Eine eilige Zigarette vor dem Eingang, die er unter einem Blumentrog ausdämpft, dann bittet Fabio Giacobello in sein leeres Restaurant Fabios. Er glaubt an einen Boom der Gastronomie nach Corona. Doch um die alte Lebensfreude bangt er. "Denn die Schere zwischen Arm und Reich geht weiter auf."

Fabio Giacobello: " Will ich drei Tage Fieber oder auf die Intensivstation? Ich wähle das Fieber. Impft mir, was ihr wollt."
Foto: Regine Hendrich

STANDARD: Das Fabios ist seit November geschlossen. Was fangen Sie mit der gewonnenen Zeit an?

Giacobello: Man hat mehr Zeit zum Denken. Wir tüfteln an Speisekarten, an der 20-Jahr-Feier nächstes Jahr. Privat war ich nie ein großer Partygeher. Ich habe eine geräumige Wohnung, in der ich mich mit meiner Frau nicht im Kreis drehe. Ich habe keine Kinder, obwohl ich gern Vater wäre. Es ist alles nett, aber am Ende des Tages wird mir die viele Zeit zu viel.

STANDARD: Sperren Sie Ihren Gastgarten kurz vor Ostern auf, sofern es die Regierung zulässt?

Giacobello: Ja. Obwohl ich lieber bis Mitte April geschlossen halten würde. Drei Wochen länger Lockdown werden unser Leben nicht mehr verändern. Ist das Wetter schön, geht die Post ab, die Stadt ist voll, die Leute sitzen wie die Hühner auf dem Haufen. Meine Sorge ist: Öffnen wir am 27. März, sperren wir im April wieder zu. Weil die Infektionszahlen wieder steigen, weil wir die Impfung nicht im Griff haben. Ich bin des ständigen Auf- und Zusperrens sehr müde.

STANDARD: An der Bar wartet eingelegtes Gemüse, die Gläser glänzen. Das Interieur ist in Türkis gehalten. Es sieht so aus, als brauchten Sie nur den Schalter umzulegen, und es läuft.

Giacobello: Ein Würstelstand sperrt auf und brät Würstel. Ich meine das nicht abwertend. Aber wir haben gut 50 Mitarbeiter. Die Küche muss vorausplanen und einkaufen. Was die türkise Farbe betrifft: Ich habe keine politischen Vorlieben, ich bin da völlig neutral. Ich darf ja in Österreich gar nicht wählen. In Italien ist es politisch leider auch nicht sehr lustig.

STANDARD: Viele Wirte bezweifeln, dass sich die offenen Schanigärten rentieren. Was, wenn’s regnet? Das soll um diese Zeit öfter vorkommen.

Giacobello: Ich kaufe Fisch ein, dann regnet es, nach drei Tagen kann ich ihn wegschmeißen. Ich fange sicherlich nicht damit an, gefrorenen Fisch zu verkaufen. Wann ist Sperrstunde? Sie werden uns nicht bis ein Uhr Früh feiern lassen. Die Leute sind ans Homeoffice gewöhnt. Einige werden schon zum Business-Lunch kommen. Aber ohne Abendgeschäft ist es ein Fiasko.

STANDARD: Ist ein kleines Geschäft nach monatelanger Sperrstunde nicht besser als keines?

Giacobello: Ich gönne es jedem. Ich frage mich aber, ob es für die breite Masse der Gastronomen Sinn macht. Es wird sich für sie nicht rechnen, auch nicht für uns. Und wir müssen improvisieren. Ich habe Anfragen für den 27. März – die Verordnung über Abstände und Tischplanung kommt aber erst drei Tage zuvor.

STANDARD: Also lieber sichere staatliche Hilfe als ein unsicherer Neustart auf eigenes Risiko?

Giacobello: Wir dürfen nicht meckern. Die Hilfen gaben uns Luft, um länger zuzuhalten. Über April, Mai hinaus schaffen wir es jedoch nicht. Die Branche lebt jetzt von ihren Reserven.

Eingelegtes Gemüse harrt im Fabios der Gäste. Lieferanten entsorgten bereits hunderte Liter Olivenöl.
Foto: Regine Hendrich

STANDARD: Österreich hat bei der Unterstützung der Wirte tief in den Geldtopf gegriffen. Zu tief, meinen viele Ökonomen. Bis zu 80 Prozent des Umsatzes wurden ersetzt, ohne mit Kurzarbeit und Zustellgeschäften gegenzurechnen. Branchen wie der Handel können davon nur träumen.

Giacobello: Die Hilfe im November war sehr hoch. Man hätte sie vielleicht anders staffeln sollen. Aber wir hatten über Monate geschlossen, viele Kosten liefen weiter. Alle reden von 80 und 50 Prozent Ersatz. Aber wenn du gedeckelt bist, gibt es nicht mehr als 800.000 Euro. Und die Kurzarbeit ist nicht geschenkt. 15 Prozent der Mitarbeiterkosten zahlen wir.

STANDARD: Kamen die staatlichen Hilfen rechtzeitig an oder verloren Sie sich in der Bürokratie?

Giacobello: Hätte man mich gefragt, wie das geht, hätten wir bis heute kein Geld auf dem Konto. Ein Steuerberater hat alle Anträge für uns erstellt, ich darf mich also nicht beklagen.

STANDARD: Konflikte mit Vermietern sind an der Tagesordnung. Erhalten Sie Nachlässe?

Giacobello: Wir sind gesegnet, dass uns die Miete reduziert wurde. Die Erste Bank war als Hauseigentümer sehr kulant, auch weil wir rundum Baustelle haben. Für Monate, in denen wir zuhatten, zahlen wir keine Miete.

STANDARD: Steigen Sie unterm Strich mit Verlusten aus dem Corona-Jahr aus?

Giacobello: Wir steigen halbwegs pari aus, mit ein bisserl Verlust. Wir waren sparsam, schütten seit zwei Jahren nichts an Gesellschafter aus, also auch nicht an mich als Hauptaktionär. Das Geld bleibt auch heuer im Betrieb. Und wir hatten dank der Wiener zwischen den Lockdowns ein gutes Geschäft. Aber es geht nicht darum, ob ich einen Tausender mehr oder weniger verdiene, sondern um meine Mitarbeiter. Sie haben seit Corona extrem viel Geld verloren.

STANDARD: Der Mindestlohn in der Gastronomie liegt bei mageren 1300 Euro netto. Haubenkoch Max Stiegl machte sich jüngst für 1700 Euro stark. Ist es an der Zeit für bessere Arbeitsbedingungen?

Giacobello: Meine Leute müssen viel leisten, werden aber verdammt gut entlohnt, mit mindestens 1500, 1600 Euro. Nur Spüler haben 1300 netto. Sie haben aber 40 Stunden – fällt der Löffel, zahlen wir Überstunden. Die Besteuerung auf Löhne ist leider immens: Bei 1700 Euro Lohn reden wir von 800 Euro. Nur weil ich auf der Tuchlauben bin, verdiene ich nicht mehr als ein Wirt im zehnten Bezirk. Steuern bezahle ich trotzdem. Hier bräuchte es Entlastung. Aber was ist mit schwarzen Schafen, die weiter 1400 Euro zahlen? Was ist, wenn einer mit Trinkgeldern Überstunden finanziert?

STANDARD: Gearbeitet wird in Ihrer Branche unregelmäßig und lang, der Umgangston ist rau.

Giacobello: Ich bin bekannt dafür, sehr resch zu sein. Aber wo wollen wir spielen? Beim FC Bayern oder beim FC Mödling? Nichts gegen beide – aber in unserer Liga geht es nicht ohne harte Arbeit. Es gab krasse Zeiten, da arbeitete ich sechs, sieben Tage die Woche, von sechs Uhr Früh bis ein Uhr nachts. Manchmal kam ich um drei heim, schlief auf dem Stuhl, um sieben läutete der Wecker. Damals konnte ich das, heute wäre ich tot. Fragen Sie nicht, wie ich gelernt habe. Küche und Service würden mir heute die Schürze in die Hand drücken.

STANDARD: Wie lange steht man das durch?

Giacobello: Ich nehme das Fabios sieben Tage die Woche mit nach Hause. Man tut es, weil man ein Ziel hat: seinen Laden zu führen. Mental schafft man es, irgendwann macht der Körper aber nicht mehr mit. Vor sieben Jahren zog ich die Handbremse, begann mit Meditation und Yoga. Ich bin seither oft in Asien. Damals wog ich 130 Kilo, nun sind es knapp 50 Kilo weniger.

Fabio Giacobello: "Es tut weh, nach 20 Jahren Gastronomie auf eine Ablage für Gucci-Taschen reduziert zu werden."
Foto: Regine Hendrich

STANDARD: Sie studierten einst eigentlich Architektur. Was wurde daraus?

Giacobello: In Mailand, ein halbes Jahr lang. Aber ich feierte nur Partys, die Frauen haben mich mehr interessiert. Es war eine wilde Zeit. Dann schmiss mich mein Vater raus. Auch meine Mutter machte kurzen Prozess. Ich musste mich entscheiden, ob ich arbeiten will oder nicht. In der Gastronomie hat man damals schnelles Geld verdient. Hier blieb ich hängen, und es machte mir Spaß. Aber es war schwer erarbeitet, die Hüfte tut mir davon bis heute weh.

STANDARD: Sie sind nun mit einem Lokal in bester Lage gesegnet. Werden die Karten in Ihrer Branche nach Corona neu gemischt? Viele fürchten, dass jeder dritte Wirt pleitegeht.

Giacobello: Corona tut weh. Es gab aber zuvor Jahre, in denen viele Betriebe gut verdienten. Corona allein macht noch keine Bilanz. Ich glaube nicht, dass die guten Betriebe aufgeben. Kleine, umsatzschwache aber leiden. Hotellerie und Touristen fehlen. Volle Flughäfen, Kongresse, Oper, Theater: alles weg. Es wird Zeit brauchen, bis sich Leute in Europa wieder bewegen. Das macht Gastronomen Angst.

STANDARD: Sollen Corona-Tests das Eintrittsticket in die Gastronomie sein?

Giacobello: Ja. Aber es schockiert mich, dass Österreich noch immer über Zettel diskutiert. Nicht die Kontrolle ist das Problem, sondern die Zettelwirtschaft. Jeder mündige Bürger weiß: Geht er ins Internet oder schaltet sein Handy ein, wird er getrackt. Warum nutzen wir keine App, die keine persönlichen Daten weitergibt? Test drauf, Wirten zeigen oder einscannen, fertig.

STANDARD: Können Sie sich vorstellen, nur Mitarbeiter zu beschäftigen und Gäste zu bedienen, die sich gegen Corona impfen lassen?

Giacobello: Was ist die Alternative? Will ich drei Tage Fieber oder auf die Intensivstation? Ich wähle das Fieber. Impft mir, was ihr wollt. Meine Mutter lag im Krankenhaus, ich sah Intensivstationen. Leute, wann wacht ihr auf? Es gibt keinen Weg an der Impfung vorbei. 70 Prozent haben bei Corona Glück. Was ist mit den anderen 30? Demonstriert von mir aus ohne Masken, ich bin für Demokratie. Aber es geht auch um Verantwortung für die Gesellschaft. Viele haben offenbar immer noch nicht begriffen, dass wir in einer Pandemie leben. Sie gehen weg, feiern privat. Wir hatten bei uns im Restaurant acht Coronafälle. Alle verliefen gut. Aber die belegten Intensivbetten sind Realität.

STANDARD: In Italien dürfen viele Restaurants ihre Gäste schon seit Wochen wieder bedienen ...

Giacobello: ... ganz langsam, nur bis 18 Uhr und mit zwei Metern Abstand.

STANDARD: Sind die Italiener beim Wirten disziplinierter als die Österreicher?

Giacobello: Sie haben es wärmer. Aber vielen Italienern geht es schlecht. Der Virus hat sich durch das Öffnen wieder stärker verbreitet. Südtirol ist das beste Beispiel dafür, wo Österreich hinwandern könnte.

STANDARD: Warum war für Sie Takeaway oder Hauszustellung keine Option, um Umsatzverluste abzufedern?

Giacobello: Die Erwartungshaltung ist hoch. Wir haben einen Ruf zu verlieren, obwohl ich das Wort Nobelitaliener nicht mehr hören kann. Was ist ein Nobelitaliener? Einer der Tischdecken hat? Aber angenommen, ich liefere Ihnen Pasta nach Hause. Und diese ist ein Gatsch. Dafür zahlen Sie zwölf Euro? Wir haben vier Monate lang an Saucen in Gläsern getüftelt, die wir nun anbieten werden. Aber sobald wir wieder aufsperren, wird es uns dafür in der Küche an Platz fehlen.

STANDARD: Wie geht es Ihren Lieferanten in der Krise?

Giacobello: Auch sie haben Angst, nach dem Öffnen wieder zusperren zu müssen. Das wäre eine logistische Katastrophe. Einer unserer Lieferanten hat 600 Liter Olivenöl weggeschmissen, weil es eben nur begrenzt haltbar ist.

Zumindest Hochprozentiges überdauert die monatelange Sperrstunde wohlbehalten.
Foto: Regine Hendrich

STANDARD: Glauben Sie an eine rasche wirtschaftliche Wiederauferstehung nach Corona?

Giacobello: Viele Leute haben einiges angespart. Ich glaube an einen gewissen Boom. Aber ob die alte Lebensfreude zurückkehrt? Ich weiß es nicht. Denn die Schere zwischen Arm und Reich geht weiter auf. Es braucht hier mehr soziales Denken. Ich selbst habe als Junger mit ehrlicher Arbeit gut verdient. Heute sehe ich schlecht entlohnte Jobs auch im Handel, in der Krankenpflege. Hier gehört in soziales Gefüge eingegriffen.

STANDARD: Ein Unternehmer meinte jüngst zum Leben nach dem Lockdown: Die Leute wollen wieder mit ihrem Gucci-Sackerl im Fabios gesehen werden.

Giacobello: Es tut weh, nach 20 Jahren Gastronomie auf eine Taschenablage reduziert zu werden. Die wenigsten wissen, wie viel Arbeit hinter so einem Laden steckt. Und hört auf, alle Leute mit Geld in einen Topf zu werfen. Nur weil einer einen Ferrari fährt, ist er noch lange kein Arschloch. Es geht um Freundlichkeit, um Respekt, darum, geerdet zu bleiben.

STANDARD: Bei Ihnen trifft sich viel Prominenz. Gibt ein guter Szenewirt Gästen das Gefühl, wichtig zu sein?

Giacobello: Es geht nicht um wichtig, es geht um Höflichkeit. Es gibt genug Leute, die Geld haben, das zeichnet keinen aus. Mit Präpotenz hatte ich immer ein Problem. Aber ich bin nicht zuständig für Erziehung, sondern für Essen.

STANDARD: Was, wenn sich Ihre Gäste in die Haare geraten? Es soll vorgekommen sein, dass man sich im Fabios mit Olivenöl übergießt.

Giacobello: Dann versucht man, den Beteiligten höflich zu helfen, Emotion rauszunehmen. Auf Anrufe von Medien gehe ich nicht ein. Privatsphäre der Gäste, Diskretion sind extrem wichtig. Ich könnte Bücher schreiben, aber ich würde sie niemals veröffentlichen. (Verena Kainrath, 13.3.2021)