Meese zu Gast in Wien.

Foto: Heribert Corn

Macht und Wahn sind Jonathan Meeses Themen. Er fordert die "Diktatur der Kunst" und sieht sich als ihr Werkzeug. Das Zeigen des Hitlergrußes bei Aktionen brachte den deutschen Allroundkünstler mehrmals vor Gericht, im Sinne der Kunstfreiheit wurde er freigesprochen. Dass er 2016 in Bayreuth den Parsifal nicht inszenieren durfte, liegt dem Wagner-Fanatiker noch immer schwer im Magen, wie alles, hinter dem er Zensur vermutet.

Dagegen half auch nicht, dass er 2017 bei den Wiener Festwochen seinen Mondparsifal verwirklichen konnte, seine große Wertschätzung für Wien steigerte es aber. Mit Die Dr. Mabusenlolita zeigt er gerade seine bereits siebente Einzelausstellung in der Galerie Krinzinger, die auch eng mit einem Theaterstück in Verbindung steht, das er für das Wiener Volkstheater überarbeitet hat. Außerdem hat er ein Techno-Album mit DJ Hell aufgenommen.

STANDARD: Dr. Mabuse kennt man aus den Filmen von Fritz Lang aus den 1920ern. Wieso ist so ein alter Bösewicht heute noch relevant?

Meese: Dr. Mabuse ist ein komplexer Ur-Böser, der die Herrschaft des Verbrechens wollte, so wie ich die Herrschaft der Kunst will. Wir haben diese Figuren, um uns die Aggressivität, den Wahnsinn abzunehmen. In der Kunst ist der Wahnsinn super, in der Realität nicht.

STANDARD: Nehmen wir den Kapitolsturm. Hat nicht der Wahnsinn der Realität längst die Kunst überholt?

Meese: Die Realität ist begrenzt und leider zunehmend sehr dämlich. Im Moment wollen die Politiker und die Religionssüchtigen nicht, dass Kunst wichtig ist, weil sie eine unfassbare Angst vor Kunst haben. Sie wollen sie schwächen, dekorativ halten oder zur Freizeitbeschäftigung degradieren. Aber Richard Wagner ist keine Freizeitbeschäftigung! Wagner ist noch immer da, während die politischen Ansichten seiner Generation nicht mehr existieren. Kunst ist, was Europa bestimmt und definiert. Von den politischen Machenschaften wird – wie auch schon von früheren Epochen – nichts übrigbleiben.

Meese führt durch die Ausstellung "Die Dr. Mabusenlolita"
DER STANDARD

STANDARD: Sie sagen, Kunst wird kleingehalten. Wie machen wir sie stark?

Meese: Indem wir sie als Chef anerkennen. Dann muss die Politik halt gehen. Wer Kunst zensiert, muss gehen.

STANDARD: Lehnt sich die Kunst denn genug auf? Wer sind die Künstler, die es tun?

Meese: Also ich versuche mein Bestes. Jedes Kind tut Kunst. Erwachsene wie DJ Hell oder Daniel Richter sind Kind geblieben, die haben sich nicht kaufen lassen. Meine Mutter ist 91 und hat sich noch nie kaufen lassen. Politik ist ein Fleischwolf. Alles, was man wählen kann, ist mittelmäßig. Alles, was man nicht wählen kann, ist geil.

STANDARD: Sie haben Ihr Stück, das am Schauspiel Dortmund Premiere feierte, fürs Wiener Volkstheater überarbeitet. Hat Sie dabei die österreichische Geschichte beeinflusst?

Meese: Mich beeinflusst alles. Wir sind zu acht auf der Bühne, und jeder wird mit seinen Dämonen spielen, sie wegspielen. Ich habe überhaupt keine Angst vor Hitler. Für mich ist das Spielzeug. Wenn jemand sagt, ich darf Hitler oder sonst jemanden nicht malen, dann male ich den erst recht. Dass Künstler diese Zensur akzeptieren, ist doch lächerlich.

STANDARD: Sind Sie niemals Kompromisse eingegangen, gerade wenn es um das Zeigen von Hakenkreuzen oder Nazi-Uniformen auf der Bühne geht?

Meese: Also ich habe mich nicht zensiert.

STANDARD: Sie denken aber, dass Sie zensiert wurden. Als Sie in Bayreuth als "Parsifal"-Regisseur gehen mussten.

Meese: Ja, das war reine Zensur, das kam politisch von ganz oben. Aber da ist noch nicht aller Tage Abend, ich werde irgendwann dort inszenieren, das weiß jeder. Wenn es sein muss, kann ich auch noch als Leiche Bayreuth inszenieren. Wagner hat quasi angerufen und befohlen, dass ich das machen muss. Der würde doch kotzen, wenn er das dort sehen würde. Die hassen den da alle, die unterscheiden gar nicht zwischen Richard Wagner als Real- und Kunstperson. Ich privat bin ja auch nicht der Kunst-Meese, und ein Schauspieler ist nicht seine Rolle.

STANDARD: Und dass Nitsch jetzt etwas in Bayreuth machen wird, stört Sie das?

Meese: Im Gegenteil. Nitsch finde ich fantastisch, und der wird das gut machen. Das wird aber ein einmaliges Ding sein, ein Intermezzo, das nichts verändern wird. Bei mir wäre es um viel, viel mehr gegangen.

STANDARD: Sie sprachen von der Kunstperson Meese. Wie ist der Privatmensch?

Meese: Da draußen bin ich unauffällig und versuche mich zu verstecken. Ich kann das da draußen nicht ab, das ist politik- und religionsverseucht und zu viel Realität. Deswegen will ich, dass man mir größere Bühnen zur Verfügung stellt. Man braucht manchmal einen gesunden Größenwahn, um Dinge und sich selbst nach vorne zu bringen. Heute bin ich Dr. Mabuse, morgen Lolita, übermorgen meine Mutter. Es ist reines Spiel, eine Verkleidung. Es soll ja Leute geben, die sagen, ich darf mich nicht mehr als Indianer verkleiden.

STANDARD: Als politisch korrekt gilt das nicht.

Meese: Die Political Correctness treibt gerade Stilblüten und darf die Kunst nicht beeinflussen und zensieren. Das ist für mich absoluter Käse, denn ich fühle mich als Indianer.

STANDARD: Wenn es nun aber jemanden verletzt?

Meese: Wenn die Verletzung auf Zensurkitsch beruht oder jemand Kunst und Realität nicht auseinanderhalten kann, dann muss ich den Ball sofort zurückspielen und sagen: "Lass dich therapieren!" Ich finde es schwierig, wenn die Menschen nichts mehr aushalten. Wenn ich bestimmte Wörter nicht mehr aushalte, dann habe ich doch ein Riesenproblem. Es geht mir darum, wie man Begriffe füllt und leer macht. Viele Begriffe sind besetzt, dann muss man sie ent-setzen, ihnen das Entsetzliche nehmen.

Meese im Videointerview. Vorschaubild: Heribert Corn.
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STANDARD: Kommen wir zu DJ Hell. Ihr gemeinsames Techno-Album ist auch eine Hommage an die Band DAF. Ist das die konsequente Fortsetzung Ihrer Beschäftigung mit Wagner?

Meese: Das ist für mich komplett das Gleiche. DAF ist genauso stark, genauso wichtig wie Wagner. Die Art und Weise, wie die an Musik rangegangen sind, ist gesamtkunstwerksfähig. Ich sehe auch keinen Unterschied zwischen Picasso, Balthus, Van Gogh, Da Vinci und mir. Alle bekommen hundert von hundert Punkten.

STANDARD: Wann ist Zusammenarbeit mit Ihnen möglich?

Meese: Wenn die Leute, mit denen man arbeitet, ihr eigenes Ding machen. Ich darf denen nicht sagen müssen, was sie machen sollen. Ich bin kein Guru, so wie Beuys. Wenn mir jemand mitläuferisch kommt, kann ich damit nicht umgehen. Ich habe auch nie Claqueure gezüchtet, was mir ja auch schlecht bekommen ist. Als ich vor Gericht stand, waren nicht viele Menschen an meiner Seite. Aber das muss man dann mit wenigen Leuten durchziehen und aushalten. Kunst ist Überleben. (Amira Ben Saoud, 14.3.2021)