"Jeder, der ein Buch liest, hat Bilder im Kopf. Ich darf sie umsetzen." Katharina Wöppermann

Foto: Mafalda Rakoš

Grau in Grau kommt der Tag in der Nähe des Westbahnhofs in die Gänge. Einzig die Auslage eines Brautmodesalons spendiert ein paar leuchtend weiße Tupfer. Nicht weit von diesen schlummert das Raimund-Theater im Lockdown-Modus und wird für bessere Tage in Schuss gebracht. Ein paar Schritte die Gasse abwärts liegt das Zuhause von Katharina Wöppermann. Untergebracht ist es in einem Biedermeierhaus aus dem Jahre 1842. Einst wurden darin Strickgarne produziert, die in die ganze Monarchie geliefert wurden.

Durch das Eingangstor, das sich elektrisch – allerdings im Schneckentempo – von allein öffnet, tretend, findet sich der Besucher in einem großzügigen Innenhof wieder. Bereits hier wird klar, was Katharina Wöppermann meint, wenn sie später sagen wird, ihr Zuhause sei eine Art Insel, die zwischen Gürtel und Mariahilfer Straße parkt.

Zwischen Mariahilfer Straße und dem Gürtel entstehen die Interieurs, die Katharina Wöppermann für Filmszenen erschafft.
Foto: Mafalda Rakoš

Hätte der Wind auf dem Weg hierher nicht gar so garstig gepfiffen, könnte man in diesem Hof ein paar Gedanken an einen Liegestuhl verlieren, an dampfende Steaks auf einem Griller, und all das an einem heißen Sommertag, dessen Luft von den Blättern vieler alter Veitschi-Pflanzen gekühlt wird. Die Mauern des gesamten Innenhofs werden von ihnen tapeziert.

Verschachtelte Räume

Durch eine englischgrüne Holztüre samt Glasfenstern betritt man das Haus, ein Stockwerk höher wartet Katharina Wöppermann, die hier wohnt und Szenenbilder für Kino- und TV-Produktionen austüftelt. Bereits dreimal wurde sie mit dem Österreichischen Filmpreis ausgezeichnet, zum Beispiel für ihre Arbeit für Barbara Alberts Licht, der 1777 spielt, oder zuletzt für Little Joe von Jessica Hausner.

In Sachen Wohnen meint sie, dabei komme es sehr auf das eigene Bauchgefühl an.
Foto: Mafalda Rakoš

Das Szenenbild ihrer Wohnung ist geprägt von Nischen und verschachtelten Räumen, einer sich in den oberen Stock schraubenden Wendeltreppe und einem über 30 Jahre gewachsenen Mix an Möbeln, Leuchten, Wanddekors, Bildern und Objekten. Die Mietwohnung auf zwei Etagen misst insgesamt 170 Quadratmeter, die sie mit ihrem Partner, dem Architekten Roger Baumeister, teilt.

"Gut, dass ich schon vor unserer Beziehung hier gewohnt habe", sagt Wöppermann und lacht. "Sonst hätte mir der Roger bei der Gestaltung sicher dreingeredet." Dafür ist es allerdings nie zu spät, denn das Paar überlegt, die Wohnräume in den 2. Bezirk zu verlegen. Aber das ist eine andere Geschichte.

Ein Szenenbild zu erschaffen bedeutet, für die Gestaltung des Filmraums verantwortlich zu sein.
Foto: Mafalda Rakoš

Etwas Geheimnisvolles

Gegenüber den privaten Räumen liegt Wöppermanns Atelier, in dem sie auf 70 Quadratmetern an ihren Szenenbildern arbeitet. Ein Szenenbild zu erschaffen bedeutet, für die Gestaltung des Filmraums verantwortlich zu sein. Dazu gehören künstlerische Gestaltung, Drehortsuche, Locations bis hin zu erfundenen Räumen und Orten, die im Studio aufgebaut werden. Doch dazu später und zurück zu den Nischen, die es Katharina Wöppermann angetan haben.

"Nischen sind eine Art von kleinen Räumen, die etwas Geheimnisvolles haben, in denen Dinge verschwinden und doch da sind." Genau genommen wirkt die ganze Wohnung wie ein Sammelsurium aus Nischen, der Grundriss ist alles andere als klassisch, Winkel, Vorsprünge und Wände geben die Struktur der Wohnung vor, die sich zimmer-anatomisch folgendermaßen aufteilt: Entrée mit einer Küche um die Ecke, Esstisch, Schlafzimmer, kleine Bibliothek, das ehemalige Kinderzimmer der beiden mittlerweile erwachsenen Töchter, Bad und noch ein Wohnzimmer bzw. Yogastudio.

Es macht keinen Sinn, dieses Zuhause stilistisch betrachtet in eine Schublade zu stecken.
Foto: Mafalda Rakoš

Charmantes Detail am Rande: Ein kleiner Küchentisch aus den 1950er-Jahren am Fenster samt Leuchte und einem Sessel von Ray und Charles Eames im Wohnzimmer gewann den ersten Platz in der Kategorie Lieblingsort in der Wohnung. "Dieses Eck vermittelt mir das Gefühl, im Kaffeehaus zu sitzen", sagt die 1962 in Wien Geborene, die an diesem Plätzchen gerne frühstückt. Außerdem steht Wöppermann auf Lampen, viele Lampen.

Über Jahrzehnte gewachsen

Es macht keinen Sinn, dieses Zuhause stilistisch betrachtet in eine Schublade zu stecken. Und das ist gut so. Es ist mit all seinen vielen verschiedenen Möbeln, Leuchten, Bildern und Teppichen über Jahrzehnte gewachsen. Und mit den Filmen, denn nicht weniges an Mobiliar stammt aus Produktionen, an denen Wöppermann mitarbeitete.

"Es besteht schon die Gefahr, dass man sich verliert, falls es die Möglichkeit gibt, das eine oder andere Stück nach Beendigung der Dreharbeiten zu erwerben", sagt Wöppermann, zieht die rechte Braue hoch und zeigt auf einen Holzsessel mit Gurtgeflecht, der im Film Wie ich lernte, bei mir selbst Kind zu sein von Rupert Henning eine tragende Rolle spielte, wenn der Wortwitz erlaubt ist.

Ebenfalls nicht widerstehen konnte die Szenendesignerin bei einer Tapete aus dem Streifen Amour Fou von Jessica Hausner. Wöppermanns Bleibe ist einladend, hier wird gelebt, die Atmosphäre ist wohlig und nicht zu vollgeräumt.

Die Ecke im Wohnzimmer mit dem kleinen Küchentisch aus den 1950er-Jahren bezeichnet die Setdesignerin Katharina Wöppermann als einen Lieblingsort in der Wohnung. Er vermittelt ihr beim Frühstück das Gefühl, in einem Kaffeehaus zu sitzen.
Foto: Mafalda Rakoš

Mit anderen Worten formuliert: "Ich würde meinen Einrichtungsstil als bewusstes Understatement bezeichnen. Nachdem ich beruflich ständig mit Fragen der Raumgestaltung konfrontiert bin, empfinde ich es als wohltuend, wenn ich es zu Hause nicht mit zu vielen ‚Design-Heroes‘ zu tun habe."

Statussymbol

Für was für eine Art von Film ihre Wohnung wohl taugen würde? "Am ehesten für einen zeitgenössischen französischen Film, in dem das Gefühl eines familiären Kontexts erleb- und sichtbar gemacht würde."

Auf die nächste Frage, welche Fehler die gravierendsten seien, die Menschen beim Wohnen machen, meint Wöppermann, die an der Wiener Akademie der bildenden Künste Bühnenbild studierte: "Viele Menschen wollen zu viel. Die Küche wird immer mehr zum Statussymbol und dadurch zu einem unpersönlichen Ort. Es geht oft nur darum, Bilder, die die Leute im Kopf haben, umsetzen zu wollen. Das Ergebnis schaut kühl und anonym aus."

Wöppermanns Bleibe ist einladend, hier wird gelebt, die Atmosphäre ist wohlig und nicht zu vollgeräumt.
Foto: Mafalda Rakoš

Unterm Strich ortet sie mitunter einen Mangel an Sensibilität, Befindlichkeiten in Räumen erkunden zu wollen. Dabei sei gerade das Bauchgefühl in Sachen Wohnen ein Wichtiges. "Es geht darum, Vertrauen zu diesen Dingen zu lernen, zu erfahren, wie Licht, ein Fußboden, Proportionen oder Türen wirken."

Ihren Job bringt Wöppermann auf den Punkt: "Jeder, der ein Buch liest, hat Bilder im Kopf. Ich darf sie bauen." Bevor sie Hand anlegt, nimmt sie ein "Bad in Bildern", wie sie es nennt. Der Badezusatz, vielmehr die Badezusätze bestehen aus der Erforschung von Epochen, Themen, Milieus, der Auseinandersetzung mit den Charakteren der Darsteller, ihrem sozialen Status, dem Austausch mit Kostümbildnern, Requisiteuren, Set-Dekorateuren und natürlich der Regie. All das werde gemeinsam gefiltert.

Suche nach Ästhetik

Ihren Wohnstil bezeichnet Katharina Wöppermann als bewusstes Understatement ohne zu viele "Design-Heroes".
Foto: Mafalda Rakoš

Überhaupt schreibt Wöppermann den Begriff Teamarbeit im Rahmen einer Produktion ganz groß. "Gemeinsam suchen wir nach einer Ästhetik, das ist mit einer Spurensuche vergleichbar." Fragen lauten unter anderem "Wie sieht ein Zimmer in einem Krankenhaus im 19. Jahrhundert aus, welcher Aschenbecher steht auf dem Tisch eines speziellen Wohnzimmers, welches Notizbuch verwendet der Protagonist, an was für einem Lichtschalter dreht er? Die Suche nach dem einen oder anderen richtigen Stück für einen Film brachte mich unter anderem schon nach Prag, Paris oder Berlin."

Für ihre Arbeit am Film Murer – Anatomie eines Prozesses musste Wöppermann einen Gerichtssaal gestalten. "Gut drei Viertel des Films spielen in einem Gerichtssaal, der solange allerdings nicht für Dreharbeiten zur Verfügung steht. Deswegen bauten wir den Gerichtssaal im Studio nach." Dieser Part des Jobs taugt Wöppermann am meisten, denn "on location" zu drehen bedeute immer einen Kompromiss. Die schönste Bestätigung ist für Wöppermann, wenn ein Darsteller am Drehort zum ersten Mal in "seine Wohnung" kommt und seine Figur wiedererkennt.

Auf die Frage, für was für eine Art von Film die Wohnung taugen würde, meint Katharina Wöppermann: "Am ehesten für einen zeitgenössischen französischen Film, in dem das Gefühl eines familiären Kontexts erleb- und sichtbar gemacht wird."
Foto: Mafalda Rakoš

Ob jemand, der sich derart intensiv mit der Komposition mit Räumen auseinandersetzt, einen Wohntraum hat? Vielleicht ein Schloss an der Loire oder ein Chalet in den Bergen oder doch ein Hausboot in Paris? "Meinen Wohntraum erlebte ich schon, der ist kaum zu toppen. Meine Eltern hatten einst ein Haus auf Mallorca, direkt am Wasser. Auf dem Balkon zu sitzen erinnerte an das Achterdeck eines Dampfers, dessen Bug durch die Wellen schneidet", erinnert sich Wöppermann.

Aber da wäre noch eine Geschichte in Sachen Wohnen und Träume, eine, die sich weniger für eine Story in einem Architekturmagazin eignet, das sich hochglänzenden Designerhütten verschreibt. Immer wieder nämlich träumt die Gestalterin von einer Geheimtüre, hinter der sie verlassene und unrenovierte Räume entdeckt, was ihr im Traum ein großes Glücksgefühl beschert. Sagt sie. Wie auch immer man das küchenpsychologisch deuten will: Frau Wöppermann hat ganz offensichtlich den richtigen Job gewählt. (Michael Hausenblas, RONDO exklusiv, 26.3.2021)

Bevor sie in ihrem Atelier gegenüber der Wohnung neue Räume für Filme ausbaldowert, studiert sie Epochen, Themen, Milieus, Charaktere und andere Dinge, die im Film vorkommen sollen.
Foto: Mafalda Rakoš