Klimaschutzmaßnahmen können auch dort ansetzen, wo sie das Leben der Menschen verbessern, sagt Ökonom Joel Tölgyes.

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Wer pendeln muss, den treffen höhere Steuern im Verkehrsbereich besonders. Hier gilt es Schieflagen zu vermeiden.
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Ja, es stimmt: Es braucht Kostenwahrheit im Verkehr, wie Gerd Sammer an dieser Stelle schrieb ("Wieso wir eine ökosoziale Steuerreform brauchen"). Eine ordentliche CO2-Steuer ist überfällig. Umweltverschmutzung muss einen Preis bekommen. Einerseits gebietet das die ökonomische Logik. Wir wissen, dass Preise für Konsumentscheidungen eine große Rolle spielen und dass die negativen Effekte von Treibhausgasemissionen in den aktuellen Preisen nicht widergespiegelt werden. Diejenigen, die für Emissionen verantwortlich sind, zahlen einen viel zu niedrigen Preis dafür. Die hohen Kosten der Klimakatastrophe zahlen aber wir alle.

Alternativen schaffen

Andererseits werden uns CO2-Steuern allein nicht retten. Fossile Brennstoffe sind das Blut, das durch die Adern unseres Wirtschaftskreislaufs fließt. Eine Steuer kann dabei helfen, den Energieverbrauch auf das nötigste Maß zu reduzieren. Sie soll dort ansetzen, wo bloße Bequemlichkeit oder Ignoranz zu Emissionen führt. Wenn es aber um die notwendige Raumwärme im Winter geht oder um den nicht anders zu bewältigenden Arbeitsweg, dann führt die CO2-Steuer nicht zu einer Reduktion des Überflusses, sondern zu einer sozialen Schieflage, die es zu verhindern gilt.

"Wege müssen drastisch verkürzt werden. Statt Einkaufszentren am Stadtrand braucht es eine Wiederbelebung der Zentren."

Wer einen eine lange Strecke pendeln muss, wer weit weg vom nächsten Bahnhof wohnt, den treffen höhere Steuern im Verkehrsbereich besonders, dem bleiben aber auch wenige Optionen. Wer sich – oft nicht zu Unrecht – fürchtet, mit Fahrrad und Kindersitz auf der 100-km/h-Landstraße unterwegs zu sein, die, wie die allermeisten, eben nicht über einen begleitenden, geschützten Fuß- und Radweg verfügt, den kriegen wir wohl auch mit ein paar Cent mehr Steuern nicht auf das Fahrrad. Kurzfristig kann – und soll – man Schieflagen vermeiden, indem man eine kluge Rückverteilung, etwa über Ökoboni, einen ökologisierten Pendlerabsetzbetrag oder Wohnkostenzuschüsse, vornimmt. Langfristig muss man aber vor allem eines tun: Alternativen schaffen.

Zentren beleben

Was das Land braucht, ist eine Neugestaltung der öffentlichen Räume und des Verkehrssystems. Wege müssen drastisch verkürzt werden. Statt Einkaufszentren am Stadtrand braucht es eine Wiederbelebung der Stadt- und Dorfzentren. Diese müssen öffentlich so bequem wie nur möglich erreichbar sein. Der öffentliche Nahverkehr muss drastisch ausgebaut werden. Dazu gehört auch eine engmaschige Taktung – auch abseits der Stoßzeiten. In sehr abgelegenen Gebieten muss über innovativere Wege, etwa App-basierte Sammeltaxisysteme, nachgedacht werden. Für größere Einkäufe könnten öffentliche Carsharing-Angebote eingeführt werden. Im Gegensatz zum individuellen Gebrauch in Großstädten könnten hier auch angemessen dimensionierte E-Autos eine wichtige Rolle einnehmen. Diese beispielhaften Maßnahmen zeigen vor allem auch, dass Klimaschutz keine unbequeme Verbotsstraße ist. Wir können ihn dazu nutzen, das Leben der Menschen besser zu machen.

Ja, klimaschädliches Verhalten muss teurer werden. Die emissionsarme Variante kann aber vor allem nicht nur günstiger, sondern auch besser sein. Wiederbelebte Zentren, angst- und gefahrlos nutzbarer öffentlicher Raum für Fußgängerinnen und Radfahrer, ein stressfreier Weg in die Arbeit mit bequemen öffentlichen Verkehrsmitteln – wieso soll das nur Bewohnerinnen und Bewohnern einiger Großstadtgrätzel vorbehalten bleiben?

Höhere Treibstoffpreise

Nicht vergessen werden soll zudem auch, dass der Beitrag der einzelnen Menschen zum Klimawandel höchst unterschiedlich ist. Die reichsten zehn Prozent Österreichs verursachen durch ihr Verkehrsverhalten siebenmal so viel CO2 wie die ärmsten zehn Prozent – ohne Fliegen. Gerade bei den Reichsten werden Preissignale die geringste Wirkung haben: Wer im 75.000-Euro-SUV eines deutschen Premiumherstellers unterwegs ist, mag sich über höhere Treibstoffpreise ärgern, aber schwerlich dazu gezwungen sein, ihretwegen seine Transportart zu verändern. Selbiges gilt auch für Businessclass- und Privatjetflüge.

Die notwendige Transformation ist herausfordernd, aber auch voller Chancen. Soll sie gelingen, dann muss der Staat dabei eine große Rolle einnehmen. Ja, individuelles klimaschädliches Verhalten muss teurer werden. Aber Klimaschutz ist nicht nur eine individuelle Aufgabe – er ist vor allem eine gesellschaftliche Aufgabe. Die heutige Situation im Verkehrsbereich ist auch Resultat staatlichen Handelns, das jahrzehntelang in neue Straßen investierte, während regionale Bahnstrecken geschlossen wurden. Das ist umkehrbar. Wir können in neue Züge investieren, wir können großartige Nahverkehrssysteme einrichten. Wir müssen es nur tun. Momentan wird der österreichische Staat dafür bezahlt, neue Kredite aufzunehmen. Nutzen wir diese Chance und starten wir heute statt morgen damit, in eine Zukunft zu investieren, die alle mitnimmt und unseren Planeten erhält. (Joel Tölgyes, 14.3.2021)