"Hör doch einfach zu", steht auf einem Schild, das den australischen Premier Scott Morrison zeigt.

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100.000 Menschen waren es laut Angaben der Organisatorinnen, die sich am Montag am landesweiten "March 4 Justice" ("Marsch für Gerechtigkeit") in Australien beteiligten. In insgesamt 40 Städten, darunter sowohl Sydney, Canberra, Brisbane und Melbourne als auch kleinere Orte, gingen Menschen gegen sexuelle Gewalt auf die Straße.

Grund dafür ist die stetig wachsende Zahl von #MeToo-Vorwürfen, die in den letzten Wochen erhoben wurden. Alle davon betreffen Männer, die auf die eine oder andere Weise im Machtzentrum Australiens stehen. Den Anfang machte Mitte Februar Brittany Higgins, eine frühere Mitarbeiterin von Australiens regierender Liberal Party unter Premier Scott Morrison. Sie gab an, im Jahr 2019 von einem Kollegen im australischen Parlamentsgebäude vergewaltigt worden zu sein.

Männer im Machtzentrum

Nach Higgins' Gang an die Öffentlichkeit meldeten sich drei weitere Frauen zu Wort, die demselben Mann Belästigung vorwarfen. Verteidigungsministerin Linda Reynolds, damals Higgins' Vorgesetzte, geriet infolge der Vorwürfe unter Druck: Sie habe ihre ehemalige Mitarbeiterin nicht unterstützt, nachdem diese ihr von der Vergewaltigung erzählt hatte.

Higgins hatte angegeben, sie habe Angst gehabt, ihre Stelle zu verlieren, sollte sie zur Polizei gehen. Wenig später wurde bekannt, dass die Verteidigungsministerin sie als "lügende Kuh" bezeichnet hatte, wofür Reynolds sich später öffentlich entschuldigte – es sei eine stressige Woche gewesen.

Vorwürfe gegen den Attorney General

Ein weiterer Vorwurf betrifft den australischen Attorney General Christian Porter, dessen Funktion im Wesentlichen der eines Justizministers ähnelt. In einem Brief an Premier Scott Morrison erhoben Freunde und Familie der Betroffenen der Vorwurf, Porter habe sie in den 1980er-Jahren vergewaltigt. Für sich selbst kann die Frau nicht mehr sprechen: Sie nahm sich im vergangenen Sommer das Leben, einige Monate, nachdem sie den Vorfall erstmals der Polizei gemeldet hatte. Der Attorney General bestreitet sämtliche Vorwürfe, Premier Morrison sprach ihm seine volle Unterstützung aus.

Damit zog Morrison einmal mehr den Unmut der Öffentlichkeit auf sich. Zu Higgins' Fall hatte er zunächst gesagt, er habe die Aufregung nicht nachvollziehen können, bis seine Frau ihm geraten habe, sich vorzustellen, Higgins wäre seine Tochter. Die Organisatorinnen des "March 4 Justice" am Montag forderten ein öffentliches Gespräch mit dem Premier. Sein Angebot, die Organisatorinnen hinter verschlossenen Türen zu treffen, schlugen sie aus. "Mehr als 100.000 Frauen und Verbündete aus allen sozialen Schichten stehen auf, um zu sprechen. Wie könnte es da ausreichen, nur drei Frauen zu treffen?", schrieb die Organisatorin Janine Hendry auf Twitter.

"Big Swinging Dicks"

Schon lange klagen Frauen über eine toxische politische Kultur in Australien, in der sie geringgeschätzt und von Männerseilschaften blockiert würden. Im Rahmen der medialen Berichterstattung über die #MeToo-Fälle geriet der Name einer solchen Seilschaft an die Öffentlichkeit: Die frühere Außenministerin Julie Bishop sagte in einem Interview, sie sei mehrfach systematisch von einer Gruppe Abgeordneter der Liberal Party blockiert worden, die sich selbst die "Big Swinging Dicks" ("Die großen schwingenden Schwänze") nannten. Verballhornungen dieses Namens waren am Montag auf vielen Protestschildern zu lesen.

Brittany Higgins trat während des "March 4 Justice" als Rednerin auf. "Wir alle haben in den letzten Wochen gelernt, wie verbreitet geschlechtsspezifische Gewalt in diesem Land ist", sagte Higgins vor tausenden Menschen bei einer der Kundgebungen in Canberra. Sie warf der Politik vor, das Thema zu meiden und sich vor Verantwortung zu drücken. "Es ist Zeit, dass wir das Problem tatsächlich angehen." (Ricarda Opis, 15.3.2021)