Clemens Martin Auer musste Anfang der Woche das Feld räumen. Die Opposition sieht ihn als "Bauernopfer".

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Einen Tag nach dem Abgang von Impfkoordinator Clemens Martin Auer tun sich immer noch Widersprüche und Ungereimtheiten rund um den angeblich von ihm allein verursachten Schadensfall auf. Wie berichtet zog Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) zu Wochenbeginn seinen zuständigen Spitzenbeamten ab, weil dieser über einen Reservetopf der EU rund 100.000 zusätzliche Impfdosen gegen das Coronavirus von Biontech/Pfizer hätte abrufen können, davon aber nicht Gebrauch gemacht hat und ihm davon auch nichts erzählt habe. Seitdem fragt sich auf dem Wiener Parkett nicht nur die Opposition: Hätten sowohl Anschober als auch Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) nicht darüber Bescheid wissen müssen, dass es die Möglichkeit gäbe, über diesen EU-Topf an zusätzlichen Impfstoff zu kommen?

Doch Kurz zog es vergangene Woche vor, den "Basar" rund um nicht abgerufene Impfdosen in der EU anzuprangern, bei dem Mitgliedsstaaten wie Bulgarien oder Lettland schlecht aussteigen würden – was Brüssel wie andere Mitgliedsstaaten zurückwiesen. Davon unbeeindruckt, machte sich der Kanzler am Dienstag auch mit den Regierungschefs von Tschechien, Slowenien und Kroatien für mehr Verteilungsgerechtigkeit stark.

Arbeitsgruppe und Gespräche

Ein Blick in einen Ministerratsvortrag von Gesundheitsminister Anschober mit der Geschäftszahl 2021-0.032.559 45/16, der dem STANDARD vorliegt, zeigt jedenfalls auf, dass sich die Regierung schon am 19. Jänner mit der "Beschaffung zusätzlicher Covid-19-Impfstoffdosen" beschäftigt haben müsste. Das Papier beschäftigt sich in höchst umständlichem Beamtendeutsch mit Marktzulassungen diverser Hersteller, gesicherten Impfdosen und der Möglichkeit, zusätzliche Impfdosen abzurufen, wofür aber mehr Geld benötigt werde. Es schließt mit den Worten: "Nicht benötigte Impfstoffdosen dürfen generell auch weitergegeben werden, im Sinne von Spenden oder Weiterverkauf." Dazu beteilige "sich Österreich bereits an einer koordinierenden Arbeitsgruppe auf europäischer Ebene und ist bilateral auch bereits in Gesprächen".

Auf Anfrage, ob der EU-"Basar" der Regierung also nicht längst bekannt war, heißt es aus dem Kanzleramt: "Nachdem von der EU wesentlich mehr Impfstoff gekauft wurde, als für die Impfung der Bevölkerung notwendig ist, wurde vereinbart, dass überschüssige Impfdosen, wenn sie in Europa nicht mehr gebraucht werden, an andere Länder weiterverkauft oder gespendet werden können. Somit sollte sichergestellt werden, dass die überschüssigen Impfdosen nicht in Europa weggeworfen werden müssen."

Hickhack wegen Kostendeckels

Für die SPÖ ist und bleibt der ÖVP-nahe Spitzenbeamte Auer hingegen "ein Bauernopfer". Deren Vizeklubchef Jörg Leichtfried verweist auf weitere Ministerratsprotokolle, die die Verantwortung für das miserable Impfmanagement von Kurz und Anschober, aber auch von Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP) belegen sollen. So habe die Kanzlerpartei im Vorjahr eine Kostenobergrenze für die Impfstoffbeschaffungen normiert, an die die Beamten gebunden gewesen wären. Dazu zitierte Leichtfried aus einem Ministerratsvortrag vom 29. Juli, wonach im Zuge der Impfungen von einem "Gesamtkostenrahmen von bis zu 200 Millionen Euro" ausgegangen wurde.

Ein Lockdown-Tag kostet mehr

Auch Neos-Gesundheitssprecher Gerald Loacker ist von dieser Deckelung ausgegangen. Schließlich habe sich Anschober stets darauf bezogen. Wenngleich sie nicht klug sei, denn jeder Tag Lockdown koste mehr als die genannten 200 Millionen Euro, so Loacker.

Den Vorwurf, Österreich sei bei der Beschaffung des Impfstoffs zu sparsam gewesen, will Finanzminister Blümel nicht auf sich sitzen lassen. "Immer" sei "klar" gewesen, dass es bei Bedarf mehr Geld für den Kauf von Impfstoff geben werde. Hier zu sparen wäre "absurd", wo man doch jetzt in der Krise ständig sehr viel Geld ausgebe. Blümel bestätigte aber den Ministerratsvortrag mit der Nennung von 200 Millionen Euro für die Impfstoffbeschaffung – doch das seien Schätzungen gewesen. Eine Budgetobergrenze gebe es nicht, versicherte der Finanzminister.

Risikoabschwächung

Anschober bezog sich am Dienstag jedoch erneut auf den Deckel von 200 Millionen Euro. Auf Basis dieser Summe habe man im Sommer 2020 das Impfdosen-Portfolio erstellt. Zu diesem Zeitpunkt habe man noch nicht wissen können, wie es um die Wirksamkeit und die Lieferzuverlässigkeit der einzelnen Anbieter stehen würde. Daher habe man zur Risikoabschwächung auf mehrere Pferde gesetzt.

Bekannt waren da bereits die Preise der Hersteller. Während Astra Zeneca um 1,78 Euro pro Stück zu haben ist, muss man für eine Dosis von Biontech/Pfizer zwölf Euro auf den Tisch legen. (Nina Weißensteiner, Rosa Winkler-Hermaden, 16.3.2021)