Die "Mutantenjägerin" Luisa Cochella im Wiener Forschungsinstitut für Molekulare Pathologie (IMP) beim Betrachten der Strukturen eines Corona-Spike-Proteins. Bei der Variante B.1.1.7 gibt es in diesem Stacheleiweiß gleich mehrere ungute Mutationen.

APA/ROLAND SCHLAGER

Die britische Corona-Variante B.1.1.7 ist längst die neue Normalität in Österreich – mit Ausnahme Vorarlbergs. Laut Ages-Chef Franz Allerberger machte die infektiösere Mutante in der Vorwoche bundesweit 76 Prozent der positiven Tests aus, in einigen – vor allem östlichen – Bundesländern liegt der Wert bereits bei rund 90 Prozent.

Grundsätzlich gingen Expertinnen und Experten seit Beginn der Pandemie davon aus, dass ansteckendere Varianten sich durchsetzen würden. Zugleich gab es aber auch die evolutionsbiologisch begründete Hoffnung, dass diese neuen Varianten weniger gefährlich sein würden – weil das Virus sich so noch besser verbreiten könnte. Selbst Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) äußerte im Sommer diese Vermutung.

Die Variante B.1.1.7, die im September in Großbritannien entstand, widerlegt leider diese Hoffnung: Sie ist, wie nun immer klarer wird, nicht nur ansteckender – was dazu geführt hat, dass B.1.1.7 nicht nur in Österreich, sondern in vielen Ländern Europas bereits für die Mehrheit der Infektionen sorgt. Die Variante dürfte leider auch virulenter sein. Diese Vermutung bestand bereits seit mehr als einem Monat. Nun bestätigen neue Studien mit neuen Daten, dass B.1.1.7 in Relation zu etwas mehr schweren Krankheitsverläufen und etwas mehr Todesfällen führt.

Verdacht bereits im Februar

Erste Studien dazu waren bereits im Februar in Großbritannien erschienen. Doch damals war noch unklar, ob die höhere Transmissibilität daran schuld sein könnte, dass mehr Personen (etwa auch in Alten- und Pflegeheimen) im Verhältnis zu den Infektionszahlen starben. Nun allerdings scheint sich die Datenlage erhärtet zu haben: Die neueste Studie, die heute im Fachblatt "Nature Medicine" fachbegutachtet erschien, kommt zum Schluss, dass die Variante B.1.1.7 ein um 61 Prozent höheres Sterberisiko aufweist als die bisherige Normalvariante.

Für ihre Untersuchung zogen Nicholas Davies (London School of Hygiene and Tropical Medicine) und seine Kollegen Daten von 2.245.263 positiven Sars-CoV-2-Testergebnissen und 17.452 Covid-19-Todesfällen in England von 1. September 2020 bis 14. Februar 2021 heran. Bei 1.146.534 der positiven Tests handelte es sich um B.1.1.7-Fälle. Zudem brachen sie die Ergebnisse auch auf konkrete Altersgruppen herunter. Dabei zeigte sich, dass etwa für einen Mann im Alter von 55 bis 69 Jahren das Risiko, 28 Tage nach einem positiven Test zu sterben, von 0,6 auf 0,9 Prozent anstieg.

Eine Studie im "British Medical Journal" von letzter Woche war zu einem ähnlichen Schluss gekommen: dass nämlich in Großbritannien das Mortalitätsrisiko durch B.1.1.7 im Vergleich zur bisherigen Variante um 32 bis 104 Prozent anstieg (wahrscheinlichster Wert: 64 Prozent). Das absolute Sterberisiko durch Covid-19 bleibe für die allgemeine und nicht nicht geimpfte Bevölkerung aber weiterhin gering, schreiben die Autoren um Robert Challen (Lancester Medical School).

Bestätigung aus Dänemark

Indirekt bestätigt werden diese vor allem mathematischen Berechnungen durch Daten aus Dänemark: Eine Untersuchung des dänischen Gesundheitsdiensts SSI ermittelte, dass die Mutante B.1.1.7, die längst auch in Dänemark dominiert, ein um 64 Prozent höheres Risiko für Krankenhausaufenthalte hat als die bisherige Normalvariante. Insgesamt 35.887 Personen, die im Zeitraum von 1. Jänner bis 6. Februar positiv getestet worden waren, wurden in der Studie berücksichtigt.

Zwar sei noch nicht klar, warum B.1.1.7 das Risiko einer Hospitalisierung erhöhe, sagte Tyra Grove Krause, die technische Direktorin des Zentrums des dänischen Gesundheitsdiensts. "Unsere Zahlen weisen jedoch in die gleiche Richtung wie mehrere andere Studien aus Großbritannien, die zeigen, dass B.1.1.7 möglicherweise ernstere Verläufe verursacht."

Mögliche Überlastung der Spitäler

Die Medizinerin legt aber auch Wert auf die Feststellung, dass eine Corona-Infektion "in den allermeisten Fällen" mild verläuft. "Wenn jedoch das Risiko eines Krankenhausaufenthalts bei B.1.1.7 größer ist, können Krankenhäuser leichter überlastet werden, wenn sich B.1.1.7 stärker ausbreitet."

Was das für Österreich bedeutet, liegt auf der Hand: Das Verhältnis zwischen Infektionszahlen und zu erwartenden Hospitalisierungen dürfte sich verändern. Zum Teil lässt sich das auch bereits an den Zahlen der belegten Betten in Spitälern und Intensivstationen ablesen: Im Vergleich zum Herbst ist insbesondere die Intensivbettenauslastung bei vergleichbarer Sieben-Tage-Inzidenz deutlich höher, und zwar besonders in jenen Bundesländern, wo auch die Variante B.1.1.7 schon länger dominant ist. (Klaus Taschwer, 15.3.2021)