Politiker wie Gesundheitsminister Rudolf Anschober (re.) haben an Popularität eingebüßt. Der Abgang des Impfsonderbeauftragten Clemens Martin Auer wird nicht viel helfen.

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Nicht nur in Österreich wächst der Unmut gegen Regierungsverantwortliche, die sich in Umfragen einst großer Popularität erfreuten. Doch gerade angesichts besorgniserregender Polarisierungen gilt es, das Maß zu wahren – auch in der Bewertung der Politik.

Mutiert der einstige Musterschüler zur ,Lachnummer‘? Maskenskandale, Test- und Impfchaos und gestoppte Hilfszahlungen. Die Nerven liegen blank." Nein, das ist nicht eine Zeitungsschlagzeile in einer Bilanz über die österreichischen Zustände zum traurigen Jubiläum "Ein Jahr Covid-19-Pandemie", sondern der Titel einer Reportage über die deutsche Corona-Politik. Der Leitartikel im Spiegel vom 6. März beschäftigt sich mit der Frage, warum Gesundheitsminister Jens Spahn zurücktreten sollte; in der Zeit vom 11. März werden "Protokolle aus der Ministerpräsidentenkonferenz, in der alle wichtigen Entscheidungen fallen", mit der in der Unterzeile gestellten Frage "Wann ist Deutschland in der Bekämpfung des Virus die Kontrolle entglitten?" garniert. Gleichlautender Inhalt der zitierten Artikel ist auch heftige Kritik an Bundeskanzlerin Merkel, die als Hauptschuldige an der "Misere" identifiziert wird.

Wenn man die Namen und Begriffe Merkel, Spahn und Ministerpräsidenten durch Kurz, Anschober und Landeshauptleute ersetzt, könnte man die Texte nahezu 1:1 auf Österreich übertragen. Ähnliches lässt sich auch für die Schweiz und andere Staaten konstatieren.

Was ist passiert, dass die Gesundheitsminister, die Umfragen-Heroen des Frühjahrs zu den Zeros des Winters geworden sind? Warum ist die überwältigende Zustimmung zur deutschen und österreichischen Bundesregierung von April und Mai 2020 von über 70 Prozent auf nur mehr knapp über 30 Prozent im Februar/März 2021, also eine Minderheitenposition, geschrumpft?

Fehlende Besonnenheit

Es wird darauf keine einfache Antwort geben, aber einige sozialpsychologische Deutungen scheinen doch möglich: Die Pandemie dauert schon lange, Geduld, Disziplin und Besonnenheit sind nicht jene Tugenden, die das menschliche Naturell dauerhaft durchhält. Auch die Fastenzeit ist daher begrenzt. Die Sehnsucht nach mehr Sozialkontakten, nach dem Kino- und Theaterbesuch, nach dem Kaffeehaus und dem Beisel ist verständlich. Die Regierenden sind die ideale Projektionsfläche der individuellen Unzufriedenheit.

Generell gilt: Je länger ein Zustand dauert, umso vielstimmiger wird die Kritik und um so weniger wird "Anordnungen der Obrigkeit" geglaubt und gefolgt. Daher hat sich die Wirksamkeit der Lockdowns der letzten Monate im Vergleich zum Frühjahr 2020 stark abgenutzt. Nun ist die kritische Reflexion ganz sicher ein Markenzeichen für eine offene Gesellschaft und vitale Demokratie. Wenn aber statt Fakten alternative Fake-News verbreitet werden und Hassparolen statt eines ernsthaften Diskurses gerufen werden, dann ist, wie nach den Auftritten von Herbert Kickl, Gefahr in Verzug.

Maß und Mitte drohen verlorenzugehen, virale Erregungsspiralen lassen soziale Netzwerke eher als unsoziale Tools erscheinen. Eine resiliente und vitale Demokratie braucht aber eine starke Mitte, in der der "Narrensaum" der Extremisten auf allen Seiten wirklich eine Randerscheinung bleibt.

Demokratie nicht in Gefahr

Die Demokratie in Österreich ist jedenfalls nicht durch flapsige Bemerkungen über "juristische Spitzfindigkeiten" oder verunglückte Verordnungen des Gesundheitsministers gefährdet – glücklicherweise funktioniert bei uns Verfassungsgerichtsbarkeit und haben wir in Österreich eine wache und mutige Zivilgesellschaft und ebensolche Medien.

Vielleicht sollten wir uns das vor Augen halten, was einer der bedeutendsten lebenden Denker unserer Zeit, der bald 92-jährige deutsche "Großphilosoph" Jürgen Habermas, schon früh zu Beginn der Pandemie, nämlich am 10. 4. 2020, in einem Interview für die Frankfurter Rundschau äußerte: "So viel Wissen über unser Nichtwissen und über den Zwang, unter Unsicherheit zu handeln, gab es noch nie." Habermas mahnte auch Experten zu Zurückhaltung bei "unvorsichtigen Prognosen", was die wirtschaftlichen, sozialen und gesellschaftspolitischen Folgen der Pandemie sein werden.

Angesichts des "Zwangs, unter Unsicherheit zu handeln", hat die Bundesregierung gemeinsam mit den Landeshauptleuten und Sozialpartnern sich vergleichsweise mindestens passabel, eigentlich recht gut geschlagen – in den letzten Monaten auch mit oft konstruktiver Haltung der Chefin der größten Oppositionspartei, Pamela Rendi-Wagner, bei der offenbar medizinisches Fachwissen und Ethos den Drang, billig Punkte zu machen, übertroffen haben.

Belächeln, hoffen, drängen

Am 28. August 2020 sprach Bundeskanzler Kurz "vom Licht am Ende des Tunnels", das vor allem durch Impfungen im Sommer 2021 wieder halbwegs Normalität in unser Leben zurückbringen kann. Ein paar Tage später kündigte der Gesundheitsminister an, dass zu Jahreswechsel der Impfstoff zur Verfügung stehen würde.

Die vielfachen Reaktionen darauf waren entweder mildes Lächeln oder Kritik, dass hier illusionäre Hoffnungen geweckt würden. Es wurde bezweifelt, dass tatsächlich "so früh" die Vakzine zur Verfügung stünden. Dann war zunächst das Pfizer/Biontech-Produkt ab 27. Dezember da. Das wiederum führte dazu, dass es jetzt oft denen, die dieses Datum im Herbst noch als utopische Beschwichtigung abgetan hatten, viel zu langsam mit der Impferei geht.

Es allen recht zu tun, ist eben eine Kunst, die niemand kann. Im Bewusstsein dessen sei zusammenfassend konstatiert: Die politisch und die im Gesundheitsbereich Verantwortlichen bemühen sich redlich. Das ist von ihnen auch zu verlangen. Jeder Einzelne von uns ist aufgefordert, einerseits gesundheitspolitisch Eigenverantwortung wahrzunehmen und andererseits als Bürgerin und Bürger demokratiepolitisch engagiert zu sein.

Denn unser Gemeinwesen und unsere Demokratie funktionieren nur, wenn verantwortungsbewusste Bürger in der Mehrzahl sind. Im Zusammenwirken dieser Faktoren sollte es tatsächlich im Sommer Licht am Ende des Tunnels geben. (Herwig Hösele, 16.3.2021)