Nora Stiasny hatte Gustav Klimts "Rosen unter Bäumen" 1938 unter Zwang verkaufen müssen. 1980 kaufte es Frankreich für das Musée d’Orsay um vier Millionen Franc an.

Foto: RMN-Grand Palais (Musée d’Orsay) / P. Schmidt

Roselyne Bachelot-Narquin wurde 1946 als Tochter eines Widerstandskämpfers geboren, und ist seit neun Monaten als Frankreichs Kulturministerin im Amt. Proteste Kulturschaffender und deren Forderung nach Öffnung ihrer Corona-bedingt geschlossenen Betriebe gehören zu ihrem Alltag. Der für Montagnachmittag in ihrem Ministerium in Paris anberaumte Termin galt aber einem Thema mit internationaler Reichweite.

Bachelot-Narquin verlautbarte die Absicht, ein Gemälde aus dem Bestand des Musée d’Orsay an die Nachfahren von jüdischen Holocaust-Opfern zu restituieren: konkret Gustav Klimts Rosen unter Bäumen, das einst Nora Stiasny gehörte. Die Tochter des bekannten österreichischen Chirurgen Otto Zuckerkandl hatte es im Sommer 1938 unter Zwang verkauft, sie war 1942 nach Polen deportiert und ermordet worden.

Die Ankündigung birgt eine gewisse Brisanz, da sie mit einer Fehlentscheidung der österreichischen Kommission für Provenienzforschung verknüpft ist. Denn im November 2001 hatte man den Nachfahren Stiasnys irrtümlich ein anderes Klimt-Bild restituiert: Apfelbaum II, das, wie man jetzt weiß, der Sammlung von August und Serena Lederer zuzuordnen ist. Auf diesen Hinweis war Belvedere-Provenienzforscherin Monika Mayer gestoßen, kurz nachdem der Beirat im Herbst 2000 eine Rückgabe empfohlen hatte.

Vermeidbare Fehler

Darüber hatte sie sowohl ihren damaligen Vorgesetzten, Belvedere-Direktor Gerbert Frodl, als auch den Leiter der Kommission Ernst Bacher zeitgerecht in Kenntnis gesetzt. Auch der damals im Ministerium zuständige Sektionschef Rudolf Wran war informiert. Mayers Vorschlag zusätzlicher Recherchen wurde in den Wind geschlagen. Rückblickend wäre der Fehler also vermeidbar gewesen.

Von leisen Zweifeln zeugte nur eine von der Finanzprokuratur damals vorgelegte Haftungserklärung, die Rechtsanwalt Alfred Noll stellvertretend für seinen Mandanten unterzeichnete: Dieser verpflichtete sich, auch namens seiner Rechtsnachfolger, das Bild zurückzustellen, "sollte sich herausstellen, dass das mir übergebene Gemälde in Wahrheit nicht mit dem seinerzeit im Eigentum von Frau Eleonore (Nora) Stiasny gestandenen Gemälde ident ist".

Verdacht eines Irrtums

Den Verdacht eines Irrtums machte der Kurier im Sommer 2015 öffentlich und bestätigte die Prüfung des Sachverhalts seitens der Kommission, die von einem Lederer-Erben auf den Plan gerufen worden war.

Ein Jahr später berichtete der STANDARD über neue Ergebnisse, die Monika Mayers hartnäckig betriebene Forschung zutage förderten: Jenes Klimt-Bild, das Nora Stiasny einst tatsächlich gehörte, befand sich seit 1980 im Bestand des Museé d’Orsay. Die Belvedere-Provenienzforscherin konnte die Geschichte von Rosen unter Bäumen nahezu lückenlos rekonstruieren und jedweden Zweifel ausräumen, wie der Beirat, auch durch ein Gutachten von Tobias Natter gestützt, im Juli 2017 bekanntgab.

Damit wurde zeitgleich die fehlerhafte Rückgabe von 2001 endgültig amtlich. Das Problem dabei: Die Restitution von Apfelbaum II war nach so vielen Jahren nicht reversibel. Die Erben hatten das 2001 von Auktionshäusern auf zehn Millionen Dollar geschätzte Bild längst verkauft und den Erlös untereinander aufgeteilt. Trotz erwähnter Haftungserklärung, die manche Verfassungsjuristen aufgrund der Beschränkung des Eigentumsrechts als unverhältnismäßig einstufen.

Die Finanzprokuratur prüfte Regressforderungen an die in Schweden lebenden Erben, deren verstorbene Vorfahren, wenn auch unverschuldet, über die falsche Rückgabe bereichert wurden. Ein juristisch komplexes und womöglich kostspieliges Unterfangen – abgesehen von der schiefen Optik, wenn die Republik aufgrund selbstverschuldeter Fehler Nachfahren von Holocaust-Opfern verklagt.

Antrag auf Rückgabe 2019

Klimts mutmaßlich aus der Sammlung Lederer stammender Apfelbaum II gelangte STANDARD-Recherchen zufolge über Daniella Luxembourg in die Privatsammlung des französischen Milliardärs Bernard Arnault, Eigentümer des Luxusgüterkonzerns LVMH Moët Hennessy – Louis Vuitton. Dem Vernehmen nach handelt es sich um das einzige Klimt-Gemälde dieser Güte in französischem Privatbesitz. Das einzige in französischem Staatsbesitz ist Rosen unter Bäumen.

Im Herbst 2019 hatte Alfred Noll namens der Stiasny-Erbengemeinschaft die Rückgabe aus dem Bestand des Museé d’Orsay beantragt. "Die Voraussetzung dafür war allerdings ihre Bereitschaft, die Angelegenheit in weiterer Folge in Ordnung zu bringen", so Noll. Nachsatz: Es werde sich bestimmt eine Lösung finden. Wann das Gemälde restituiert wird, steht noch in den Sternen. Der politischen Willenserklärung der Kulturministerin müssen in den nächsten Wochen oder Monaten ein Beschluss des Parlaments und eine juristische Grundlage folgen. Frankreich hat kein Kunstrückgabegesetz, Kulturgüter in Staatsbesitz gelten als unveräußerlich.

Kein Beharren

Was Alfred Noll, der im Laufe der Jahre zahlreiche solcher Causen betreute, in der aktuellen rückblickend überraschte? Die Reaktion der französischen Behörden und der Verantwortlichen des Museums: "Es gab nicht einen Moment, in dem man auf seiner juristischen Position beharrte" – das Bild war 1980 nach eingehender Prüfung für vier Millionen Franc im Schweizer Kunsthandel angekauft worden. Man orientierte sich an moralisch-historischen Kriterien. Eine Rückgabe stand außer Frage, sollte der Zwangsverkauf nachweisbar sein. Dank detaillierter Provenienzforschung gilt er nun als erwiesen. (Olga Kronsteiner, 15.3.2021)