Anfang März 2011 in den Ölanlagen von Ras Lanuf: Ein Kämpfer reißt ein Gaddafi-Plakat herunter.

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Nach fast sieben Jahren Krieg und politischem Chaos hat Libyen seit vergangener Woche wieder eine einheitliche Regierung: Sie ist auf Uno-Vermittlung zustande gekommen, wurde jedoch von Vertretern aller Landesteile gewählt, vom Parlament – auch davon gab es jahrelang zwei – bestätigt und soll das schwer gespaltene Land in Neuwahlen im Dezember führen. Hoffnung, aber auch Skepsis begleiten den Neustart unter Premier Abdul Hamid Dbeibah, einem reichen Bauunternehmer aus Misrata, der gleich einmal in den Verdacht geriet, seiner Wahl mit Geld nachgeholfen zu haben.

Wichtig ist, dass der Waffenstillstand hält, der im Oktober 2020 den Krieg zwischen Ost- und Westlibyen beendete – und damit die im April 2019 gestartete Offensive des starken Manns des Ostens, General Khalifa Haftar, auf die Hauptstadt Tripolis und die von der Türkei unterstützte Gegenoffensive der Regierung von Fayez al-Serraj.

Hinter Haftar standen Russland, die Vereinigten Arabischen Emirate und Ägypten: Es müssen also auch eine Reihe äußerer Akteure mitspielen, um Libyen zehn Jahre nach dem Sturz von Muammar al-Gaddafi zur Ruhe kommen zu lassen.

Sicherheitsrat greift ein

Unter den arabischen Staaten, in denen sich 2011 Anti-Regime-Demonstrationen zu Massenprotesten oder zu einem bewaffneten Aufstand entwickelten, kommt Libyen eine Sonderrolle zu: In keinem anderen Land griff der Westen koordiniert militärisch ein. Diese Woche, am 17. März, jährt sich zum zehnten Mal die Verabschiedung von Resolution 1973 im Uno-Sicherheitsrat, die das Mandat erteilte, zum Schutz der Zivilbevölkerung eine Flugverbotszone über Libyen zu errichten.

Am 19. März 2011 griffen Frankreich, Großbritannien und die USA Gaddafis Luftabwehr und Kommandozentralen an, am 23. März wurde gemeldet, dass die libysche Luftwaffe außer Kraft gesetzt sei. Am 27. März übernahm die Nato das Kommando über die Luftoperationen. Am Boden gingen die schweren Kämpfe zwischen Gaddafi-Truppen und Rebellen weiter.

Da war bereits die Debatte darüber voll im Gang, ob das vom Sicherheitsrat verliehene Mandat, die libysche Bevölkerung zu schützen, nicht längst überschritten sei und zum Sturz von Gaddafi "missbraucht" werde. Manche befürchteten, dass damit das relativ neue völkerrechtliche Konzept "R2P" – Responsibility to Protect (Schutzverantwortung) – beschädigt würde.

Kriegsmüdes Deutschland

Das nach zehn Jahren in Afghanistan kriegsmüde Deutschland, das damals als nichtständiges Mitglied im Sicherheitsrat saß, hatte seine westlichen Verbündeten mit einer Stimmenthaltung schockiert – während die Enthaltungen Russlands und Chinas als möglicher neuer Kooperationsansatz gesehen wurden. Sie hatten immerhin kein Veto eingelegt. Aber der Kriegsverlauf zugunsten der Rebellen, die unter dem Schutz der Nato vormarschiert waren, war später einer der Gründe dafür, dass beim nächsten Krieg im Nahen Osten, in Syrien, im Sicherheitsrat mit Moskau überhaupt nicht mehr zu reden war. Im August ging Gaddafi in den Untergrund, im Oktober wurde er von Rebellen festgenommen und getötet.

Dem Verzicht Russlands und Chinas auf das Veto hatte auch nachgeholfen, dass sogar die Arabische Liga die Flugverbotszone gefordert hatte. Die Vereinigten Arabischen Emirate und Katar beteiligten sich an den Lufteinsätzen. Der zunehmend erratische Gaddafi, 1969 durch einen Putsch an die Macht gekommen, hatte keine Freunde mehr. Die Aufständischen nannte er Kakerlaken und Ratten. Europa – wo man in dieser Hinsicht zuvor gerne mit ihm kooperiert hatte – drohte er damit, es von Libyen aus mit afrikanischen Flüchtlingen zu überschwemmen. Und dann waren da natürlich auch die Ölanlagen, die man schützen wollte.

Gut organisierte Rebellen

Für ein militärisches Eingreifen in Libyen sprach wohl auch einfach, dass es militärisch machbar war, ohne erwartbare politische Kollateralschäden – und mit einem absehbaren Ende. Das Mandat schloss ein militärisches Engagement am Boden aus. Dass die Aufständischen die Verwaltung sofort selbst in die Hand nahmen, verschaffte dem Ausland den legitimen Ansprechpartner, den man später in Syrien so vermisste. Bereits im März gründeten Rebellen den Transitional National Council (TNC), der zuerst von Frankreich und im September von der Uno-Generalversammlung als Repräsentant des libyschen Volkes anerkannt wurde. Libyen hatte eine Führung.

Erleichtert wurde das Eingreifen zusätzlich dadurch, dass die Rebellen schon früh ein zusammenhängendes Gebiet kontrollierten, den Osten. In Bengazi hatten sich auch die ersten Proteste formiert, sie gingen von Menschen aus, deren Angehörige bei der Niederschlagung der Revolte im Gefängnis Abu Salim 1996 getötet worden waren, mindestens 1200. Die Verhaftung des Anwalts Fethi Tarbel, der die Familien vertreten hat, löste am 15. Februar 2011 die ersten Demonstrationen aus, bei denen – nach dem tunesischen und ägyptischen Vorbild – das Ende des Regimes gefordert wurde.

Frühe Spaltung

Die Reaktion Gaddafis war äußerst brutal, der Weg zu einem bewaffneten Aufstand damit programmiert. Relativ früh setzten sich auch Regimemitglieder, später auch Militärs ab, dazu kam das Engagement von Exilanten, wie ja auch Haftar einer war, der sich mit Gaddafi Ende der 1980er-Jahre im Tschad-Krieg überworfen hatte.

Zwischen dieser Gruppe, die den Übergangsrat dominierte, und den sich selbst als die echten "Revolutionäre" bezeichnenden Kämpfer – viele an die Geschehnisse an Abu Salim gebunden, viele davon Islamisten – bildete sich bald jenes Misstrauen, das 2014 zur politischen Spaltung und zur militärischen Auseinandersetzung führte. Und sie zogen unterschiedliche Unterstützung aus dem Ausland an, gegen die Türkei- und Muslimbrüdernahen Islamisten bildete sich die von Haftar angeführte Front, die sich auf die Fahnen heftete, gegen "Terroristen" zu kämpfen. Nun sollen sie wieder gemeinsam regieren. (Gudrun Harrer, 16.3.2021)