Lückenschluss der Neuen Donaubrücke in Linz: Leicht überwindbare Barrieren sorgen auch für mehr Austausch der sozialen Kreise.

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Die Umgebungen, in denen wir leben, beeinflussen uns in vielerlei Hinsicht. Etliche Einflussfaktoren erscheinen uns logisch, aber nicht alle sind gleich stark oder konnten bisher wissenschaftlich nach gewiesen werden.

Eine kürzlich im Fachblatt "Nature Communications" veröffentlichte Forschungsarbeit trug zu den Auswirkungen geografischer Merkmale bei: Sie analysierte Städte, die durch größere physische Barrieren mehr oder weniger stark in kleinere Einheiten zerstückelt sind. Dies dürfte sich nämlich unter anderem auf die sozialen Netzwerke der Ortsansässigen auswirken.

Die beteiligten Wissenschafter untersuchten die rund 500 Wohnorte von insgesamt zwei Millionen Menschen in Ungarn. Zunächst wurde den Orten ein Wert dafür zugeschrieben, wie stark hier die Einkommen auseinandergehen, also wie stark die finanzielle Ungleichheit in der Bevölkerung ausgeprägt ist. Damit verglich das Team Daten aus einem virtuellen sozialen Netzwerk und stellte fest: Je ungleicher die Gesellschaft in einem Wohnort, desto fragmentierter und kleinteiliger sind auch die sozialen Kreise.

"Es ist wahrscheinlicher, dass ich mit Personen in Kontakt komme, die in meiner Nähe leben", sagt Johannes Wachs.
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Einmalige Gelegenheit

Die Social-Media-Plattform, auf deren Daten die Forscher zurückgreifen konnten, ist hierzulande eher unbekannt. Das International Who is Who (iWiW) war in Ungarn sehr beliebt, bevor es ab 2010 immer mehr durch Facebook abgelöst wurde. Bis zu 40 Prozent der Bevölkerung waren Teil des Netzwerks – eine umfangreiche Ressource für Forschende wie Johannes Wachs, der zusammen mit Gergő Tóth Erstautor des Papers ist.

"Gute Daten über soziale Netzwerke sind schwierig zu bekommen, das war für uns eine einmalige Gelegenheit", sagt Wachs. Er studierte zu Beginn der Studie an der Central European University und ist nun an der Wirtschaftsuniversität Wien und am Complexity Science Hub tätig – das unter anderem vom Klimaschutzministerium und von der Förderagentur FFG unterstützt wird. Weil sich das Forschungsteam lediglich für die gesamte Netzwerkstruktur einer Ortschaft interessierte und nicht für einzelne Personen, war die Analyse der anonymisierten Daten unproblematisch.

Im zweiten Schritt der Studie nahmen die Forscher physische Barrieren wie Flüsse, Bahndämme oder vielspurige Straßen innerhalb der Ortschaften unter die Lupe. Während sich einige Städte in Sachen Bevölkerungsdichte, -alter, Bildung und Arbeitslosenrate ähneln, unterscheiden sie sich in ihrem geografischen Aufbau. "Es ist wahrscheinlicher, dass ich mit Personen in Kontakt komme, die in meiner Nähe leben", sagt Wachs. "Wenn sie nur 500 Meter Luftlinie von mir entfernt wohnen, uns allerdings ein Fluss trennt und die nächste Brücke weit entfernt ist, dann fallen die Chancen, dass wir uns treffen."

Spielfeld zur Vernetzung

Die Ergebnisse zeigen: Wenn in einem Fall etwa Zugschienen quer durch eine Stadt verlaufen, in einem anderen Fall aber eher um eine Stadt herum, ist in der ersten Stadt das soziale Netzwerk im Durchschnitt stärker zerteilt als in der zweiten. Noch dazu wuchs die wirtschaftliche Ungleichheit innerhalb von fünf Jahren in jenen Orten stärker, die fragmentierter waren.

Natürlich darf man diese Ergebnisse nicht deterministisch betrachten, wie Wachs betont: "Wenn in einer Stadt Eisenbahnschienen durch den Stadtkern verlaufen, heißt das nicht, dass nach 30 Jahren die eine Seite reich sein wird und die andere arm." Sehr wohl gibt die Struktur einer Ortschaft dem lokalen sozialen Netzwerk ein Spielfeld, auf dem es sich entfalten kann.

Barrieren sorgen langfristig dafür, dass man sich bei der Kennzeichnung bestimmter Nachbarschaften an ihnen orientiert: "In einer Stadt mit wenigen klaren physischen Barrieren lassen sich Grenzen zwischen reichen und armen Gegenden nicht so leicht ziehen", sagt der Wissenschafter.

Es werde schwieriger für Menschen, anhand der Stadtgeografie in solchen Kategorien zu denken. Daher könne eine Stadt ohne die trennenden Elemente eine entsprechende Sortierung der Ortsansässigen mindern, so die Erklärung für den beobachteten Effekt.

Um möglichst keine unbeabsichtigten Fehlschlüsse zu ziehen, wurden im Zuge der Studie Städte ähnlicher Größe miteinander verglichen. Das Team schloss daher kleine Ortschaften von ihrer Analyse aus, ebenso wie die Hauptstadt Budapest, da sie fast zehnmal so groß ist wie die zweitgrößte Stadt der Stichprobe. Ähnlich wie Wien in Österreich stellt sie in vielerlei Hinsicht einen Sonderfall dar. Wachs ist jedoch der Ansicht, dass sich ein ähnlicher Effekt auch in Millionenstädten mit entsprechenden Daten nachweisen ließe.

Keine Gürtelsprengung

Was lässt sich aus diesen Ergebnissen ableiten? "Wir wollen mit dem Paper nicht sagen, dass in Wien der Gürtel gesprengt werden soll oder manche Städte radikal umgebaut gehören", sagt Wachs, der seit einem Jahr in Wien lebt. Man sollte aber allgemein in Bezug auf Barrieren attraktive Möglichkeiten bieten, diese zu überwinden, auch zu Fuß und mit dem Fahrrad. Das spielt gerade bei wachsenden Ortschaften eine wichtige Rolle.

Daneben gibt es freilich weitere Maßnahmen, um der Fragmentierung einer Ortsgemeinschaft entgegenzuwirken. In Wien zählt prinzipiell das Errichten und Verteilen von Gemeindebauten in wohlhabenderen Gegenden dazu. Eine gute Infrastruktur für öffentlichen Verkehr ist ebenfalls eine wichtige Komponente.

Ähnliche Ergebnisse zeigt die internationale Forschungsliteratur: Die Wirtschaftswissenschafterin Elizabeth Ananat von der Columbia University untersuchte in einer Arbeit, wie Eisenbahnschienen US-amerikanische Städte aufteilen. In auf diese Weise stärker fragmentierten Städten war auch die örtliche Trennung zwischen Weißen und Schwarzen extremer.

"Dieses Paper hat unsere Forschung beeinflusst", sagt Wachs, der selbst in den USA aufwuchs und die dort oft ausgeprägten Unterschiede zwischen Wohngegenden kennt. "Mit den Daten aus Ungarn haben wir zwar nicht die gleiche Frage untersucht, konnten aber einen Einfluss auf die räumliche Trennung sozialer Netze nachweisen." (Julia Sica, 22.3.2021)