Es hämmert und surrt leise, wenn der runde Aufsatz wie ein geöffneter Mund die Haut berührt, als würde er lutschen und saugen. Das Gerät aus weißem Silikon erinnert an ein Stirnthermometer. Es löst Druckwellen aus, die mit Vibrationen kontaktlos die Klitoris stimulieren – und jede Frau zum Orgasmus bringen sollen. Ingrid Mack hält den Auflegevibrator wie ein Küken in der flachen Hand. "Der Womanizer ist mit nichts zu vergleichen", sagt sie.

Mack ist die Inhaberin von Liebenswert, einem Erotikladen für Frauen in einer Seitengasse der Mariahilfer Straße in Wien. Seit 27 Jahren ist sie im Geschäft, hat 1994 mit Condomi das erste Kondomfachgeschäft in Österreich eröffnet. Das ist jetzt als Condomi-Museum ins Untergeschoß des Liebenswert integriert, zu sehen gibt es auch Vibratoren aus dem 19. Jahrhundert.

Ingrid Mack gehört das Liebenswert, ein Erotikhandel für Frauen in Wien. Sie ist seit 27 Jahren im Geschäft.
Matthias Cremer

Während die Mittfünfzigerin den Womanizer an ihrer Handfläche vorführt, schiebt sie ihre Lesebrille auf die Nase. Der Womanizer ist seit 2014 am Markt und der Bestseller in ihrem Laden, wo unzählige Vibratoren und Dildos in Pink, Violett oder Hellblau in den Regalen zwischen Kitzelfedern und Yoni-Eiern stehen. Zuerst wollte die gelernte Sexualpädagogin den Vibrator nicht ins Sortiment nehmen, aus Angst, das Spielzeug konditioniere den Höhepunkt. Gleichzeitig hilft er Frauen, überhaupt einen zu spüren. Das überzeugte sie letztlich – und ihrem Umsatz schadet es wohl auch nicht.

Ferngesteuerte Paartoys

Seit der Pandemie werden mehr Sextoys gekauft. Die Onlinehändler Orion, Eis.de oder Amorelie verzeichneten während der ersten beiden Lockdowns mehr Bestellungen als je zuvor. Zwischenzeitig war etwa das neckische Krankenschwesternoutfit ausverkauft, besonders gefragt sind Druckwellenvibratoren oder Paartoys, die per App ferngesteuert werden und damit den Orgasmus über Ländergrenzen hinweg versprechen. Letzteres führt man bei Amorelie auf die pandemiebedingten Reisebeschränkungen und Fernbeziehungen zurück. Orion ortet im Kaufverhalten einen "Lipstick-Effekt": In Krisenzeiten würden eher kleine Luxusgüter wie Sextoys oder Dessous gekauft statt große Investitionen getätigt.

Die steigenden Verkaufszahlen lassen nur Vermutungen über das Liebesleben in der Pandemie zu. Die Händler nennen keine absoluten Zahlen – wie viel öfter ein Produkt verkauft wurde, bleibt offen. Wollen die Käufer mit dem Partner in der Stay-at-Home-Fadesse verstärkt Neues ausprobieren? Oder sind sie einsamer und suchen so die Befriedigung? Vor allem aber: Warum gibt es nach wie vor Leute, die in Offline-Erotikshops gehen, statt die Toys anonym online zu ordern?

"Die Kundinnen kommen wegen der Beratung", sagt Mack. 70 Prozent seien Frauen, der Rest Pärchen oder Männer. Die meisten suchen Vibratoren, Gleitgel oder Kondome, im Schnitt geben sie zwischen 50 bis 100 Euro aus. Auch Ratgeber oder erotische Romane sind beliebt. Mack bleibt an einem Tisch stehen und zieht einen Penisring über zwei Finger. Sie lädt ein, die Vibration zu spüren. Im Liebenswert soll man alles anfassen, ohne das Gefühl zu haben, beobachtet zu werden. "Man muss ein Massageöl riechen, spüren, ob das Gleitgel zu klebrig ist, der Vibrator passt."

Vibratoren in allen Farben, Größen, Funktionen und Preisklassen. Im Liebenswert soll man alles anfassen dürfen, ohne dabei das Gefühl zu haben, beobachtet zu werden.
Matthias Cremer

Ihre Mitarbeiterin Karina reicht einer Kundin eine Packung Kondome: "Die sind irre arg, da muss er brav gewesen sein." Die Stammkundin lacht. Sie ist hier, weil die Kondome ausgegangen sind – mehr Sex habe sie seit der Pandemie aber nicht. Im Liebenswert gäbe es mehr Auswahl als in der Drogerie. "Ich schätze die Beratung und dass es keinen Rotlicht-Touch hat." Letzteres ist Mack wichtig: "Ich bin kein Nullachtfünfzehn-Sexshop – ich werde grantig, wenn das jemand sagt."

Beratung und Auswahl

600 Meter entfernt auf der Mariahilfer Straße im Erotikhandel S-World: Eingetaucht in gedämpftes, violettes Licht gibt es im Obergeschoß Dildos in Regenbogenfarben, "Delay Sprays" und Masturbatoren für Männer, Analspielzeug und Dessous. Im Untergeschoß sitzt Eigentümer Taisir Takieddine an seinem Schreibtisch und beobachtet die Überwachungskameras. "Die Beratung und Auswahl machen uns seit mehr als zwanzig Jahren aus", sagt er. 50.000 Artikel habe er im Sortiment. Gerade bei qualitativer Ware, etwa im Fetischbereich, wollen Kunden Beratung. "Wenn ich mir eine Gerte kaufe oder eine Bullenpeitsche, soll die nicht beim ersten Schlag kaputtgehen oder aus Plastik sein." Im Untergeschoß kauften mehr Männer und queere Menschen ein, im Obergeschoß 60 Prozent Pärchen, 30 Prozent Frauen, der Rest Männer.

Anders als im Liebenswert gibt es in der S-World kein Museum, sondern ein Erotikkino, wo man sich Pornos ansehen kann. "Wir kaufen monatlich neue Filme für die Kabinen", sagt Takieddine. Deshalb gäbe es hier – trotz des Booms der Online-Pornografie – nach wie vor etliche DVDs. Gekauft würden sie selten.

Ein queeres Pärchen unterhält sich über Lederhalsbänder, ein Mann lässt sich die Unterschiede zweier Analtoys erklären. Nachdem er bezahlt hat, steckt er das schwarze Sackerl ohne Logo in eine Einkaufstüte mit Brettspielen. Er sei erst fünfmal in einem Sexshop gewesen und bestelle kaum online, erzählt er. Diesmal kauft er hier ein, weil er mit seiner Freundin Neues ausprobieren will.

Mehr ausprobieren im Bett

Verkäuferin Kristina im roten Pulli mit S-World-Logo glaubt, dass die Kunden seit der Pandemie neugieriger geworden sind: "Pärchen, aber auch Singles probieren neue Produkte aus." Vor allem Spielzeug für Masturbation und Analsex seien gefragt sowie Kondom- und Gleitgelgroßpackungen oder Fesselsets. Ein gesteigertes Sexualverhalten nimmt Liebenswert-Besitzerin Mack aber nicht wahr: "Sexualität entsteht im Kopf – den haben jetzt nicht alle frei." Dennoch hätten die Menschen erkannt, dass Sex wichtig für die Psyche sei, auch in schwierigen Zeiten.

Das legt auch eine im Februar veröffentlichte Studie der Sexualpädagogin Barbara Rothmüller von der Sigmund-Freud-Uni nahe. Die 1450 Befragten hatten im zweiten Lockdown ein gesteigertes Bedürfnis nach körperlicher Nähe. Knapp die Hälfte gab an, ein gleich intensives sexuelles Begehren zu haben wie im Sommer. Bei fast einem Drittel hat sich die Lust auf Partnersex aber verringert und bei 17 Prozent gestiegen. Ebenso probierten immerhin 16 Prozent der Befragten eine neue sexuelle Stellung aus, 14 Prozent anale Stimulation. Laut einer US-Umfrage unter 2000 Singles nimmt der Solo-Sex in der Pandemie zu: Fast die Hälfte befriedigt sich häufiger, ein Drittel mehrmals täglich – auch mit Sexspielzeug.

Vibratoren für jeden Haushalt

Dennoch schlägt sich die Pandemie in den Verkäufen der beiden Wiener Erotikhändler mehr in Tief- als in Höhepunkten nieder. Umsatzeinbrüche, Kurzarbeit und verzögerte staatliche Hilfen bereiteten Mack Sorgen. Während nach dem ersten Lockdown gekauft wurde, "als gäbe es kein Morgen", laufe das Geschäft seit Februar nur langsam an. Online habe der Verkauf aber zugenommen, auch die Beratung per Mail. Takieddine berichtet Ähnliches: Im stationären Handel sei der Umsatz um fast 50 Prozent eingebrochen, kurz gab es Lieferengpässe, Weihnachten und Valentinstag seien aber "ein Traum" gewesen. Obwohl pandemiebedingt um 15 Prozent mehr im Onlineshop gekauft wurde, rentiere er sich nicht. Die Kunden bevorzugten den Kauf im Laden.

Vor allem, weil sich die Shops aus der Schmuddelecke entfernt haben. "Es soll sich wie im Wohnzimmer anfühlen", sagt Mack, während Serge Gainsbourg und Jane Birkin Je t’aime ... moi non plus aus den Boxen hauchen und ihre Hündin Nova auf dem Perserteppich liegt. Auch ihre selbst-gestickten Sprüche in Bilderrahmen tragen zur Atmosphäre bei. "Wer ficken will muss freundlich sein!" steht an der Kassa. Die Stickereien passen zum Logo von Macks Geschäfts: Drei Stickerinnen. Früher hätten sich Frauen beim Sticken über Intimes ausgetauscht.

Letztlich werden die Toys aber außerhalb dieses Wohnzimmers benutzt. Und so, wie man verschiedene Kochlöffel im Haushalt habe, brauche man auch verschiedenes Sexspielzeug. Geht es nach Mack, sollte eines davon ein Druckwellenvibrator wie der Womanizer sein. (Selina Thaler, 17.3.2021)