Mama und Papa waren ernsthaft besorgt. Wo treibt sich der Bua neuerdings herum? Wofür gibt er sein Taschengeld aus? Markus Stix erinnert sich noch gut daran, dass seine Eltern das neue Hobby ihres Sohnes eher skeptisch sahen: Flippern.

"Ich hab’s am Anfang verheimlicht", gibt der aktuell beste Spieler Österreichs zu. "Auch weil die Automaten damals meist in irgendwelchen verrauchten Beisln, Wirtshäusern und sogenannten Spielhöllen herumstanden." Als Teenager war Stix hineinkippt in die Welt der rollenden Kugeln, der bunten Lichter, des "Ping!, Boing!, Buzz!, Tilt!", wie Roger C. Sharpe es einst in der "New York Times" beschrieb.

"Flippern ist für mich mehr als ein Spiel. Es ist eine Sportart." Österreichs Top-Flipperspieler Markus Stix
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In jene Comic-Fantasiewelt des Flipperautomaten, der diese "mit seinen blinkenden Lichtern, Summern und Glocken durch das Loslassen eines Kolbens zum Leben erweckt". Eine auf die Spielfläche geschleuderte Stahlkugel bahne sich ihren Weg durch ein Labyrinth aus Bumpern und automatischen Kickern, schrieb Sharpe 1975. "Der Spieler versucht mit manuell gesteuerten Flippern, den Weg der Kugel so zu verändern, dass sie in eines der Löcher mit hoher Punktzahl fällt, anstatt in die punktelose Leere am unteren Ende des Automaten." Einige seien von den Maschinen geradezu besessen, stellte Sharpe fest.

Verlieren, um zu gewinnen

Markus Stix war zwar nicht besessen, aber doch schwer fasziniert. Er ist es bis heute. Er habe schnell bemerkt, dass er talentiert sei, erzählt der Grazer. Und spätestens als er sein Taschengeld damit aufbesserte, indem er gewonnene Freispiele "weiterverkaufte", seien auch die Eltern beruhigt gewesen, schildert er verschmitzt am Telefon.

An seinem ersten größeren Wettbewerb nahm er mit 17 Jahren teil. Aber nicht um zu gewinnen. "Der Hauptpreis war eine Reise nach Las Vegas", erzählt er. "Was sollte ich als 17-Jähriger ins Las Vegas?" Nein, er wollte unbedingt Zweiter werden.

Österreichische Besonderheit

Denn der zweite Preis war ein Flipperautomat, der "Terminator 2". Also verlor er, um zu gewinnen. Kein Wunder, dass der Terminator 2 nach wie vor sein Lieblingsgerät ist, eines von sieben, die er sein Eigen nennt.

Bunte Comic-Welt: "Avengers"-Flipper von Stern Pinball.
Foto: Stern Pinball

Heute, gut dreißig Jahre und etliche gewonnene Turniere später, ist der 45-Jährige Vertriebsleiter einer IT-Abteilung. Die Nummer eins unter Österreichs Flipperspielern und die Nummer 30 der offiziellen Weltrangliste. Ja, die gibt es. Sie umfasst weltweit 26.000 Spieler. Flippern sei mehr als ein Spiel, betont Stix: "Es ist eine Sportart."

Jenna Muer kann dem nur zustimmen. Sie ist Obfrau der Union Flippersportverein Austria: "Wir sind offiziell als Sportverein anerkannt", sagt sie stolz. "Das ist weltweit einzigartig." Als solcher habe man sich zum Ziel gesetzt, das Flippern wieder öffentlich populär zu machen. So wie es schon einmal war.

Geschicklichkeitsspiel

Die Geschichte des "Geschicklichkeitsspiels ohne Gewinnmöglichkeit" startete in den USA in den 1930ern und in Europa in den 1940ern. 1947 bekam der Automat die typischen Flipperfinger dazu.

Der Volkskundler Bernd Jürgen Warneken resümierte dazu 1974: Der elektrische Flipperautomat entstamme "einem Zentrum des Industriekapitalismus und des proletarischen wie lumpenproletarischen Elends" –dem Chicago der 1930er-Jahre.

Markus Stix in seinem Element
JDL PINBALL

Bemerkenswert ist seine Interpretation, dass man Flippern mit "Spielen und Masturbieren" gleichsetzen könne. Immerhin sei es ein "Spiel der Fingerfertigkeit", wo man "quasi durch ‚Straffen‘ des Flippers eine Kugel hochjagt". Freud lässt schön grüßen.

Die soziokulturelle Bedeutung des Themas beschäftigt auch noch aktuell die Wissenschaft. So sagt Dennis Göttel 2018 gegenüber der "Rheinischen Post": Der Flipper sei eine Art Kompensationsgerät zur monotonen Arbeit am Fließband gewesen, ein Instrument zum Aggressionsabbau und eine Brücke zum Maschinenzeitalter. Göttel, Juniorprofessor für die Geschichte und Geschichtsschreibung der technischen Bildmedien an der Uni Köln, hat sich dem Flipper als Forschungsobjekt verschrieben.

Er hält fest, dass die Geräuschkulisse des Automaten der "Sound des Spätkapitalismus" sei. Schließlich lasse sich der Flipper nur durch einen Münzeinwurf zum Leben erwecken. Zu gewinnen gebe es allerdings nichts. "Außer Zeit", sagt Göttel, "und zwar kurioserweise, während man sie verliert."

Der Automat "Led Zeppelin" ist der Band gewidmet.
Foto: Stern Pinball

Der ultimative Beweis

Bis Ende der 1960er-Jahre waren die Flipperautomaten Teil der Jugendkultur, Symbole für Coolness, Männlichkeit, Rebellion. Und als solche so manchem Moralisten auch suspekt: In mehreren US-Städten waren die Automaten jahrzehntelang verboten. Begründung: Sie verführten Kinder dazu, ihr Jausengeld zu verspielen.

Man sah dunkle Mächte am Werk. 1942 ließ New Yorks Bürgermeister gar tausende Geräte beschlagnahmen, medienwirksam zerstören und dann im Meer versenken. Der Flipperautomat verschwand aus der Öffentlichkeit. Spielen konnte man nur mehr privat oder in verruchten Lokalitäten, etwa Sexshops. In einem solchen ging auch der eingangs erwähnte Roger C. Sharpe seinem klandestinen Hobby nach.

Fanboy Jack Black mit Rauschebart führt in diesem Video durch die Pinball Hall of Fame in Las Vegas.
Jablinski Games

Zur Legende machte ihn der 2. April 1976, als er das Spiel seines Lebens absolvierte – vor Gericht. Sharpe tat dies auf Bitte der New Yorker Automatenbetreiber. Diesen waren seine positiven Artikel zum Thema aufgefallen.

Er sollte nun beweisen, dass es sich beim Flippern keinesfalls um ein Glücksspiel handle, sondern dass man mit Geschicklichkeit den Ausgang der Partie mitbestimmen konnte. Mit den Fingern an den Drückern sagte er die Bewegung des stählernen Balls voraus ... Am 1. August 1976 wurde das Spiel in New York wieder erlaubt, später auch in Chicago und in anderen Städten.

Religiöse Züge

Zu dieser Zeit wurde der Flipper bereits nostalgisch verklärt. Etwa im Film "Tommy" von 1975. Er basiert auf der Rockoper der Band The Who, die dem Automaten ein Denkmal setzt. Darin spielt sich ein taubstummer Bursch zum Champion hoch. Am Ende muss er es mit dem amtierenden Meister, gespielt von Elton John, aufnehmen. Beide werden im Film kultisch verehrt, Flippern trägt fast religiöse Züge. Filmemacher von François Truffaut über Max Ophüls bis Otto Preminger haben den Flipper in ihren Werken eingebaut.

Hier kann man den legendären Flipperautomat "The Addams Family" ausführlich kennenlernen.
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Die Hersteller erdachten immer ausgeklügeltere Designs und Layouts. Ein Highlight war der Flipper "The Addams Family", der spielerisch Elemente des gleichnamigen Films über eine recht kuriose (Monster-)Familie aufgreift. Bis heute ist er mit über 20.000 verkauften Einheiten der erfolgreichste Flipperautomat der Geschichte. Er kam 1992 auf den Markt, zwei Jahre nachdem Nintendo den Gameboy präsentiert hatte.

Noch heute werden er und sein Schöpfer Pat Lawlor verehrt. Markus Stix meint, ihm sei damals buchstäblich "das Ladl runtergefallen", als er das Gerät das erste Mal gesehen habe. So außergewöhnlich war das Spielerlebnis. Es folgten immer speziellere Geräte. So speziell, dass viele Durchschnittsspieler bereits überfordert waren.

Auch Antiheld "Deadpool" lässt die Kugel rollen.
Foto: Stern Pinball

Der Höhenflug des Flippers ging langsam in einen Sinkflug über. Arcade-Videospiele trugen dazu bei, Spielkonsolen und die omnipräsenten Gaming-Apps auf dem Smartphone. Man hatte die "Pinball-Machine" bereits weitgehend abgeschrieben.

Wiedergeburt im Mutterland

Doch dann geschah etwas Erstaunliches: Flippern erlebte ein Comeback. Sowohl Jenna Muer als auch Markus Stix beobachteten, dass in den letzten Jahren immer mehr Menschen zu Vereinsveranstaltungen kamen, sich austauschten und stundenlang spielten. Zumindest war es vor Corona so. Ein Trend, der aus dem Mutterland des Flippers nach Europa schwappte.

Stix führt das auf eine "digitale Überreizung" zurück, aus der die Leute flüchten wollten. Flippern sei eben eine "physische Geschichte", der Automat eröffne einen "realen Raum" unter seiner Glasplatte. Ein weiterer Grund: Man findet kaum noch Automaten in der Öffentlichkeit. Wer die Vereinsevents besuche, wähne sich daher im Paradies: Rund hundert Geräte stehen Interessierten in der Nähe von Graz zur Verfügung.

"Flipper narrisch"

Wer eine noch größere Auswahl haben möchte, muss über die Grenze nach Tschechien. Dort, in der Umgebung der Excalibur City, befindet sich mit dem Terra Technica auf 8.500 Quadratmetern das "weltgrößte Jukebox- und Flippermuseum".

Foto: Terratechnica

250 spielbereite Flipper sind dort ausgestellt, wie Günther Freinberger, ein weiterer "Flipper-Narrischer", schwärmt: "So etwas gibt es sonst nur in Las Vegas!" Der Sammler und Flipperexperte betreibt mit Pindigi Land in Ruprechtshofen für die Pinball-Privatstiftung sein eigenes Flipper-Schlaraffenland.

Mitgliederzuwachs

Jenseits des Atlantiks sperrten in den vergangenen zehn Jahren immer mehr "Barcades", eine Mischung aus Flipperhalle und familienfreundlichem Restaurant, auf. Amerikanische Medien berichteten über diese "Retromania". Eine Story die sich auch gut mit der Wiederkehr der Schallplatte und ähnlichem Analogen erzählen lässt.

Die von Roger C. Sharpe mitgegründete International Flipper Association (IFPA) wiederum freute sich über einen Mitgliederzuwachs, darunter immer mehr Frauen. 2017 führte die IFPA ein eigenes Rangsystem für Spielerinnen ein. Über die sozialen Medien ist die Szene international gut vernetzt.

Noch so ein Lizenz-Ding: Flipper mit "Star Wars"-Thema.
Foto: Stern Pinball

Den Boom spürt auch Stern Pinball, ansässig in Chicago. Mit 350 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ist das Unternehmen heute der größte Flipperautomaten-Hersteller der Welt. Es gibt zwar mittlerweile auch ein paar Konkurrenten, etwa Jersey Jack Pinball aus New Jersey. Die einst großen Namen wie Williams oder Bally aber sind längst verschwunden oder haben sich aus dem Flippergeschäft verabschiedet.

400 Meter Kupferdraht

Man entwickle sich immer mehr zur Lifestyle-Marke mit Bekleidung und eigenem Club, lässt sich Firmengründer Gary Stern im Wirtschaftsmagazin "Brand Eins" zitieren. Seit 2015 ist die Produktion bei Stern Pinball um 80 Prozent gewachsen, drei neue Modelle bringt man pro Jahr heraus.

Auch der King hat seinen eigenen Flipper.
Foto: Pindigiland

Es sind nach wie vor elektromechanische Wunderkisten auf vier Beinen, wenn auch mit digitalen Einsprengseln. Unter handbemalten hölzernen Spielfeldern, mit knallbunten Motiven aus "Star Wars", "The Avengers" oder Themen, die sich legendären Bands wie Led Zeppelin oder Iron Maiden widmen, verbergen sich mehr als 3.500 winzige Teile, verbunden mit 400 Meter Kupferdraht, durch die der Strom fließt, um unter anderem die zahlreichen Lämpchen zum Blinken zu bringen.

Das mache den Charme des Flipperns aus, sagt Markus Stix: "Kein Automat gleicht dem anderen." Jeder habe eine eigene Persönlichkeit, jeder spielt sich anders. Die Geräte altern, es gibt Abnützungserscheinungen, die sich auf den Spielfluss, die Bewegung der Kugel auswirken.

Analoger Ausgleich

Jeder Flipper erzählt eine Geschichte, die nicht nur aus Bildern, Tönen und Geräuschen besteht. Auch die Spielelemente sind oft mit einbezogen. Bei "Twister" zum Beispiel geht es um Wirbelstürme. Eine rotierende Scheibe sammelt mehrere Kugeln ein, schleudert sie ins Spielfeld.

Man braucht eine ruhige Hand, Konzentration, eine gehörige Portion Reaktionsschnelligkeit, um einen oder mehrere Bälle im Spiel zu halten, eine Strategie kann auch nicht schaden. Sieht man sich eine Profipartie an, hat man das Gefühl, dass die Spieler eins werden mit der Maschine. Sie legen sich die Kugeln mithilfe der Flipperfinger zurecht, schupfen sie hin und her, stoßen das Gerät mal sanft, mal hart.

Für Stix ist Flippern ein analoger Ausgleich zur Bildschirmarbeit. Er könne richtiggehend im Spiel versinken, abschalten. Selbst all die blinkenden Lichter und die Geräusche nimmt er nur am Rande wahr. Der Flow, der sich bei einer Partie einstellt, sei unbeschreiblich. Das Haptische, das Taktile, der Reiz aller Sinne, das sei pure Kontemplation. Kurz: Flippern macht glücklich. (Markus Böhm, RONDO exklusiv, 5.4.2021)