Wie das Mikrobiom unter der Erde funktioniert, ist zu einem großen Teil noch unerforscht – das soll sich ändern.
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Schon die Erwähnung von Mikroben, Bakterien und Viren lässt derzeit viele an Ansteckungsgefahr und den Griff zum Desinfektionsmittel denken. Ein ganz anderes Bild erzeugen die Kleinstlebewesen in den Köpfen internationaler Forschender. Ihnen gelten mikrobielle Gemeinschaften als mächtige Verbündete für die Umsetzung des Green Deals der Europäischen Union und das Erreichen der Ziele für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen.

Eine Schlüsselrolle spielen Mikrobiome. Wie diese auf dem Weg zu einer nachhaltigen Zukunft genutzt werden können, wissen Angela Sessitsch und Tanja Kostic. Sie forschen am Center for Health & Bioresources des Austrian Institute of Technology (AIT), um Licht ins mikroskopische Universum zu bringen.

Die Gemeinschaft aller Mikroorganismen eines bestimmten Habitats wird als Mikrobiom bezeichnet. Diese Zusammenschlüsse von Viren, Pilzen, Bakterien und Einzellern spielen eine essenzielle Rolle für unser Leben. Marine Mikrobiome erzeugen den Großteil des Sauerstoffs, den wir atmen.

Bodenmikrobiome fixieren Stickstoff und Methan, was Düngung ermöglicht und Treibhausgasemissionen vermeidet. Für die Bewältigung globaler Herausforderungen wie der Ernährung der wachsenden Weltbevölkerung bei gleichzeitigem Schutz von Böden, Klima und Biodiversität bergen Mikrobiome enormes Potenzial.

Mikroskopische Nützlinge

Schon heute lassen sich Mikroorganismen etwa für den Bodenschutz nutzen. Bodenmikrobiome können als Biodünger eingesetzt werden und damit die Stickstoffauswaschung reduzieren oder als Biokontrollprodukte Schädlinge bekämpfen. Das Weltwirtschaftsforum geht in seinem aktuellen Report davon aus, dass Mikrobiominnovationen die Primärproduktion von Lebensmitteln um 250 Millionen Tonnen steigern und gleichzeitig bis zu 30 Megatonnen klimaaktive Emissionen einsparen können.

Derzeit gibt es allerdings noch unzählige Fragezeichen im Feld der Mikrobiomforschung, wie Angela Sessitsch erklärt: "Wir wissen, welche Mikroorganismen es gibt, aber ihre Funktionen sind noch vielfach unerforscht." Im nächsten Schritt müsse außerdem eruiert werden, wie sich Mikroorganismen gegenseitig beeinflussen. Ein Mikroorganismus kann seine Funktion ändern, wenn ein zweiter Mikroorganismus hinzukommt. "Mit einem dritten im Bunde tut er vielleicht noch einmal etwas anderes", sagt die Forscherin.

Eine erhebliche Bremse der Forschung stellen derzeit fehlende Rahmenbedingungen für internationale Wissenschaftskooperationen dar. "Einerseits ist noch enorm viel zu erforschen, andererseits ist dabei vieles vielleicht redundant", sagt Sessitsch, die sich mit Kostic in einer kürzlich im Fachblatt "Nature Microbiology" erschienenen Studie für mehr globale Koordination ausspricht.

"Je mehr Daten verfügbar sind und umso mehr Wissen generiert wird, desto eher werden wir Böden mithilfe speziell abgestimmter Mikrobiome zielgerichteter nutzbar machen können", sind sie überzeugt. Dafür macht sich auch das von Sessitsch geleitete EU-Projekt "Microbiome Support" mit 29 internationalen Partnern stark.

Hilfe bei Dürre und Altlasten

Wie bei der personalisierten Medizin sollen die Spezifika jedes Untergrunds eruiert und auf dieser Basis maßgeschneiderte Anwendungen gefunden werden. Landwirtschaftliche Praktiken können so gestaltet werden, dass mikroskopische Helfer die natürlichen Ökosystemleistungen fördern.

Diese Prinzipien sind dann auch weltweit anwendbar – und können vor allem in Regionen, in denen Bauern auf kargem Boden stehen, nützlich sein. "Auf ausgehungerten Böden mit wenig Dünger können Mikroorganismen besonders große Effekte erzielen", sagt Sessitsch. Auch die UN-Welternährungsorganisation unterstreicht den Wert von Bodenmikrobiomen für die Lebensmittelproduktion und feilt an Strategien, um gewonnenes Wissen weiterzutragen.

Abseits der Landwirtschaft können Mikroorganismen die Bodenqualität auch durch den Abbau von Schadstoffen oder Altlasten fördern. Ein Faszinosum von Mikroorganismen ist ihre Fähigkeit, sämtliche organischen Verbindungen und selbst Mikroplastik abbauen zu können. Einige Umwelttechnikbüros kombinieren herkömmliche Methoden der Bodensanierung bereits mit biologischen Produkten, um belastete Böden zu reinigen.

Fragt sich nur, welchen Schaden die mikroskopischen Gemeinschaften im Untergrund bereits durch menschliche Aktivitäten genommen haben. Die Forschung geht davon aus, dass viele wertvolle Interaktionen und Mikroorganismen durch Umweltverschmutzung oder einseitige Maßnahmen abhandenkommen. "Wenn man dem Boden nur Unmengen an Stickstoff zuführt und auch Pflanzen unter optimalen Bedingungen züchtet, werden natürliche Symbiosen mit der Zeit verschwinden", mahnt Sessitsch.

Biodiversität im Kleinsten

Die Gefahr, dass Mikrobiominnovationen dazu verleiten, weiterhin umweltschädigendes Verhalten zu praktizieren und die Folgen mit biologischen Neuerungen ausbessern zu wollen, sieht sie nicht. Ziel der Forschungen sei es, Biodiversität zu schützen. "Wenn man an Biodiversität denkt, denkt man allgemein nicht an Mikroorganismen. Je kleiner Organismen sind, desto schwerwiegender sind aber oft ihre Auswirkungen", stellt sie mit Verweis auf Covid-19 fest.

Hat der Boden nur noch die Hälfte seiner Diversität, wird er weniger resilient sein und seine Funktionen nicht mehr wie gehabt ausfüllen können. Darüber hinaus hat auch der Einsatz von Mikroorganismen Grenzen, man könne sie zwar gezielt nutzen, sie seien aber kein Allheilmittel.

"Wir müssen davon wegkommen, den Boden zu nutzen, als wäre er eine nachwachsende Ressource, denn das ist er nicht", betont Sessitsch. Ist der Boden mit all seinen lebenden Bestandteilen einmal zerstört, ist er nicht mehr so schnell animierbar.

Deshalb müssen in puncto Biodiversität auch Mikroorganismen mitgedacht werden, da sie wesentlich für alle höheren Lebewesen sind. "Das sind keine entkoppelten Systeme, sie hängen alle miteinander zusammen", sagt sie. "Am Anfang stehen die kleinsten Organismen, und die müssen auch zum Schutz der größeren bewahrt werden." (Marlene Erhart, 20.3.2021)