaf sinken, schaltet unsere Psyche auf ein früheres Funktionsniveau zurück, und da entspannt körperliche Nähe besonders – in jedem Alter. Dennoch ist es bei uns üblich, dass wir lernen, allein zu schlafen, was in der Regel auch ganz gut gelingt, jedoch schwierig wird, wenn es außergewöhnlichen Stress gibt.

Genau an dieser Stelle wird es trickreich. Die Frage ist nämlich, ob die Kleine wirklich Stress hat oder ob sie Ihnen beiden nur auf der Nase herumtanzt. Die Uhrzeit spricht eher für Ersteres. Denn um drei Uhr nachts setzt der Körper das Stresshormon Kortisol frei, um uns auf den kommenden Tag vorzubereiten, in der Regel in geringen Mengen, die uns nicht den Schlaf rauben, bei viel Stress jedoch so, dass wir senkrecht im Bett stehen, wie jeder weiß, der einmal stressbedingte Schlafstörungen gehabt hat.

Hans-Otto Thomashoff ist Psychiater, Psychoanalytiker, zweifacher Vater und Autor. Zuletzt veröffentlichte Bücher: "Das gelungene Ich" (2017) und "Damit aus kleinen Ärschen keine großen werden" (2018).
Foto: Andrea Diemand

Der Weg herauszufinden, ob die Kleine nicht schlafen kann oder nicht allein schlafen will, läuft normalerweise über das Gefühl, das sie damit bei ihren Eltern auslöst. Und genau das ist in der aktuellen Lage unübersichtlich. Der Vater scheint ein schlechtes Gewissen gegenüber seiner Tochter zu haben, weil es zu einer Trennung von der Mutter kam. (Sofern die Kleine auch Zeit bei der Mutter verbringt, ist er zudem möglicherweise auch in Konkurrenz zu der Mutter des Kindes, weil er es besser machen will als sie.) Und Sie selbst wiederum sind verärgert über das Verhalten des Mädchens, das mit seinen zarten sechs Jahren offenbar schon geschickt mit Ihnen um die Gunst ihres Vaters buhlt.

Um Ordnung in dieses Gefühlswirrwarr zu bringen, gilt Folgendes: Der Vater sollte sich nicht von seinem schlechten Gewissen leiten lassen. Wenn das Mädchen Geborgenheit braucht, kann es sie bekommen, aber nicht auf Kosten der Partnerschaft, die sollte außer in Notsituationen grundsätzlich immer Vorrang haben – zur Stabilisierung der Partnerschaft und als Vorbild einer lebensechten gelungenen Beziehung für das Kind. Die Partner sollten sich nicht von dem Mädchen in der Nacht trennen lassen.

Praktisch bedeutet das, wenn die Kleine wirklich die nächtliche Nähe noch braucht, kann sie sich auf der einen Seite an den Vater ankuscheln, sie muss ja nicht notwendigerweise zwischen Ihnen beiden liegen. Hier kann ein vorübergehendes Zustellbett hilfreich sein. Und der Vater kann ihr auch erklären, dass sie immer einen sicheren Platz bei Ihnen beiden hat, dass Sie beide aber zusammengehören – am Tag wie in der Nacht. (Hans-Otto Thomashoff, 18.3.2020)

Antwort von Linda Syllaba

Wenn Kinder nachts zu ihren Eltern ins Bett kommen, suchen sie Sicherheit. Die körperliche Nähe und der Umgang mit der Situation vermitteln idealerweise: "Hier bist du geborgen." Es gibt immer einen Grund für ein gesteigertes Nähe- und Sicherheitsbedürfnis. Kinder machen so etwas nie, um jemanden zu ärgern, sie tun es für sich, weil sie etwas brauchen. Dieses Mädchen erlebte die Trennung der Eltern, das bringt Ihr Partner ja auch als Argument vor. Nun findet sie sich, wie Sie sagen, harmonisch in der neuen Patchworksituation ein – was schön, aber nicht selbstverständlich ist.

Ich habe die Erfahrung, dass man Kinder, die sich etwa in Umbruchphasen ruhig, harmonisch und angepasst verhalten, ganz besonders gut beobachten sollte, denn sie zeigen nur sehr unauffällig, wenn es ihnen schlecht geht – sie brauchen jedoch genauso wie die "lauten" Kinder unseren Beistand. Auch ein sechsjähriges Kind muss lebenseinschneidende Veränderungen emotional verarbeiten. Deshalb, denke ich, ist es vollkommen in Ordnung, dass sie dabei die Nähe ihres Vaters sucht. Natürlich ist es lästig, wenn Sie dadurch in Ihrer Nachtruhe gestört werden. Doch ich fürchte, Sie werden zumindest eine Zeitlang damit leben müssen und darauf setzen, dass es auch wieder nachlässt. Ein solch fundamentales Bedürfnis wie das der Tochter lässt sich zwar mit Gewalt verschieben, ich würde es jedoch nicht anraten.

Linda Syllaba ist diplomierte psychologische Beraterin, Familiencoach nach Jesper Juul und Mutter. Aktuelles Buch: "Die Schimpf-Diät" (2019).
Foto: Bianca Kübler Photography

Familienleben geht immer wieder mit Kompromissen einher. Mit etwas Geschick gibt's auch Konsens. Wir müssen laufend schauen, welche Bedürfnisse sind gerade von wem in der Familie da, was ist momentan dringend, also welches hat gerade Vorrang? Das ist ein lebendiger Prozess, bei dem niemand Gewinner oder Verlierer sein soll. Es verändert sich einfach immer wieder. Natürlich soll keine Schieflage zugunsten eines Familienmitglieds auf Dauer entstehen. Deshalb braucht es das wachsame und verantwortungsbewusste Auge von Erwachsenen, die das im Blick behalten. Wenn Sie tagsüber zusätzlich darauf achten, das Mädchen in ihrer Gefühlswelt wahrzunehmen und zu begleiten, wird sich das auch auf die nächtlichen Ausflüge auswirken. Denn je geborgener sie sich fühlt, umso besser kann sie schlafen. Und Sie auch. (Linda Syllaba, 18.3.2020)