So in etwa stellen sich Harold White und seine Kollegen vom Advanced Propulsion Physics Laboratory ein futuristisches Raumschiff mit Warp-Antrieb vor.
Illustr.: Nasa/H. White, M. Rademake

Unter die Faszination beim Blick in den nächtlichen Sternenhimmel mischt sich nicht selten eine gute Portion Wehmut: Praktisch alles dort draußen jenseits der Planeten wird der Menschheit sehr wahrscheinlich unerreichbar bleiben, zumindest für die nächsten paar Jahrhunderte. Die Idee ist zwar verlockend, durch irgend ein noch unbekanntes Schlupfloch die Beschränkungen der Speziellen Relativitätstheorie hinter sich zu lassen. Bisher scheint ein Reisetempo jenseits der Lichtgeschwindigkeit jedoch ausschließlich theoretisch und unter sehr bizarren physikalischen Bedingungen möglich.

Mit Alcubierre zu den Sternen

Dazu zählt etwa der berühmte Warp-Antrieb, auf den sich unter anderem auch das Raumschiff Enterprise aus dem Star-Trek-Universum verlässt. Auf dem Papier könnte ein solcher Antrieb tatsächlich funktionieren, schrieb 1994 der mexikanische Physiker Miguel Alcubierre. Seine theoretische Lösung für die Fortbewegung mit Überlichtgeschwindigkeit widerspricht zumindest nicht der Allgemeinen und Speziellen Relativitätstheorie. Das auch als Alcubierre-Antrieb bekannte Gedankenexperiment basiert auf einer lokalen Verformung der Raumzeit, gleichsam einer Welle, auf der ein hypothetisches Raumschiff sogar das Zehnfache der Lichtgeschwindigkeit erreichen könnte.

Das Prinzip dahinter geht von dem Umstand aus, dass sich zwar keine Materie mit Lichtgeschwindigkeit oder darüber hinaus bewegen kann, Veränderungen der Raumzeit aber von dieser ehernen Regel ausgenommen sind – das ergibt sich aus Einsteins Feldgleichungen in der Allgemeinen Relativitätstheorie. Ein hypothetisches Raumschiff bräuchte also eine Apparatur an Bord, die die Distanz zum nächsten Stern verkürzt, in dem es die Raumzeit in Flugrichtung staucht und dahinter wieder ausdehnt. Der Alcubierre-Antrieb verschiebt gleichsam die Raumzeit um das Raumschiff herum, sodass es scheint, als würde es schneller am Zielstern ankommen als das Licht in der unveränderten Raumzeit.

Die zweidimensionale Visualisierung der Funktionsweise eines Alcubierre-Triebwerks zeigt die einander gegenüber liegenden Regionen expandierender und kontrahierender Raumzeit.
Illustr.: AllenMcC.

Teilchenphysikalisches Abrakadabra

Dem Bau eines tatsächlichen Warp-Antriebs stehen freilich ein paar Hürden im Weg, allen voran die Tatsache, dass Alcubierres Gleichungen mit Materie und Zuständen operieren, die es so nur in der Theorie gibt. Der vorgeschlagene Mechanismus impliziert etwa eine negative Energiedichte, was wiederum exotische Materie mit negativer Masse oder die Manipulation von Dunkler Energie erfordert. Der Warp-Antrieb klingt also zunächst noch weitgehend nach teilchenphysikalischem Abrakadabra, ohne eine baldige Chance auf Realisierung. Das hält theoretische Physiker und Raumfahrtbehörden wie die Nasa allerdings nicht davon ab, sich mit diesen Ideen auseinanderzusetzen.

Es geht auch ohne exotische Materie

Möglicherweise hat nun ein Forscher von der Universität Göttingen einen mathematischen Ausweg aus der Sackgasse mit den exotischen negativen Massen gefunden: Der Physiker Erik Lentz entwarf ausschließlich auf Basis herkömmlicher Energie eine neue Klasse von hyperschnellen "Solitonen", eine Art stabile Wellen im Raum, die theoretisch Reisen mit beliebiger Geschwindigkeit ermöglichen sollen.

Lentz fielen bei der Analyse bisheriger Arbeiten zum Alcubierre-Antrieb einige Lücken im Theoriengebäude auf, darunter auch bisher nicht näher untersuchte Konfigurationen der Raum-Zeit-Krümmung, die in den genannten "Solitonen" organisiert sind. Ein Soliton – also sehr vereinfacht ausgedrückt, eine "Warpblase" – ist eine kompakte Welle, die ihre Form beibehält und mit konstanter Geschwindigkeit den Raum verkürzt bzw. dehnt. Entgegen bisheriger Berechnungen sei es aber sehr wohl möglich die Raum-Zeit-Geometrien auf eine Weise zu erzeugen, die auch mit konventionellen Energiequellen funktioniert.

Das Zwillingsparadoxon umgehen

Genügend herkömmliche Energie vorausgesetzt, ließen sich die Solitonen demnach so konfigurieren, dass sie eine Region mit minimalen Gezeitenkräften enthalten, so dass der Zeitablauf innerhalb des Solitons dem außerhalb entspricht: eine ideale Umgebung für ein Raumschiff. Das bedeutet, dass es nicht zu den Komplikationen des so genannten "Zwillingsparadoxons" kommen würde, bei dem ein Zwilling, der nahe der Lichtgeschwindigkeit reist, viel langsamer altern würde als der andere Zwilling, der auf der Erde geblieben ist: Tatsächlich würden beide Zwillinge nach den neuen Gleichungen gleich alt sein, wenn sie wieder vereint sind.

Video: Wie ein Warp-Antrieb funktionieren könnte.
Joe Scott

Für Lentz habe sich die Idee von Reisen mit Überlichtgeschwindigkeit mit seinen mathematischen Lösungen einen Schritt auf die herkömmliche Grundlagenphysik zubewegt – und sie sei damit auch näher an einer potenziellen Realisierung. "Dies ist das erste Beispiel für hyperschnelle Solitonen aus bekannten und vertrauten Quellen. Dies könnte die Diskussion über überlichtschnelle Mechanismen, die in der konventionellen Physik verwurzelt sind, wieder eröffnen", schreibt Lentz im Fachjournal "Classical and Quantum Gravity".

Hunderte Jupitermassen Treibstoff

Bevor man sich aber den ersten Warp-Antrieb-Experimenten zuwenden kann, muss noch die nächste große Hürde aus dem Weg geräumt werden: Auch wenn die Technik mit herkömmlicher Energie funktionieren sollte – die benötigte Menge wäre immer noch buchstäblich astronomisch groß: "Die Energie, die für diesen Antrieb bei Lichtgeschwindigkeit für ein Raumschiff mit einem Radius von 100 Metern notwendig ist, liegt in der Größenordnung des Hundertfachen der Masse des Planeten Jupiter", sagt Lentz. "Die Energieeinsparung müsste also drastisch sein, im Bereich von etwa 30 Größenordnungen, um in die Reichweite moderner Kernspaltungsreaktoren zu kommen." (tberg, red, 19.3.2021)