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Eine Narrativanalyse zeigt, wie Zeitungsberichte dabei mithalfen, Kopenhagen zu einer der radfreundlichsten Städte der Welt zu machen.

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Potsdam – Die dänische Hauptstadt gilt nebst Amsterdam als fahrradfreundlichste Metropole Europas. Das war nicht immer so. Vor rund 40 Jahren fochten die Bewohnerinnen und Bewohner Kopenhagens einen harten Kampf gegen die Automobilistenlobby. Zehntausende gingen für eine lebenswerte Stadt und damit weniger Autoverkehr auf die Straßen. Ganz ähnlich wie in Amsterdam übrigens, wo man damals versuchte, die "Kindermörder", vulgo Autos, zurückzudrängen. So wie die Holländer siegten letztlich auch die Dänen. 84 Prozent der Kopenhagener bewerten laut einer Umfrage von 2018 die dänische Hauptstadt als gute Stadt für Radfahrende, 77 Prozent fühlen sich beim Radfahren sicher. 49 Prozent fahren mit dem Fahrrad zur Arbeit, Schule oder Ausbildung. Insgesamt werden 28 Prozent aller Wege mit dem Fahrrad zurückgelegt.

Um vom Erfolgsbeispiel Kopenhagen zu lernen, hat Theresa Kallenbach vom Institute for Advanced Sustainability Studies (IASS) in Potsdam, eine sogenannte Narrativanalyse erstellt. Sie hat die Berichterstattung zum Thema in den fünf auflagenstärksten Tageszeitungen des Landes aus den Jahren 1977, 1980 und 1983 untersucht. Ihre Schlussfolgerungen sind erstaunlich und lassen sich in vier Hauptgründen für eine erfolgreiche Verkehrswende in Kopenhagen zusammenfassen.

Erzählungen über Verkehrssicherheit bringen Radwege

Der dänische Diskurs war stark von Unfallmeldungen und Nachrichten über Verkehrssicherheit geprägt. Dies ist einerseits der tatsächlich sehr schlechten Sicherheitslage im Straßenverkehr der 1970er-Jahre geschuldet, andererseits auch der Affinität von Medien gegenüber Themen, die einen hohen Nachrichtenwert haben. "Verkehrssicherheit ist hier herausragend geeignet: Das Thema ist lokal, aktuell, konkret und es betrifft sogar die Sicherheit von Leib und Leben. Das Thema Verkehrssicherheit ist daher auch im aktuellen Diskurs erfolgsversprechend, es dient häufig als Grundlage für Forderungen nach einer vom Autoverkehr getrennten Radinfrastruktur", sagt Kallenbach.

Das Thema Sicherheit ist auch hierzulande aktuell. Der schreckliche Unfall im August 2019 etwa, als ein Auto mit einem Roller samt Radanhänger kollidierte und dabei zwei Kinder ums Leben kamen, war medial ein großes Thema. Ebenfalls 2019 wurde in Wien ein neunjähriger Bub, der mit dem Fahrrad auf dem Weg zur Schule war, von einem abbiegenden Lkw überrollt und getötet. Der Vater des Jungen versuchte daraufhin, die mediale Aufmerksamkeit rund um den tragischen Fall dahingehend zu nutzen, um auf das Problem des toten Winkels bei Lkw aufmerksam zu machen und der Forderung nach verpflichtenden Abbiegeassistenz-Systemen Nachdruck zu verleihen.

Es geht auch ohne Umweltschutz

Eine überraschende Erkenntnis Kallenbachs betrifft das Thema Umweltschutz. Frühere Untersuchungen hätten gezeigt, dass es Erzählungen über Umwelt- und Klimaschutz mitunter schwer haben, sich im öffentlichen Mobilitätsdiskurs durchzusetzen. Im Umkehrschluss bedeutet das laut der Studienautorin, dass verkehrspolitische Forderungen für mehr Nachhaltigkeit an andere Ziele gekoppelt werden müssen, um in der tagesaktuellen politischen Debatte zwischen anderen Themen Gehör zu finden.

Dass dies strategisch funktionieren kann, zeigt Kopenhagen: Umweltschutz spielte für die verkehrspolitische Debatte vor 40 Jahren keine Rolle. "Die damals erkämpften Radwege bieten aber nicht nur Schutz vor Unfällen, sondern auch den Platz und Anreiz für die umwelt- und klimafreundliche Mobilität des Radfahrens. Es zeigt sich: Umweltschutz lässt sich auch erreichen, ohne über ihn zu sprechen", schlussfolgert Kallenbach.

Die Mär von den bösen Radlern

Es gibt laut der Forscherin eine Tendenz in aktuellen Debatten über den Radverkehr, dass Forderungen nach sicherer Radinfrastruktur mit Beschuldigungen der Radfahrenden begegnet wird. Diese führen über Rot, auf dem Gehweg und überhaupt entgegen allen Regeln. Vorwürfe, die in Österreich nur allzu bekannt sind. Siehe die alljährliche Forderung nach Nummerntafeln für Radler.

Derselbe Debattenverlauf findet sich im Kopenhagener Diskurs der 70er und 80er Jahre. Wichtig ist hier laut Kallenbach zweierlei: "Ein Verschieben der Debatte von der gebauten Infrastruktur auf individuelles Verhalten ist ein Problem, weil es die Debatte entpolitisiert. Es scheint, als ginge es darum, dass sich die Verkehrsteilnehmer und -teilnehmerinnen nur ordentlich verhalten müssten. Das lenkt von Mängeln an der Infrastruktur ab, die oft ein Fehlverhalten begünstigen oder sogar erforderlich machen, wenn beispielsweise Radfahrende auf dem Gehweg fahren, weil sie sich auf einer engen Straße mit viel Verkehr zu unsicher fühlen."

Wenn dieses Fehlverhalten nicht einzelnen Personen, sondern einer Gruppe von Verkehrsteilnehmenden als feste Eigenschaft zugeschrieben wird, dann könne dies hingegen hilfreich sein: "Wenn die Radfahrenden ‚immer‘ die Zufußgehenden gefährden, dann brauchen sie offensichtlich einen eigenen Radweg. Wenn die Autofahrenden gar nicht anders können, als die Radfahrenden zu bedrängen, dann müssen sie baulich von den Radfahrenden getrennt werden." Dem diene auch die Bezeichnung von "starken" und "schwachen" Verkehrsteilnehmenden – hier wird eine verschieden hohe Gefährdung durch Unfälle pauschal bestimmten Gruppen zugeordnet, die dieser Logik nach baulich getrennt werden müssen, um sicher von A nach B zu kommen.

Aus den Gegnern potenzielle Verbündete machen

Anders als in den Niederlanden zur selben Zeit, war eine Gegnerschaft zu den Autofahrenden nicht Teil des dänischen Zeitungsdiskurses. Zwar wurden die Autos in Kopenhagen als stete Gefahrenquellen für die Radfahrenden beschrieben, doch erschienen sie als unberechenbare, unbelebte Objekte, die mittels der passenden Infrastruktur einzuhegen seien.

Die Gegner in den Erzählungen waren andere: Kommunen etwa, die keine Radwege bauen, oder Eisenbahngesellschaften, die sich der Radmitnahme durch Passagiere verweigern. Doch die Erzählungen verteufelten sie nicht als inhärent "böse": Stets wurden weiterhin Forderungen an sie gerichtet, die sie theoretisch erfüllen könnten, um aus der Rolle der Antagonisten heraus und in die Rolle der Helfenden hineinzuschlüpfen, ohne befürchten zu müssen, ihr Gesicht zu verlieren. (ars, 14.3.2021)