Petra Sußner ist Rechtswissenschafterin und beschäftigte sich in ihrer Dissertation an der Universität Wien mit dem Thema sexuelle Orientierung und Geschlecht in Asylverfahren.

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Es war ein Fall, der viel Aufsehen erregte: 2018 stellt ein Mann aus Afghanistan in Österreich einen Asylantrag auf Basis seiner Sexualität. Bei der Einvernahme im Bundesasylamt wird er befragt.

Das Urteil: Der Mann sei unglaubwürdig, denn er sei nicht "gesellig". Und Homosexuelle seien doch bekannt dafür, besonders umgänglich zu sein. "In Asylverfahren kommen oft stereotype Vorstellungen zum Zug", sagt Petra Sußner. "Das ist das Symptom eines Systems, das heteronormativ organisiert ist, also Heterosexualität als soziale Norm sieht."

Sußner ist Rechtswissenschafterin und beschäftigte sich in ihrer Dissertation an der Universität Wien mit dem Thema sexuelle Orientierung und Geschlecht in Asylverfahren. Will jemand einen Asylantrag auf dieser Basis stellen, läuft das wie jeder andere Asylantrag ab. Doch es komme immer wieder zu Problemen, wie das Beispiel des afghanischen Geflüchteten zeigt.

Hier setzt Sußners Arbeit an: Das Rechtssystem habe einen bestimmten Geflüchteten vor Augen. Und dieser ist heterosexuell und cis-männlich, seine Identität entspricht also seinem Geschlecht. "LGBTI-Geflüchtete kommen in ein System, das nicht für sie gemacht wurde, und beantragen einen Schutz, der nicht für sie gedacht war", sagt Sußner. Denn die 1951 beschlossene Genfer Flüchtlingskonvention, heute noch das Herzstück des Asylrechts, wurde geschrieben, als Homosexualität in den meisten Staaten noch illegal war.

Einladung zur Reflexion

Sußner kennt das System nicht nur aus wissenschaftlicher Perspektive, sondern auch aus der Praxis. Nach dem Studium an der Uni Wien arbeitete sie in der Schubhaft und in einer Kanzlei mit dem Schwerpunkt Asyl- und Menschenrecht.

Die Probleme, die ihr dort auffielen – etwa Gewalt gegen LGBTI-Geflüchtete in den Schutz- und Aufnahmeeinrichtungen –, brachte sie in die Forschung mit: "Wir haben mittlerweile ein gutes System, das Geschlecht und Sexualität als Verfolgungsgründe festhält. Wir haben eine Aufnahmerichtlinie, die den Staat verpflichtet, vor geschlechtsspezifischer Gewalt zu schützen. Und trotzdem sprechen alle hier von einem Defizit." Vorstellungen eines heteronormativen Systems könne man nicht so leicht verschieben.

Sußner will aber dazu einladen, es zu reflektieren. Im konkreten Fall heißt das, im Ermittlungsverfahren nicht zu fragen: "Ist das eine schwule Person?", sondern: "Was ist die Geschlechternorm in dem Land, aus dem die Person geflohen ist?". Denn es gehe darum, herauszufinden, ob das Leben der Person dort als Übertritt der Norm wahrgenommen wird und was das für eine Konsequenz hätte.

Für ihre Arbeit, die gerade als Buch unter dem Titel "Flucht – Geschlecht – Sexualität" erschienen ist, erhielt Sußner im Jänner den Pride-Biz-Austria-Forschungspreis. Dieser wird für wissenschaftliche Leistungen zum Thema LGBTI vergeben. Sußner forscht mittlerweile an der Humboldt-Universität zu Berlin und will bald vom Asyl- ins Umweltrecht wechseln.

Beide Bereiche haben für sie die gleiche Anziehung: "Recht ist ein unglaublich ambivalenter Raum von Repression und Ermächtigung. Fragestellungen an dieser Schnittstelle finde ich faszinierend." (Katharina Kropshofer, 21.3.2021)