Jeder kennt sie, die Geschichten von Menschen, die 60 Stunden pro Woche arbeiten und irgendwann nicht mehr können. Die alles geben und irgendwann ausbrennen. Wenn es um Burnout geht, schwingt immer ein "Zuviel" mit.

Dass das Zuviel aber nicht unbedingt der ausschlaggebende Grund dafür ist, wieso Menschen an einem Burnout leiden, behauptet nun eine neue Studie. Die Autorin ist Tanja Reiter, Unternehmensberaterin und Business-Coach. Für ihre Dissertation an der Sigmund-Freud-Universität in Wien hat sie Burnout-Patientinnen und -Patienten befragt. Ziel war es, herauszufinden, was dazu führt, dass manche Menschen ausbrennen und andere nicht. "Ich habe lange in Konzernen gearbeitet und dort erlebt, wie Menschen ins Burnout fallen. Der Grund war für mich aber nur selten ersichtlich."

Unternehmensberaterin und Business-Coach Tanja Reiter erforschte die Ursachen von Burnout.
Foto: Suzy Stöckl

Eine Frage der Werte

Reiter prüfte mehrere Faktoren: Wie alt ist jemand? Wie ist sein oder ihr soziales Umfeld? Hat er oder sie Kinder? Oder pflegebedürftige Angehörige? Auch das Arbeitspensum oder die Arbeitszeiten fragte sie ab. Keiner der Faktoren schien einen entscheidenden Einfluss auf die Gefahr eines Burnouts zu haben, was Reiter selbst überraschte. Auch das Betriebsklima oder die Gesundheitsvorsorge in der Firma spielten keine große Rolle. Viel entscheidender ist laut der Studienautorin: "ob man sich selbst und seinen Werten treu bleibt".

An der Befragung nahmen Angestellte und Führungskräfte teil. Sie alle sind in österreichischen Großkonzernen, in ganz unterschiedlichen Branchen tätig: bei Versicherungen, in Banken, der IT, im Bauwesen, der Pharmabranche oder im Consulting. Die Befragungsergebnisse waren hierarchie- und branchenübergreifend dieselben: Wenn jemand über einen längeren Zeitraum permanent seine Bedürfnisse überging, brannte er früher oder später aus.

Unter Bedürfnissen versteht Reiter ganz grundlegende gesundheitliche Bedürfnisse wie Erholung. Aber auch, dass man seinen Werten treu bleibt. "Es beginnt schon damit, dass jemand ein Studium beginnt, nur weil die Eltern studiert haben." Ein Befragter habe auch angegeben, dass er eine Beförderung annahm, obwohl er diese eigentlich nicht wollte. Ein anderer, dass er aus Verpflichtung seiner Familie gegenüber einen Job anfing, den er nicht mochte. "Es wirkt so, als ob der Verrat an sich selbst, das Ignorieren seines Naturells und seiner Möglichkeiten ein Garant für die Prognose eines Burnouts wären", sagt Reiter.

Wenn jemand über einen längeren Zeitraum permanent seine Bedürfnisse überging, brannte er früher oder später aus.
Foto: imago images/fStop Images

Hinter der Fassade

In den Interviews, die sie für die Studie führte, gab ein Großteil der Befragten an, eine Maske aufgehabt oder eine Show abgezogen zu haben. "Sie spielten jemanden, der sie eigentlich nicht waren. Sie hielten eine Fassade aufrecht – bis es nicht mehr ging." Der Umkehrschluss – also dass jemand, der seine Arbeit leidenschaftlich gerne macht, nicht gefährdet ist – sei aber nicht richtig, sagt Reiter. Denn wer über die Liebe zum Beruf andere Bedürfnisse ignoriert, laufe ebenfalls Gefahr.

Reiters Vorschlag zur Burnout-Prävention sind deshalb lebensphilosophische Fragen. "Man sollte sich möglichst früh klar werden: Was will ich in meinem Leben? Was soll Teil meines Lebens sein?" Ansonsten schlittere man in ein Studium und einen Job, die einem nicht entsprechen, und schaffe mitunter den Absprung nicht. "Obwohl man spürt: Das ist nicht stimmig für mich", sagt Reiter. "Aber einen Weg, den man vor Jahren eingeschlagen hat, nochmals abzuändern, ist viel schwerer, als sich schon im Voraus damit auseinanderzusetzen."

"Was?" und "Wie?"

Auch im späteren Leben und bei kleineren Entscheidungen zahle es sich aus, sich selbst gut zu kennen. Wichtig sei nicht nur das Was, sondern auch das Wie des Arbeitens: "Wenn ich eine klare Struktur brauche, muss ich mir einen Job suchen, der mir diese Struktur bietet. Alles andere würde mir als Person so sehr entsprechen, dass das nicht gutgehen kann. Genauso umgekehrt: Wenn ich ein Freigeist bin, der gerne ausprobiert, werde ich als Beamte nicht glücklich." Sich diese Frage überhaupt stellen zu können sei natürlich ein großes Privileg, räumt Reiter ein.

Was die Studienautorin Führungskräften empfiehlt, ist: "Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter so zu akzeptieren, wie sie sind." Sie sollten sich Zeit für ein Kennenlernen nehmen und ihren Führungsstil an die einzelnen Persönlichkeiten anpassen: "Das kann bedeuten, dass sie eine strikte Struktur vorgeben oder eben die Leine etwas locker lassen."

Für Tanja Reiter ist ein Fazit der Studie: "Jeder hat es selber in der Hand. Bevor ich krank werde, bin immer ich diejenige, die sagen muss: Etwas stimmt nicht. Ich kann nicht mehr schlafen, ich kann nicht mehr essen, ich rufe meine Freunde nicht mehr zurück. Das ist der Punkt, wo ich Stopp sagen muss." (Lisa Breit, 13.3.2021)