Die regelmäßigen Blutproben, die etwa Diabetiker selbst abnehmen, könnten für die medizinische Forschung nützlich sein.

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Viele Menschen mit chronischen Erkrankungen beobachten täglich ihre Gesundheit. Sie messen Werte wie Blutdruck, Blutzucker und Puls und sammeln eine große Menge an Daten. Dieses Wissen und diese Daten können jedoch für klinische Studien nicht immer sinnvoll genützt werden. Dafür müssen die Patienten regelmäßig ins Krankenhaus kommen, wo die entsprechenden Tests durchgeführt und dokumentiert werden.

Für Menschen, die weiter entfernt vom nächsten Krankenhaus wohnen, für ältere, weniger mobile Menschen und Kinder ist das oft zu aufwendig, weshalb sie seltener an neuen Medikamentenstudien teilnehmen. Damit entgehen nicht nur den Patienten und Patientinnen neue Therapiemöglichkeiten, sondern auch der medizinischen Forschung wertvolle Erkenntnisse.

Sogenannte Remote Decentralised Clinical Trials, also dezentrale klinische Fernstudien, sollen es ermöglichen, von zu Hause aus an Studien teilzunehmen. Trials@Home ist ein europaweites Forschungsprojekt, das sich der Umsetzung solcher Fernstudien widmet. Unter der Koordination der Universität Utrecht und des französischen Pharmaunternehmens Sanofi werden verschiedene dafür nötige Aspekte untersucht. Für den dementsprechenden Einsatz digitaler Technologien ist die FH Joanneum in Graz gemeinsam mit dem Pharmakonzern Janssen zuständig.

Wearables und mobile Pfleger

Das Institut für eHealth, also Gesundheitsinformatik, sucht unter der Führung von Institutsleiter Robert Mischak nach geeigneten technologischen Mitteln, um die zu Hause gewonnenen Daten zu erfassen, zu übermitteln und einheitlich darzustellen. "Der Kern des ganzen Projekts ist eine Pilotstudie, in der ab nächstem Jahr die gefundenen Technologien ausprobiert werden sollen", sagt Mischak.

Das können Wearables sein, also tragbare Messgeräte für Puls oder Körpertemperatur, aber auch einfache Geräte für Blutproben, wie sie bereits zur Blutzuckermessung eingesetzt werden. Zusätzlich könnte mobiles Krankenpflegepersonal komplexere Messungen vor Ort durchführen.

Das Gesamtprojekt ist mit 40 Millionen Euro ausgestattet und läuft seit September 2019. "Am Ende der fünfjährigen Laufzeit sollte ein Modell stehen, wie dezentrale klinische Fernstudien durchgeführt werden können", erläutert Mischak das Ziel. Er geht davon aus, dass zumindest die ersten und letzten Untersuchungen weiterhin vor Ort in den Spitälern stattfinden müssen, aber schon eine teilweise Verlagerung zu den Teilnehmern nach Hause hätte eine Reihe von Vorteilen.

Besonders für Kinder gibt es einen großen Mangel an aussagekräftigen klinischen Studien. Sie könnten sich leichter für Studien gewinnen lassen, wenn sie ihren Gesundheitszustand in vertrauter Umgebung mit ihren Eltern dokumentieren können, anstatt über Wochen oder Monate regelmäßig für Termine ins Krankenhaus kommen zu müssen.

Weißkittelblutdruck

Ein weiterer Vorteil aus wissenschaftlicher Sicht sind genauere Messwerte. Es ist bekannt, dass Menschen im Krankenhausumfeld ihr Verhalten ändern und dadurch teilweise sogar Laborwerte unterschiedlich ausfallen. Der sogenannte Weißkittelblutdruck beschreibt das Phänomen, dass der Blutdruck in der Klinik oder Arztpraxis meist höher ist, als wenn er zu Hause gemessen wird.

Dezentrale Studien sparen zudem Ressourcen in den Krankenhäusern und können schneller und unkomplizierter durchgeführt werden. Das senkt nicht zuletzt die Gesamtkosten. Ein anderer Vorteil ist durch die Corona-Pandemie zutage getreten. Die Reisebeschränkungen und Hygienemaßnahmen erschwerten Kontrolltermine auch im Rahmen von Studien massiv. Ein dezentraler Ansatz wäre davon viel weniger betroffen.

Während die FH Joanneum also an den Technikfragen forscht, sollen alle Fragestellungen geklärt werden, die für zukünftige dezentrale klinische Fernstudien nötig sind. "Es geht bei dem Projekt nicht nur um die Technik, sondern auch um ethische, regulatorische und rechtliche Rahmenbedingungen und um die Einbindung von Stakeholdern in den verschiedenen Bereichen", erklärt Mischak die Aufgaben anderer Arbeitsgruppen. Diese kümmern sich unter anderem um die hohen Datenschutzanforderungen, die bei diesen sensiblen medizinischen Daten gefragt sind.

Die akademischen, pharmazeutischen und medizinischen Partner hinter Trials@Home könnten den Ablauf klinischer Studien so schon bald bedeutend verändern. Wenn also ein Diabetespatient in Zukunft laufen geht, dabei eine Pulsuhr trägt und danach seinen Blutzucker misst, könnte er nicht nur einen Beitrag zu seiner eigenen Gesundheit leisten. Er könnte auch wertvolle wissenschaftliche Erkenntnisse liefern. (Markus Plank, 24.3.2021)