Renata (Aušrinė Stundytė) sieht ihren feurigen Engel.

Bernd Uhlig

Seregi Prokofjews Oper Der feurige Engel ist die Schilderung einer rätselhaften Vision. Sie kann als Halluzination verstanden werden; für Renata allerdings, die Hauptfigur, ist die Angelegenheit klar. Was ihr widerfuhr, war real. Sie unterhielt eine innige Beziehung zum feurigen Engel Madiel, entwickelte zu ihm gar weit über Sympathie hinausragende Gefühle.

Zwecks körperlicher Vereinigung habe sich der Engel, so Renatas Schilderung, in den Grafen Heinrich verwandelt. Das Glück endete jedoch, als er sich aus der Zweisamkeit schlich. Seitdem ist Renata auf der Suche nach ihrem Grafenengel. Ihr aktueller Reisegefährte ist in der Oper ein gewisser Ruprecht.

Rätselhafter Magie

Im Theater an der Wien hat das symbolpralle Werk (1953 uraufgeführt, nach Prokofjews Tod) allerdings mit dem 16. Jahrhundert, mit Mystik und rätselhafter Magie nichts zu tun. Die Wirtin (Natascha Petrinsky), in deren Herberge Ruprecht seine Erschöpfung kuriert, ist eine strenge Ärztin, die ihm eine Spritze verpasst.

Und hebt sich das Zimmer, in dem Ruprecht liegt, wird der Blick frei auf einen gefängnisartigen Raum, in dem Renata aufgeregt vor sich hinbrabbelt. Jene Männer, die um sie herum seltsame Rituale absolvieren, lassen keinen Zweifel: Die Inszenierung von Andrea Breth führt in eine sehr geschlossene Anstalt der verletzten Seelen.

Kindliche Geborgenheit

Und verletzt ist auch das Innenleben der ruhelosen Renata: Es krümmt sich die Patientin, von Ängsten gegrillt, am Boden. Zwangsgedanken sucht sie sich mit Fäusten aus dem Kopf zu hämmern. Schutz bietet notdürftig nur ein Teddy, an dem sich Renata festkrallt wie an einem Stück verlorener kindlicher Geborgenheit. Von der Umgebung ist keine Hilfe zu erwarten: Zwischen Leichenhalle (Bühne: Martin Zehetgruber) und Schädelvermessung wirkt Gruppentherapie in diesem Psychenkerker nur noch wie ein leeres Ritual, wie eine Pause zwischen den sadistischen Anwandlungen der Ärzteschaft.

Extreme Emotionen

Breth macht keine halben Sachen; die Atmosphäre bleibt von quälender Aussichtslosigkeit, sie lässt nie nach. Durch emotionale Exzesse der Anstaltsinsassen wird sie zwischendurch eher noch verstärkt, auch Renatas "Gefährte" Ruprecht torkelt von Zärtlichkeit Richtung Gewalt. Solch szenisch monochromer Zugang, der auf jegliche historische Behübschung verzichtet, legitimiert sich hier durch eine minutiöse Ausgestaltung der Figuren. Bei Breth geben die Insassen gnadenlos präzis die Folgen von Traumatisierung preis.

Das seltsame Paar Renata und Ruprecht vollführt einen fulminanten Pas de deux zwischen Annäherung, Konflikt und Entfremdung: Bis zur Selbstentäußerung geht Aušrinė Stundytė in ihrer Darstellung einer wohl einst misshandelten Frau. Nach ihrer Elektra bei den Salzburger Festspielen war nichts anderes zu erwarten: Auch vokal wird die dramatische Dimension dieser Figur offengelegt, ohne ins Grobe abzugleiten. Intensiv porträtiert Bo Skovhus Ruprecht als Zerrissenen, der zwischen Wut und Resignation keinen Frieden findet.

Kollektive Wucht

Das intensivste Bild am Ende: Wo Prokofjev Kloster meint, entsteht bei Breth eine Art Pyramide aus Metallbetten, auf der die Wucht seelischer Versehrtheit in einem kollektiven Crescendo explodiert. Die Damen des Schönbergchors werden so entfesselte Zeuginnen eines letzten Übergriffs gegen Renata. Der Täter, der Inquisitor (Alexey Tikhomirov), ist hier jedoch ein Zigarre rauchender Schreibtischtyp.

Dirigent Constantin Trinks und das ORF-RSO-Wien bringen diese schillernde, vielschichtige Partitur ausgewogen zur Geltung. Die bohrende Rhythmik, die (von den Stimmen quasi ans Orchester delegierte) poetische Melodik oder die dissonanten Tumulte boten starke Farbkontraste. Selbige waren ja auch in den Figuren als emotionales Wechselbad angelegt.

(Ljubisa Tosic,17.3.2021)