Ob Corona-Pandemie oder Wirtschaftskrisen: Brüssel kann nie so zielgerichtet reagieren wie Washington.

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Wäre das transatlantische Verhältnis ein Wettkampf, dann lägen die USA nun uneinholbar in Führung. Dank des hohen Tempos der Durchimpfung konnte Präsident Joe Biden den Amerikanern vergangene Woche die Überwindung der Pandemie bis zum Sommer versprechen. In der EU trauen sich angesichts der schleppenden Impffortschritte nur wenige davon zu träumen. Und bei allen Bedenken in Bezug auf den Umfang und die Ausformung dürfte das beschlossene 1,9-Billionen-Dollar-Konjunkturpaket der US-Wirtschaft in Kürze zu jenem Aufschwung verhelfen, den das kleinere EU-Wiederaufbauprogramm bestenfalls mittelfristig bringen kann. Wie schon nach der Weltfinanzkrise kommen die USA aus einem Schlamassel, an dem die eigene Politik Mitschuld trägt, schneller und stärker heraus als die EU.

An der besonderen Qualität der politischen Entscheidungsträger liegt das nicht, das hat Donald Trumps Präsidentschaft bewiesen. Aber anders als die Union haben die USA eine starke Zentralregierung, die über gewaltige Machtinstrumente verfügt und diese rasch einsetzen kann. Die EU-Kommission hat im Vergleich sehr eingeschränkte finanzielle Mittel und ist bei fast jeder Entscheidung auf die Zustimmung der oft zerstrittenen nationalen Regierungen angewiesen.

Fehler in Brüssel

Tatsächlich wurden im Vorjahr bei der gemeinsamen Impfstoffbestellung in Brüssel Fehler begangen, die sich jetzt rächen. Aber selbst bei einer professionelleren Abwicklung hätte die EU nie ein Programm wie "Operation Warp Speed" aufstellen können, mit dem die Trump-Regierung mit enormer Kraft und Geld die rasche Durchimpfung der US-Bevölkerung möglich machte. Anders als die USA verfügt die EU nicht über die Organisation, die Erfahrung und die Mittel für einen solchen gesundheitspolitischen Kraftakt.

Die logische Reaktion auf diese Versäumnisse wäre eine Stärkung der EU-Institutionen, damit Europa auf die nächste Pandemie besser vorbereitet ist als auf Covid-19. Stattdessen aber gibt das Impffiasko all jenen EU-Skeptikern Auftrieb, die behaupten, die einzelnen Nationalstaaten könnten die Krise ohne Brüsseler Beteiligung viel besser meistern.

Wettlauf der 27

Das mag im Einzelfall ja zutreffen, wie man bei den erfolgreichen Impfkampagnen in Israel und Großbritannien sieht. Aber bei einem Wettlauf der 27 um den Impfstoff wäre vom begehrten Vakzin am Ende auch nicht mehr produziert worden, sondern es wäre nur teurer verkauft und ungerechter verteilt worden. Die EU-Beschaffungsstrategie hat genau jenen "Basar" verhindert, den Kanzler Sebastian Kurz Brüssel nun vorwirft.

Auch auf Wirtschaftskrisen kann Brüssel nie so zielgerichtet reagieren wie Washington; die Polarisierung zwischen Demokraten und Republikanern ist leichter zu überwinden als die vielen nationalen Blockaden in der EU, zu denen auch Österreichs Regierung gerne beiträgt. Der wichtigste Beitrag, den europäische Politiker zur Krisenbewältigung nun liefern könnten, wäre mitzuhelfen, dass die Union gestärkt aus dieser Pandemie hervorgeht – und nicht geschwächt. (Eric Frey, 15.3.2021)