"Ich lebe meinen Traum", sagt Julia Brückler.

Foto: Brückler

Gerasdorf, Texas, Tokio – das wäre Julias Weg zum Glück. Vor zwei Jahren hat Julia Brückler, die beste Skateboarderin des Landes, Österreich den Rücken gekehrt. Sie ist zu ihrem ebenfalls skateboardenden Freund Cody McEntire in die texanische Kleinstadt Belton übersiedelt. In den Staaten gibt es ganz andere Trainingsmöglichkeiten, Trainingspartner und -partnerinnen, in den Staaten ist es keine Illusion, sich für Olympische Spiele zu qualifizieren. Dallas oder Houston sind gut mit dem Auto erreichbar, dort gibt es richtig große Skateparks. Üblicherweise ist es näher zu großen Contests, üblicherweise ist das Wetter besser.

JuliaBrueckler

Üblicherweise, das liegt eine Zeitlang zurück. Seit einem Jahr ist alles anders. Brückler hängt mehr oder weniger in Texas fest, das Reisen wäre in den USA zwar fast immer möglich gewesen, es hätte aber keinen Sinn gemacht, weil es kaum Skateboardevents gab. Dafür gab es heuer im Februar in Texas eine historische Kälteperiode. "Auch wir hatten drei Tage lang kein Wasser", sagt Brückler. "Aber Gott sei Dank hatten wir Strom."

Obwohl sie nicht weiß, wann wieder Bewerbe stattfinden, hält sich die 31-Jährige fit und skatet fast täglich. "Die Hoffnung stirbt zuletzt." Eine Hoffnung, die jedenfalls noch lebt, sind die Olympischen Spiele ab 23. Juli in Tokio, wo erstmals auch im Skateboarden Medaillen vergeben werden. Nach derzeitigem Stand wäre Brückler qualifiziert.

Stufen, Rails, Ledges

Pro Bewerb sind in Tokio zwanzig Boarder oder Boarderinnen startberechtigt, aber nicht mehr als drei pro Nation. Da fallen allein schon einige US-Amerikanerinnen, Brasilianerinnen und Japanerinnen heraus, deshalb würde Brückler in einer bereinigten Weltrangliste in den Top 20 aufscheinen. Ihre Disziplin heißt Street, hier sind auf der Straße nachempfundenen "Obstacles" wie Stufen, Rails und Ledges (längliche Blöcke mit Kanten) beispielsweise sogenannte Grinds/Slides und Flip Tricks gefragt. Im zweiten Olympiabewerb, Park, kommt den Sprüngen wesentlich mehr Bedeutung zu, nicht selten spielt sich das in einer Bowl (Schüssel) ab, in der Airs und Liptricks gezeigt werden.

Nach einem EM-Titel hat Brückler auch in den USA den Durchbruch geschafft, sie war 2014 in Austin die erste österreichische Skateboarderin bei den internationalen X-Games. Insgesamt fünfmal kam sie in die Top zehn, bestes Ergebnis war ein fünfter Platz 2018. Im selben Jahr trug sie am "Ladies Day at the Berrics Game of Skate" in Los Angeles den Sieg davon.

Die Gerasdorferin, die knapp 37.000 Follower auf Instagram hat, wird von Birdhouse, Blue Tomato, Nike und Kream (Kosmetik) unterstützt, selten kommt Preisgeld in stets überschaubarer Höhe dazu, manchmal eine Gage für Werbeaufnahmen. "Reich werde ich nicht, aber ich lebe meinen Traum, das ist mir wichtiger als Geld", sagt Brückler. Die Wirtschaftskrise sei auch am Skateboarden nicht spurlos vorbeigegangen. "Es ist schwieriger geworden, Sponsoren zu akquirieren. Viele Firmen beginnen bei den Werbebudgets zu sparen."

Es herrscht Uneinigkeit

Dazu gehört Skateboarden im Dezember an einem Spot wie diesem (Venice Beach). Fotos wie dieses postet Brückler auf Instagram, da hat sie 37.000 Follower.
Foto: Candy Jacobs

Nicht wenige Skateboarder und -boarderinnen sehen die Olympischen Spiele als Chance, den Sport und wohl auch sich selbst populärer zu machen. Andere lehnen die Entwicklung ab, sehen das Skateboarding seines ursprünglichen Sinnes, seiner Wurzeln beraubt. Sie würden das Skateboarden auch nicht als Sport bezeichnen, eher schon als Kultur. "Für mich sind beide Einstellungen voll in Ordnung", sagt Brückler. "Aber Sport ist kein böses Wort für mich. Ich bewege mich, ich strenge mich an, ich schwitze – für mich ist es ein Sport. Für mich ist es Sport und Kultur gleichermaßen."

Sie hat immer gerne Contests bestritten. Um zu reisen, um Leute kennenzulernen, auch wegen der Herausforderung. "Aber ich wollte nie den anderen etwas beweisen, sondern immer nur mir." Die Olympia-Aufnahme, das gibt Brückler zu, habe zu einer Reglementierung geführt. Früher sei "alles sehr easy" gewesen, in Tokio werde das nicht so sein. "Da kann ich sicher nicht trainieren, wann ich will, sondern halt nur zwischen 13:28 und 13:57 Uhr." Sie sagt, sie verstehe jeden Skateboarder, der sich das nicht antun will. "Aber er muss sich das dann ja auch nicht anschauen."

Das ÖOC als Förderer

Seit einiger Zeit wird sie vom Österreichischen Olympischen Komitee (ÖOC) unterstützt und von der Bundes Sport GmbH auch gefördert. Das sieht sie "sehr positiv", das Geld fließt vor allem in Reisen und Physiotherapie. "Die Zusammenarbeit funktioniert super." Seit Skateboarden ins Olympiaprogramm aufgenommen wurde, ist es eine Sparte des Rollsportverbands (ÖRSV) – neben beispielsweise Inline Speedskating, Skaterhockey oder Roller Derby. Ums Skateboarden kümmert sich der ehemalige Europameister Roman Hackl, der in den 90er-Jahren das Skateboarden hierzulande auf ein neues Niveau gebracht hatte. Der Wiener war auch ein Wegbereiter für Brückler, die vor Jahren in seiner Halle (skatearea23) trainierte und als Coach tätig war. Nun hat er einen Perspektivkader mit etlichen Talenten im Auge, für die Tokio 2021 kein Thema ist, die aber sehr wohl die nächsten Spiele anstreben, Paris 2024.

Mit 31 gehört Julia Brückler nicht mehr zum ganz jungen Eisen. "Es tauchen immer mehr 12- bis 16-Jährige auf, die sensationell unterwegs sind." Deshalb gibt es in Tokio im Skateboarden auch keine Altersbeschränkung, die hohen Olympier wollen schließlich endlich einmal auch junge Menschen ansprechen. Und das könnte ihnen über Skateboarding eher gelingen als, nur zum Beispiel, mit einem Teambewerb im alpinen Skisport.

Wie lange Brückler aktiv bleiben will? Contest-Niveau traut sie sich bis 35 zu, da könnte auch Paris noch locken. "Und prinzipiell kann man bis ins hohe Alter skateboarden. Man wird halt mit 60 nicht mehr auf eine Handrail springen." (Fritz Neumann, 15.3.2021)