Demo gegen Corona-Maßnahmen in Wien am 6. März. 36 Prozent der Menschen zeigen laut Gallup-Umfrage sehr großes oder großes Verständnis.

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Wien – Das Corona-Barometer von Gallup und Medienhaus Wien zeigt – über viele Bevölkerungsschichten und politische Sympathien hinweg – wachsendes Misstrauen gegenüber der Regierung und politischen Institutionen, aber auch den Medien. 36 Prozent der Bevölkerung äußern laut der jüngsten Umfragewelle (1.000 Befragte Ende Februar) Verständnis für Demonstrationen gegen Corona-Maßnahmen. Sie sind zugleich überproportional in Foren und auf Social Media aktiv.

"Fremde Macht" für ein Viertel allgegenwärtig

25 Prozent der Befragten gehen laut der Gallup-Umfrage davon aus, dass eine fremde Macht hinter dem Coronavirus steht. Gallup-Geschäftsführerin Andrea Fronaschütz kann das nicht überraschen: "Die Gruppe von Menschen, die – egal bei welchem Thema – fremde Mächte oder absichtsvolles Handeln vermuten, ist in Österreich bei ungefähr einem Fünftel, einem Viertel relativ stabil. Das ist in anderen Ländern ähnlich. Wir wissen: Egal welche Frage wir stellen, auch beim Impfen oder bei nicht Corona-bezogenen Themen, ist das ungefähr ein Viertel."

Wachsendes Verständnis für Anti-Corona-Demos

Elf Prozent äußerten Anfang November noch "sehr großes" Verständnis für Demonstrationen gegen Corona-Maßnahmen – die Umfragewelle damals stand noch unter dem Eindruck des Terrorattentats in Wien und zeigte insgesamt positivere Werte etwa für Regierungsmaßnahmen und auch die Rolle der Medien.

Seither stieg der Anteil der Menschen mit "sehr großem Verständnis" für Corona-Demos mit jeder Gallup-Umfragewelle an, zuletzt, zwischen 18. und 22. Februar, wurden aus den elf Prozent 18. Stabile weitere 18 Prozent äußern "großes Verständnis" für die Demos. "Das bedeutet nicht, dass all diese Menschen auch tatsächlich auf die Demonstrationen gehen", erklärte Fronaschütz bei der Präsentation der jüngsten Daten am Dienstag.

"In der Zweiten Republik gab es kaum je eine Bewegung, in der ein Drittel der Bevölkerung systemisches Misstrauen in die Regierung und politische Institutionen äußerte", analysierte Medienhaus-Gesellschafter und Medienwissenschafter Andy Kaltenbrunner.

Ist das nicht etwa die Größenordnung, die früher als Protestwählerpotenzial gesehen wurde? "Die Dimension ist sicher vergleichbar", räumt Kaltenbrunner ein. "Das Neuland ist, wie heterogen diese Gruppe zusammengesetzt ist."

Verständnis für Corona-Demos

Höchstwerte (und die größten Steigerungen seit November) erreicht das Verständnis für Corona-Demos bei

  • Menschen zwischen 31 und 50 Jahren: von 15 Prozent sehr große Zustimmung im November auf nun 25 Prozent im Februar.
  • Menschen mit Kindern unter 14 Jahren, Stichwort Betreuung und Homeschooling: von zwölf auf 22 Prozent sehr großes Verständnis für Corona-Demos.
  • Menschen mit Haushalts-Nettoeinkommen bis 1.500 Euro im Monat: von elf auf 27 Prozent großes Verständnis.
  • Selbstständige, Freiberufler, leitende Angestellte von neun auf 24 Prozent.
  • Nicht Berufstätige von 19 auf 33 Prozent.
  • Menschen, die ihren Job verloren haben, von 30 auf 37 Prozent, und Menschen, die einen wichtigen Teil ihres Einkommens verloren haben, von 18 auf 28 Prozent.
  • Menschen, die sich als eher links einstufen, äußern vielfach mehr Verständnis für die Demos – von zusammen 19 auf 38 Prozent (sehr großes und großes Verständnis).
  • Rechts und eher rechts positionierte Menschen haben das insgesamt größte Verständnis für die Demos – und deutliche Zuwächse seit November. 42 Prozent deklarierte "Rechte" haben nun sehr großes Verständnis, 24 Prozent großes.

Zurückgegangen sind großes und sehr großes Verständnis indes bei Menschen, die Corona selbst oder in der Familie hatten.

Unter Neuland reiht Kaltenbrunner auch, dass die Gruppe "immer schwieriger erreichbar ist. Die Medien werden als Teil des Problems gesehen. Sie sind mit Regierungskampagnen nicht zu erreichen. Und sie sind nicht dialogfähig", resümiert Kaltenbrunner aus den Daten der Gallup-Erhebung.

"Ich vertraue den Medien nicht"

36 Prozent der Gesamtbevölkerung meiden laut der jüngsten Umfragewelle Nachrichten sehr häufig oder häufig. Unter den Menschen mit Verständnis für die Corona-Demos liegt dieser Anteil bei 55 Prozent.

"Ich vertraue den Medien nicht" – damit erklären 37 Prozent der Demo-Befürworter ihre Nachrichtenverweigerung, in der Gesamtbevölkerung geben das 19 Prozent an.

Demo-Sympathisanten erklären das zu 47 Prozent mit "einseitigen und oberflächlicher" Berichterstattung "etwa über die täglichen Corona-Zahlen", in der Gesamtbevölkerung sagen das 36 Prozent.

Mehr Menschen als in der Gesamtbevölkerung erklären die Vermeidung auch damit, das sie Nachrichten als psychisch belastend empfinden.

Überproportional aktiv in Foren und Social Media

Menschen mit Verständnis sind nach eigenen Angaben sowohl in Foren und Blogs sowie insbesondere auf Social Media aktiver als die Gesamtbevölkerung. 32 Prozent posteten Anfang November, 36 Prozent tun das nun – in der Gesamtbevölkerung waren das 25 und sind es nun 22 Prozent.

Medien werden als Teil des politischen Systems wahrgenommen, sagt Kaltenbrunner, und das in Österreich schon lange stärker als in anderen Ländern. Nun würden Medien vermehrt als zu wenig kritisch gegenüber dem politischen System wahrgenommen. "Es wird eine spannende Frage für die Medien und den Journalismus nach der Pandemie: Wie werden sie autonom und selbstständig wahrgenommen – und wie nicht. Das wird wesentlich über Akzeptanz und Nutzung in der Zukunft entscheiden." (fid, 16.3.2021)