Im Cyberpunk-Manga "Ghost in the Shell" ist Japan eine Nation mit starkem digitalen Geheimdienst. Die Realität sieht aber anders aus.

Foto: Kodansha/Masamune Shirow

Japan gilt gemeinhin als eine der führenden Technologie-Nationen der Welt. So ist das asiatische Land Heimat zahlreicher Technologiekonzerne und setzte stets neue Maßstäbe, etwa im Bereich der Robotik. Und auch im staatlichen Bereich zählt Japan zu den erfolgreichen Tech-Nationen: Im E-Government Survey der Vereinten Nationen von 2020 wird Japan als Musterbeispiel und eines der besten Länder innerhalb Asiens – neben Südkorea und Singapur – geführt. Unter der Oberfläche schlummert jedoch ein japanisches Problem, das kaum sichtbar ist: Japan, diese herausragende IT-Nation, hat einen nur unzureichend ausgestatteten digitalen Geheimdienst.

So setzte das japanische Verteidigungsministerium erst im März 2014 eine eigene Abteilung für Cyber-Verteidigung ein – also zu einem Zeitpunkt, als Edward Snowden bereits den globalen Überwachungsapparat der USA entblößt hatte. Zudem ist die Einheit äußerst klein: Sie besteht aus rund 400 Personen. Im Vergleich dazu beschäftigt allein der deutsche Bundesnachrichtendienst laut offiziellen Angaben 6.500 Personen. Doch die Größe ist noch nicht einmal das einzige Problem, denn Japans Cyber-Geheimdienst ist zudem in seinen Möglichkeiten stark eingeschränkt.

Eine Frage der Verfassung

Denn Japan hat Passagen in der eigenen Verfassung, die die Arbeit der Cyber-Abteilung erschweren. So sieht Artikel 9 der Verfassung vor, dass das Land nicht mehr aktiv selbst einen Krieg beginnen soll. Das wäre per se noch nicht problematisch, da zum Beispiel die NSA in den USA vor allem darauf ausgelegt ist, in Friedenszeiten prophylaktisch zu agieren. Schwerer wiegt für Japans Geheimdienste jedoch Artikel 21 der Verfassung, der besagt, dass die Privatsphäre der Kommunikation respektiert werden muss.

"Das bedeutet, dass wir keine Geheimdienstaktivitäten im Stil der NSA durchführen können", sagt dazu Motohiro Tsuchiya, Dekan an der Fakultät für Policy Management der Keio-Universität in Japan. Er hat die japanische Regierung unter anderem in Fragen der Cyber-Sicherheit beraten.

Betroffen ist von Artikel 21 vor allem die sogenannte "Signal Intelligence". Denn während Japan sehr wohl menschliche Agentinnen und Agenten einsetzen und auf Satellitenbilder zurückgreifen kann, geht es bei der Signal Intelligence vor allem um das strukturierte Überwachen von Kommunikation. Ging es dabei früher noch um Funk, so spielt sich dies im 21. Jahrhundert im digitalen Raum ab. Und hier ist es Japan untersagt, im Stil der NSA in globale Netzwerke einzudringen.

Erinnerungen an Fukushima

Warum das nun relevant ist? Weil es unter anderem darum geht, kritische Infrastruktur zu schützen. So verweist Tsuchiya auf die Katastrophe von Fukushima vor zehn Jahren, bei der nicht nur im direkten Umfeld des Atomkraftwerks Schaden angerichtet wurde, sondern auch in anderen Teilen Japans ganze Regionen ohne elektrischen Strom auskommen mussten. Es herrschte Angst, die Menschen fühlten sich hilflos – und einen solchen Blackout könnte es ebenso bei einem Cyber-Angriff geben. Außerdem könnten die Wasserversorgung oder das Transportwesen attackiert werden. Und dann seien noch die jüngsten Debatten um mutmaßliche Beeinflussung von Wahlen durch andere Staaten in etablierten Demokratien erwähnt.

Tsuchiya sieht vor allem Japans Nachbarschaft als Bedrohung. Etwa Nordkorea, das Nuklearwaffen testet. Oder China, das seine Macht im asiatischen Raum zunehmend ausbaut – und im Gegensatz zu Japan die Pandemie weitgehend überstanden hat, also bereits anderweitig investieren kann, während Japan nach wie vor Budgetmittel für das Gesundheitssystem freihalten muss. Und die potenziellen Angriffe könnten sich nicht nur auf der Ebene der Infrastruktur bewegen, wie Tsuchiya sagt: Auch der Diebstahl geistigen Eigentums ist ein mögliches Szenario.

Ungewisse Zukunft

Freilich könnte Japan durch eine Änderung der Verfassung den eigenen Handlungsspielraum erhöhen. Doch diese ist seit ihrem Inkrafttreten im Jahr 1945 kein einziges Mal geändert worden, wie Tsuchiya sagt. Schwierig dürfte ein solcher Schritt internationalen Fachmedien zufolge auch sein, weil damit in der inländischen Bevölkerung Bedenken rund um einen aufgeweichten Datenschutz einhergingen.

Was tut Japan also? "Wir haben uns zuletzt auf die USA verlassen", sagt Tsuchiya. Vor allem sei Donald Trumps harter Kurs gegenüber China seinem Heimatland zugutegekommen – unter Joe Biden wiederum müsse man beobachten, wie sich dessen Politik entwickelt. Generell bedeute Kooperation aber auch in der Welt der Geheimdienste, dass es einen Austausch geben muss: Und wenn Japan aufgrund eingeschränkter Möglichkeiten selbst wenig zu bieten hat, kann man selbst entsprechend nicht immer auf Hilfe zählen.

Tsuchiyas Hoffnung liegt nun auf den europäischen Ländern – auch auf einer geopolitischen Ebene, zumal Japan und Europa den eurasischen Raum geografisch umklammern und der Experte vor allem Länder wie China und Russland als die größten Spieler im Bereich der Cyber-Spionage sieht. Daher ist Japan bemüht, hier Fortschritte zu machen. So organisiert die japanische Botschaft am 16. März von 10 bis 12 Uhr gemeinsam mit der Diplomatischen Akademie und dem Austria Institut für Europa und Sicherheitspolitik (AIES) ein Seminar, das sich unter anderem diesem Thema widmet (und das online über die Facebook-Seite der Diplomatischen Akademie verfolgt werden kann), und als Teil der in den Niederlanden ansässigen "Global Commission for Stability of Cyberspace" hat Tsuchiya Normen definiert, die ein konzertiertes Vorgehen im Bereich der Cyber-Spionage ermöglichen sollen.

Und in seinem eigenen Land versucht Tsuchiya schließlich auch, Fortschritte zu bewirken. So beriet er die Regierung vor zwei Jahren zu der Frage, wie die Zukunft der Landesverteidigung aussehen könnte. Als Resultat dieser Beratung beschloss man, den Personalstand der Cyber-Verteidigung in den kommenden Jahren aufzustocken. Auf 1.000 Personen – was in etwa einem Vierzigstel des Personalstands in der NSA entspricht. (Stefan Mey, 15.3.2021)