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In seiner ursprünglichen Bedeutung werden bei einem Lockdown Häftlinge in ihre Gefängniszellen eingesperrt, damit sie nicht randalieren. Vor einem Jahr wurden die Menschen in Österreich zu Zellen, der Insasse ist das Virus. Die Bekämpfung der Pandemie riss die Wirtschaft in eine tiefe Rezession. "Koste es, was es wolle", sagte Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und versprach Milliardenhilfen: Gastronomie und Handel, aber auch Kultur und Freizeitwirtschaft wurden geschlossen. Trotz der Klagen der Unternehmer über stockende Zahlungen und fehlende Mittel betonte die Regierung gebetsmühlenartig, wie gut Österreich im Vergleich zu anderen Ländern durch die Krise komme.

Dass diese Behauptung nicht ganz der Wahrheit entspricht, zeigen nicht nur hohe Infektionszahlen, sondern auch Wirtschaftsindikatoren: Österreichs Bruttoinlandsprodukt ist im letzten Quartal des Vorjahrs am stärksten eingebrochen. Und auch in den heurigen Wachstumsprognosen reiht sich das Land unter den Schlusslichtern ein. Die EU-Kommission erwartete für Österreich zuletzt ein Wachstum von zwei Prozent für das laufende Jahr, nur bei den Niederlanden ist man pessimistischer. Die Ökonomen der Industriestaatenorganisation OECD sagen eine noch schlechtere Entwicklung voraus. Demnach wird Österreich die Corona-Krise erst Ende 2022 überwunden haben. Covid kostet das Land – Wohlstandsverlust und Hilfen zusammengerechnet – 100 Milliarden Euro, hat der Thinktank Agenda Austria eruiert.

Fiasko am Arbeitsmarkt

Hinter den Zahlen verbergen sich enorme soziale Strapazen. Die Arbeitslosigkeit kletterte über die Marke von einer halben Million, obwohl auf dem Höhepunkt der Arbeitsmarktkrise 1,3 Millionen Menschen in Kurzarbeit waren. In den am stärksten betroffenen Tourismusgemeinden Tirols stieg die Arbeitslosigkeit um über 1000 Prozent. Viele haben das wirtschaftliche Leid am eigenen Leibe erlebt. Der Optimismus der Bevölkerung, dass die Krise in Österreich besonders gut gemeistert wird, ist jedenfalls vorüber. Das verdeutlicht auch eine aktuelle Gallup-Umfrage.

Die Frage, ob Österreich bei der Krisenbewältigung besser unterwegs sei als andere EU-Länder, beantworteten im November noch in etwa gleich viele Menschen mit Ja wie mit Nein. Im Februar zeigte sich eine deutliche Mehrheit der rund 1000 repräsentativ ausgewählten Teilnehmer nicht mehr vom Krisenmanagement überzeugt. Das entspricht auch anderen Beurteilungen: Im Bloomberg-Index beispielsweise, der die wirtschaftliche sowie epidemiologische Widerstandsfähigkeit von Staaten bewertet, rangiert Österreich auf Platz 38 von 55 erfassten Ländern.

Weitere Einschnitte

Dass Österreichs Wirtschaft vor allem ab Herbst so hart getroffen wurde, hänge mit der großen Rolle des Tourismus und den von ihm abhängigen Branchen zusammen, betont die Regierung stets. Die während der Pandemie geschlossenen Dienstleister machen hierzulande einen größeren Anteil der Wertschöpfung aus als in den Nachbarländern Deutschland und der Schweiz. Unter Experten wird derzeit heftig diskutiert, wie wichtig der Faktor Tourismus für die Misere ist.

Die Tiefe des Einbruchs in Österreich im Vergleich zu Deutschland ergebe sich nicht aufgrund der Lockdown-Intensität, sagt etwa Wifo-Ökonom Stefan Schiman in einer aktuellen Studie. Über das Jahr gemittelt, seien die Maßnahmen in Deutschland etwas strikter gewesen als in Österreich, rechnet der Wirtschaftsforscher anhand des Oxford-Stringency-Index vor, einer Kennzahl für Corona-bedingte Einschränkungen (siehe Grafik).

Die Regierung informiert wöchentlich über den Status Quo am Arbeitsmarkt. Dieser ist nicht besonders rosig.
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Dennoch meinen viele Ökonomen, dass die Lockdowns den Absturz stark beschleunigt hätten. Lukas Sustala, Chef des Neos-Lab, verweist darauf, dass Österreich im Vorjahr mehr Tage als Deutschland mit besonders harten Maßnahmen verzeichnet habe. Er vermisst stärkere Regionalisierungen. Dieses Konzept hat beispielsweise die Schweiz verfolgt und stärker auf die Infektionslage einzelner Kantone geblickt. Österreich springt mit der Öffnung in Vorarlberg spät auf diesen Zug auf.

Härte und Dauer der Lockdowns hängen wiederum zum Teil mit Reiseaktivitäten zusammen, die Tourismusländer im Herzen Europas im Vergleich zu entlegenen Inselstaaten anfälliger machen. Auch das Timing von Restriktionen in anderen Regionen macht sich bemerkbar. Wenn etwa Reisebeschränkungen und Quarantänevorschriften Besucher abhalten, während Hotels ohnehin gesperrt sind, ist das weniger problematisch. Haben in Österreich in den Herbst hinein Hotels offen, während in Deutschland durch Corona-Maßnahmen die Ausreise gedrosselt wird, trifft das die Branche.

Pleitewelle kommt erst

Dabei ist das volle wirtschaftliche Ausmaß der Pandemie wahrscheinlich noch gar nicht angekommen. Bisher wurden Zahlungen an die Sozialversicherung und das Finanzamt gestundet, Garantien mit einem Gesamtvolumen von rund 4,8 Milliarden Euro bewilligt. Werden die aufgeschobenen Zahlungen fällig, wird es eng. Bisher dürften die Covid-Hilfen – trotz aller Kritik – viele Betriebe künstlich am Leben erhalten haben. Anstatt in die Höhe zu schnellen, sank die Zahl der Unternehmenspleiten 2020 um 40 Prozent.

Die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Maßnahmen scheinen den Österreichern durchaus Kopfzerbrechen zu bereiten. Laut der Gallup-Umfrage glaubt die Mehrheit der Bevölkerung, dass die ökonomische Misere mehr Leben im Land zerstören wird als das Virus selbst. Dennoch geht der Schutzschirm offenbar vielen zu weit: Nur 27 Prozent meinten, man solle Unternehmen ohne Einschränkungen durch Staatshilfe retten. 46 Prozent wollen hingegen nur jene Betriebe retten, die eine Zukunft haben und innovativ sind. (Nora Laufer, Leopold Stefan, Andreas Schnauder, 14.3.2021)