Am Beginn des Jahres stand ein Streit zwischen Astra Zeneca und der EU-Kommission um Liefermengen. Seither hat der Ruf des Vakzins aus verschiedenen Gründen stark gelitten.

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Die Geschichte von AZD1222 ist eine Geschichte vieler Missverständnisse. Für die einen verheißt die kryptische Zeichenabfolge nichts Geringeres als die Rettung der Welt – ein kostengünstiger, leicht lagerbarer Impfstoff, der auch armen Ländern einen Ausweg aus der Corona-Pandemie weist. Andere wiederum, auch hierzulande, meinen in AZD1222 die Billigware unter den Impfstoffen zu erkennen: Für sie gilt das Astra-Zeneca-Vakzin als minderwertig, nicht sehr wirksam, gefährlich gar.

Auch wenn Fachleute das von der britischen Universität Oxford entwickelte und vom anglo-schwedischen Pharmaunternehmen Astra Zeneca (AZ) hergestellte Vakzin unisono für sicher und effektiv halten und ungeachtet der aktuell mehr als 15 Millionen Menschen in 62 Ländern, die bereits eine Injektion mit AZD1222 bekommen haben – die Lufthoheit über den pandemiebedingt meist virtuellen Stammtischen hat die Wissenschaft längst verloren. Denn wer will schon das Billigauto, wenn es auch die Luxuslimousine gratis gibt?

Dazu kommen zu allem Überfluss nun in Österreich auch noch ein Todesfall und zwei schwerere Komplikationen durch Gerinnungsstörungen, die in zeitlicher Nähe zu einer Impfung mit diesem Vakzin stehen. Dänemark, Island und Norwegen setzten auch wegen eines Todesfalls in Dänemark ihre Impfkampagne mit Astra Zeneca für zwei Wochen aus.

Die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) schloss am Donnerstag einen Zusammenhang zwar aus. Am Freitag folgte dann aber der Hinweis, dass AZD1222 als Nebenwirkung auch zu anaphylaktischen Schocks führen kann – eine Nebenwirkung, die bei den mRNA-Impfstoffen schon seit Längerem bekannt und dokumentiert ist.

Nicht wahrgenommene Impftermine

Österreich bleibt dennoch vorerst dabei, mit AZD1222 weiterzuimpfen, und der Impfstoff, so heißt es auf Anfrage aus dem Gesundheitsministerium, werde auch "gut abgerufen". Jedenfalls vorerst. Denn nicht nur hierzulande sind mittlerweile mehrere Hundert der heißbegehrten Impftermine ungenutzt verfallen, weil sich die Angemeldeten dann lieber doch nicht mit dem AZ-Vakzin impfen lassen wollten. Auch in anderen europäischen Ländern wurden tausende Impftermine nicht wahrgenommen.

Neue Daten aus Großbritannien, wo AZD1222 seit Anfang Jänner millionenfach und durchwegs ohne schwerere Komplikationen verimpft wurde, versprechen das in Verruf geratene Vakzin nun zu rehabilitieren. An dem vorläufigen PR-Debakel des Impfstoffs lässt sich trotzdem ablesen, wie schnell in der Pandemie Hoffnungsträgern das Heft des Handelns entgleiten kann. Hat das Image einmal Kratzer abbekommen, lässt es sich nur schwer wieder aufpolieren – gerade im emotional so heiklen Gesundheitsbereich, wo Vertrauen ein besonders teures Gut ist. Vor allem dann, wenn die Politik die Finger im Spiel hat.

Was machte den Impfstoff, der lange die Pole-Position innehatte, zum angeblichen Problemfall? Und wie wurde binnen weniger Monate aus einer märchenhaften Erfolgsgeschichte – zumindest in unseren Breiten – ein Kommunikationsdesaster?

Idealistischer Beginn

Zunächst lief für das von erfahrenen Impfstoffforschern wie Sarah Gilbert und Andrew Pollard an der Universität Oxford entwickelte Vakzin alles wie am Schnürchen: Die abschließenden Studienphasen zu Sicherheit und Wirksamkeit nahm man noch als Primus in Angriff. Ursprünglich strebte das Team aus Oxford zur Impfstoffherstellung eine Kooperation mit dem deutschen Pharmariesen Merck oder dem britischen Unternehmen Glaxo Smith Kline an.

Die Ende April vereinbarte Zusammenarbeit mit Astra Zeneca war nur zweite Wahl, weil das Unternehmen vergleichsweise wenig Impfstoffexpertise mitbrachte. Immerhin ließen sich seine Manager aber auf die hehren Ziele der Akademiker ein: Alle Menschen sollten gerechten Zugang zum Impfstoff bekommen, gleich ob arm oder reich; Know-how sollte mit anderen Fachleuten geteilt werden. Ein Idealismus, der in der Pandemie schon bald auf die Probe gestellt wurde.

Hausgemachte "Hoppalas"

Bei den Phase-3-Studien passierten dann die ersten hausgemachten "Hoppalas": Es kam zu zwei Krankheitsfällen bei Probanden. Ein Zusammenhang mit dem Impfstoff wurde später zwar ausgeschlossen, aber man verlor Zeit und machte erstmals nicht so gute Schlagzeilen. Am schwersten sollte, was die öffentliche Wahrnehmung betrifft, zu diesem Zeitpunkt aber ein anderes Problem im Studiendesign wiegen: Man rekrutierte zu wenige Probanden über 65 Jahre, weil man zuerst bei den Jüngeren auf Nummer sicher gehen wollte, wie Andrew Pollard, Chef der Oxforder Vakzinologen, erklärte.

Doch die Verwirrung war da schon angerichtet. Und sie ist – jedenfalls zum Teil – hausgemacht: Weil AZD1222 anders als die Impfstoffe der Konkurrenz in der universitären Sphäre entwickelt wurde, publizierte man in Oxford, wie es sich für eine Universität gehört, Zwischenergebnisse, die dann ohne Kontext in Berichterstattung und politische Wahrnehmung einflossen. Fachleute, die beruhigen wollten, fanden im Konzert der Lauten wenig Gehör. Auch nicht bei der Politik.

So kam es Ende Jänner dann gleich zum doppelten Showdown mit der EU, für die AZD1222 ursprünglich der große Hoffnungsträger war: Ende August hatte man mit Astra Zeneca einen Rahmenvertrag über den Kauf von 300 Millionen Dosen und eine Option auf weitere 100 Millionen abgeschlossen.

Das vom anglo-schwedischen Pharmaunternehmen Astra Zeneca (AZ) hergestellte Vakzin wurde bereits an mehr als 15 Millionen Menschen verimpft.
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Zwei Streitpunkte

Astra-Zeneca-Chef Pascal Soriot eröffnete am 21. Jänner eine erste Front. Noch vor der Zulassung in der EU – die britische war bereits Ende Dezember erfolgt – kündigte er an, statt mehr als 80 Millionen nur 31 Millionen Dosen im ersten Quartal liefern zu können. Die zunehmend nervöse EU-Kommission machte dem Franzosen Druck, zugesagte Liefermengen einzuhalten – und nicht etwa das Ex-Mitglied Großbritannien zu bevorzugen, das erst nach der EU den Vertrag unterzeichnet hatte.

Und so wurde ausgerechnet Soriot, der den Impfstoff kostenneutral feilbietet, zum Buhmann, der aus der Pandemie Profit schlagen will. Dieser Konflikt mit der EU hält auch noch aktuell an: Besserte man als Folge des Konflikts noch einmal nach und versprach 40 statt 31 Millionen Dosen, so senkte man das Versprechen am Freitag wieder auf 30 Millionen Dosen – wegen Lieferkettenschwierigkeiten.

Wenige Tage nach Soriots erster Hiobsbotschaft tat sich eine zweite Front auf, diesmal aber eher unverschuldet: Am 25. Jänner zitierte das Handelsblatt deutsche Regierungskreise, dass AZD1222 Menschen ab 65 zu gerade einmal acht Prozent schütze und in der EU nur für Jüngere zugelassen werde. Eine Falschmeldung. Doch sie erwischte die Astra-Zeneca-Manager kalt.

Nur bis 65 oder auch für Ältere?

Obwohl die EMA den Impfstoff am 29. Jänner uneingeschränkt auch für Senioren ab 65 freigab, war dessen Image längst weiter beschädigt: Selbst Frankreichs Präsident Emmanuel Macron warnte ausdrücklich vor dem Vakzin. Dazu kam, dass AZD1222 in einigen Ländern wie Deutschland oder Italien tatsächlich nur für Personen unter 65 zugelassen oder – wie in Österreich – empfohlen wurde. Die nationalen Gremien beriefen sich dabei auf die mangelnden Studiendaten für die Älteren.

Für viele Fachleute war das eine unnötige Vorsichtsmaßnahme: Denn die Wirksamkeit des Impfstoffs war erstens durch Labordaten bestätigt, zweitens stand auch die Sicherheit nicht in Zweifel, und drittens hatten Großbritannien und die EU den Impfstoff für alle ab 18 zugelassen. Da half es dann auch nicht mehr wirklich, dass Österreichs Nationales Impfgremium das Vakzin Anfang März doch auch für über 65-Jährige empfahl.

Denn die Milch war da längst verschüttet. Britta Blumencron, die in Wien Kommunikationsberatung im Gesundheitssektor anbietet, ortet im Fall Astra Zeneca eine "Infodemie" erster Güte, wie sie es ausdrückt: "Die Medien haben eine klare Gatekeeper-Funktion, wenn sie den Impfstoff immer wieder als ‚umstritten‘ bezeichnen, bewirkt das natürlich etwas in der Bevölkerung."

Ramponierter Ruf

So ist AZD1222 für viele zum Impfstoff zweiter Klasse geworden, obwohl gerade die neuen Daten aus Großbritannien, wo bereits elf Millionen Menschen damit geimpft wurden, hinsichtlich der Wirksamkeit nach der ersten Impfung nur wenige Unterschiede zu den Daten zu Biontech/Pfizer zeigen. Und wie geschrieben: Anaphylaktische Schocks kamen in Großbritannien auch bei Biontech/Pfizer vor, wenn auch etwas weniger häufig.

Als am Donnerstag Dänemark, Island und Norwegen und am Freitag Bulgarien wegen Fällen von Blutgerinnungsproblemen in zeitlicher Nähe zu Impfungen einen vorläufigen Impfstopp über AZD1222 verhängten, rückte Herwig Kollaritsch vom Nationalen Impfgremium prompt zur Verteidigung aus: im Norden handle man "rein politisch" und nicht etwa auf Basis "wissenschaftlicher Überlegungen". Und doch, räumt er ein, sei der Ruf des Vakzins "ramponiert".

Kanzler Kurz als Testimonial

Können Behörden nun noch etwas tun, um das Vertrauen in den Impfstoff zu erhöhen? "Was helfen könnte, sind Testimonials, Prominente zum Beispiel oder Wissenschafter wie der deutsche Virologe Christian Drosten, die mit ihrem Namen für die Wirksamkeit bürgen", rät PR-Expertin Blumencron.

Bundeskanzler Sebastian Kurz scheint die Signale jedenfalls gehört zu haben. Am Freitag wollte er in einer Pressekonferenz keine Missverständnisse aufkommen lassen: "Ich werde mich mit Astra Zeneca impfen lassen, um zu zeigen, dass ich Vertrauen in den Impfstoff habe." (Florian Niederndorfer, Klaus Taschwer, 13.3.2021)