Um die Impfstoffzuteilung der EU ist ein Streit in der österreichischen Innenpolitik entbrannt.

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Wien – Die Kritik von Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) an der Verteilung von Impfstoffen unter den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union wächst sich in Österreich immer mehr zum koalitionsinternen Konflikt aus. Nachdem Ines Stilling, Generalsekretärin des grün geführten Gesundheitsministeriums, der Kritik am Samstag widersprochen hatte, forderte ÖVP-Gesundheitssprecherin Gaby Schwarz die sofortige Suspendierung Stillings, aber auch des Spitzenbeamten Clemens Martin Auer.

Dies sei unvermeidbar, so Schwarz. Es stelle sich insbesondere die Frage, wie man Verträge abschließen konnte, die dazu geführt hätten, dass andere EU-Länder mehr Impfstoff bekommen und warum die Vereinbarung der EU-Staats- und Regierungschefs gebrochen wurde. "Es ist kaum vorstellbar, dass (Gesundheitsminister Rudolf, Anm.) Anschober darüber im Detail Bescheid wusste. Es gilt aufzuklären, ob er von den zuständigen Beamten des Gesundheitsministeriums getäuscht wurde." Anschober ist derzeit krankheitsbedingt außer Gefecht. Er will Anfang kommender Woche seine Arbeit wieder voll aufnehmen.

Gesundheitsministerium wollte Wogen glätten

Zuvor hatte sich Stilling im Ö1-"Morgenjournal" deutlich positioniert. Die Verhandlungen über die Verteilung seien "ausgewogen und transparent" gelaufen. Alle Mitgliedsstaaten, also auch Österreich, hätten die Möglichkeit gehabt, freie Vakzinkontingente zu kaufen. Es gebe keine Basarmethoden, sagte sie in Richtung Kurz, der solche am Freitag angeprangert hatte. Die Impfstoffverteilung sei zudem laufend Thema im Ministerrat, so dass auch das Bundeskanzleramt laufend informiert sei. Seit Jänner gebe es in Österreich sogar einen eigenen Steuerungsausschuss zu Beschaffung und Lieferplänen unter Einbeziehung des Bundeskanzleramts, ergänzte Stilling.

Nach Stillings Interview hatte man sich im Gesundheitsministerium noch um eine Glättung der Wogen bemüht. Es sei "unser gemeinsames Ziel" sei, möglichst rasch und im europäischen Gleichklang zu impfen. Die Impfkampagne sei von Anfang ein gemeinsames Projekt der Bundesregierung gewesen. "Ziel muss in dieser entscheidenden Phase eine gerechte gleichberechtigte Aufteilung der Impfstoffe innerhalb der EU für die Sicherstellung einer gleichzeitigen Impftätigkeit sein", wurde betont.

Kurz selbst hat unterdessen mit vier Amtskollegen aus Tschechien, Slowenien, Bulgarien und Lettland in einem gemeinsamen Brief einen EU-Gipfel zur Impfstoff-Verteilung gefordert. Kroatien schloss diesem Vorstoß später an. In dem Schreiben an EU-Ratspräsident Charles Michel und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen wiederholen sich im Wesentlichen die von Kurz am Freitag in einer Pressekonferenz gemachten Aussagen. Dass der Impfstoff in der EU nicht eins zu eins nach Bevölkerungszahl verteilt wird, war bereits bekannt. Auch der STANDARD hatte berichtet.

Opposition kritisch bis fassungslos

Die Opposition kommentierte die ÖVP-Aktivitäten erneut kritisch. Kurz habe die Schuld der EU entdeckt, meinte FPÖ-Klubchef Herbert Kickl: "Diese Botschaft ist dem Kanzler so wichtig, dass er dafür sogar bereit ist, seinen eigenen ÖVP-Parteikollegen, den Sonderbeauftragten für Gesundheit Clemens Martin Auer, schwer zu beschädigen. Dabei war es Kurz, der dem grünen Gesundheitsminister den ÖVP-Mann als Corona-Koordinator aufgezwungen hat, um auch in Anschobers Ressort hineinregieren zu können."

Fassungslos vom Agieren des Kanzlers zeigte sich auch SPÖ-Gesundheitssprecher Philip Kucher. "Ein halbes Jahr nachdem andere Staaten offensichtlich erfolgreicher bei der Impfstoff-Beschaffung waren, spielt Sebastian Kurz jetzt den Beleidigten, als könnte er nichts dafür", meinte er in einer Aussendung. Kurz suche täglich neue Sündenböcke. Dabei habe sich in den vergangenen Monaten gezeigt: "Immer wenn Sebastian Kurz mit dem Finger auf andere zeigt, hat er in aller Regel selbst was verbockt", so Kucher.

"Österreich hat kein Lieferproblem, sondern ein Impfproblem, und das muss die Regierung selbst lösen", meinte NEOS-Gesundheitssprecher Gerald Loacker: "Da helfen auch keine Nebelgranaten-Aufdecker-Pressekonferenzen." Den Vorwürfen auf EU-Ebene müsse Kurz selbstverständlich auf europäischer Ebene nachgehen und dort Gespräche führen. (APA, red, 13.3.2021)